78 Nichtregierungsorganisationen haben sich als BRK-Allianz verpflichtet, bestehende Menschenrechtsverletzungen an Menschen mit Behinderungen in Deutschland aufzuzeigen und diese in Berichtsform dem zuständigen Fachausschuss der Vereinten Nationen als Parallelbericht zum ersten Deutschen Staatenbericht der Bundesregierung im nächsten Jahr zukommen zu lassen. Auf der Basis dieser Berichte wird der Fachausschuss die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland überprüfen und Empfehlungen aussprechen. In einem Kurzbericht an den Menschenrechtsrat in Genf, der im nächsten Jahr überprüfen will, wie die Menschenrechtslage in Deutschland sich generell darstellt, hat das zivilgesellschaftliche Bündnis aktuell schon einen Vorgeschmack von der Kritik geliefert, die in seinem erweiterten Parallelbericht an den UN-Fachausschuss demnächst zur Sprache kommen wird.
Großer Handlungsbedarf für Deutschland - enttäuschende Maßnahmen
In ihrer allgemeinen Einschätzung sieht die Allianz "für Deutschland großen Handlungsbedarf, denn die konsequent menschenrechtliche Perspektive ist in der deutschen Behindertenpolitik und der Gesetzgebung noch nicht ausreichend umgesetzt." Kritisiert wird die generelle Tendenz der Bundesregierung, diesen Handlungsbedarf zu relativieren. Diese Haltung spiegele sich auch in dem enttäuschenden Nationalen Aktionsplan wider. Mit ihm würde die Umsetzung der BRK-Zielsetzung keineswegs gesichert. Der Aktionsplan sei mit seinen Maßnahmen inhaltlich wenig ambitioniert, viel zu unverbindlich und kaum auf die spezifischen Belange der Menschen mit Behinderungen bezogen. Die Empfehlung des Bündnisses lautet: "Die Bundesregierung ist aufgefordert, umgehend konkrete gesetzgeberische Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK in nationales Recht sowie Sanktionsmechanismen bei Nichtumsetzung einzuleiten."
Auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft "auf Augenhöhe" wird eingefordert. Deren Nichtbeteiligung habe z.B. dazu geführt, dass die amtliche Übersetzung der UN-BRK fehlerhaft geraten und ungeeignet für die Bewusstseinsbildung sei. Mit Bezug auf die falsche Wiedergabe des englischen Begriffs "inclusion" durch den deutschen Begriff "Integration" wird die Bundesregierung aufgefordert, eine verbindliche Korrektur der Übersetzung vorzunehmen. Die Empfehlung lautet: "Gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen hat die Bundesregierung verbindliche Beteiligungsstandards für alle Bereiches des politischen Planens und Handelns zu erarbeiten, um die durchgängige Partizipation sicherzustellen."
Magere Integrationsquoten
Der Bogen der Kritik ist weit gespannt und reicht von den Themen Barrierefreiheit, Betreuungsrecht, Gewalt, Assistenz bis hin zum Arbeitsmarkt. Die Kritik an "Inklusion in der Schule" fällt besonders vernichtend aus. Zusammengefasst lautet hier die Bewertung: "Von inklusiver schulischer Bildung ist Deutschland weit entfernt.".
Dazu werden die im internationalen Vergleich besonders mageren Integrationsquoten angegeben, die in der Sekundarstufe noch deutlich geringer ausfallen. Die vielfältigen Barrieren werden dezidiert angeführt, die den Zugang zur allgemeinen Schule für Kinder mit Behinderungen versperren. "Ein behindertes Kind muss in die Regelschule nur aufgenommen werden, wenn die notwendigen personellen, organisatorischen und sächlichen Bedingungen bestehen. An diesen fehlt es. Angemessene Vorkehrungen, Nachteilsausgleiche und barrierefreie Lehr- und Lernmittel werden an Regelschulen nicht ausreichend bereitgestellt."
Mit Blick auf die vorherrschende Lernkultur an den allgemeinen Schulen wird das Schulsystem mit seinen Auslesestrukturen in den Mittelpunkt der Kritik gerückt. "Die Regelschulen sind auf Inklusion kaum vorbereitet. Sie sind selten barrierefrei. Eine Pädagogik der Vielfalt, die allen SchülerInnen gerecht wird, wird dort kaum praktiziert. Stattdessen wurzelt das deutsche Schulsystem (einschließlich des Bewusstseins vieler PädagogInnen) tief im Denken homogener Lerngruppen."
Den Bundesländern wird ein unterschiedlicher Handlungswille attestiert. Oft wirke allerdings die Inklusionsdebatte als Lippenbekenntnis. Es fehle an geeigneten Maßnahmen zur Unterstützung der Schulen. Für die "notwendigen, tiefgreifenden Veränderungsprozesse" wird daher "ein strukturiertes Gesamtkonzept inklusive eines verbindlichen Zeitplanes von Bund und Ländern, weitere Forschung und die angemessene Partizipation der Zivilgesellschaft" eingefordert. "Das Menschenrecht auf inklusive Bildung ist anzuerkennen, Gesetzes- oder Ressourcenvorbehalte sind zu streichen."
Inklusion in der Schule – ein Lippenbekenntnis
Mit seinem Kurzbericht an den Menschenrechtsrat in Genf, der im nächsten Jahr überprüfen will, wie die Menschenrechtslage in Deutschland sich generell darstellt, liefert das zivilgesellschaftliche Bündnis BRK-Allianz einen Vorgeschmack der Kritik, die in seinem erweiterten Parallelbericht an den UN-Fachausschuss demnächst zur Sprache kommen wird. Ein Bericht von Brigitte Schumann