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Inklusion bringt neues Know-how

An der Grundschule in Mönchgut auf der Insel Rügen ist seit drei Jahren alles ein wenig anders: Sie arbeitet inklusiv.

In den zweiten Klassen beispielsweise brüten die einen über Multiplikationen bis 200, andere üben Malnehmen im Zehnerraum, wieder andere knobeln an Plus- und Minusaufgaben bis 20. Je nach Förderebene unterscheiden sich die Aufgaben. Wem das Lernen leichtfällt, ist in Leistungsgruppe Grün, wer passabel mitkommt, in Gelb, die, die etwas mehr Zeit brauchen, arbeiten in Team Rot. Als diskriminierend erleben die Kinder den Farbcode nicht, im Gegenteil.

Lehrkräfte und ein neuer Sonderpädagoge begleiten jeden Einzelnen liebevoll und machen immer wieder klar: Auf den individuellen Fortschritt kommt es an. In kleinen Lernkurven können die Schülerinnen und Schüler in allen Klassenstufen ihre Entwicklung sehen. Alle vier Wochen gibt es kurze Lernstandstests, nach sechs Monaten steht ein großer Test auf dem Programm – zusätzlich zu den Klassenarbeiten. Regel- und Sonderpädagogen arbeiten eng zusammen, im Unterrichtsalltag und während der monatlichen Teamsitzung, in der immer wieder hinterfragt wird: Wer steht wo? Wer braucht welche Unterstützung? „Die Inklusion hat den Unterricht viel individueller gemacht, Teamarbeit gestärkt und unsere Schule enorm bereichert“, sagt Direktorin Silke Wolf. „Aber sie funktioniert nur mit großem Einsatz der Pädagogen und hoher Professionalität.“
Beispiel für Best Practice

Die Grundschule Möchgut ist eines der Beispiele, die während der Nationalen Inklusionskonferenz (s. S. 31, 32) als Best Practice für gelungene Inklusion genannt wurde. Sie erprobt seit 2010 wie alle vierzehn Schulen auf der Insel das „Rügner Inklusionsmodell“. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, Lernverzögerungen und emotionalen Beeinträchtigungen werden gemeinsam mit Regelschülern unterrichtet. Entwickelt wurde das Projekt von Sonderpädagogen der Universität Rostock. Es setzt auf einen Mix aus Prävention und Förderung, arbeitet mit empirisch bewährten Methoden und standardisierter Lernfortschrittsmessung – für alle Mädchen und Jungen. Das heißt: Sobald es bei einem Kind Anzeichen von Lernlücken oder Entwicklungsstörungen, aber ebenso von besonderen Begabungen gibt, wird es mit bewährten Fördermaßnahmen unterstützt. Mithilfe von Screenings, validen Tests und Unterrichtsbeo­bach­tung überprüfen die Pädagoginnen und Pädagogen kontinuierlich, inwieweit die Maßnahmen erfolgreich waren. Was hat das Kind erreicht? Wie können wir es noch besser fördern?

Weiterbildung ist wichtig

„Das ist ein sehr komplexer Prozess, für den die Lehrkräfte intensiv weitergebildet werden müssen“, sagt Kirsten Diehl, Professorin für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung an der Uni Rostock. Mehr als zehn Tage pro Jahr wurden die Pädagogen in Testverfahren und Methodenrepertoire eingeführt und auf die Arbeit im inklusiven Unterricht vorbereitet. Der Zwischenbericht des Modellversuchs zeigt: Inklusion ist machbar – wenn sie professionell gestaltet ist. Alle Schülerinnen und Schüler schnitten genauso gut ab wie die Kinder einer Vergleichsgruppe mit nicht-inklusivem Unterricht.

Natürlich gab es anfangs Vorbehalte. Heute sind aber alle mit im Boot. Die Lehrkräfte hat die fachliche Begleitung durch die Wissenschaftler der Uni Rostock, später das Peer-Teaching durch die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen der ersten Jahrgänge ermutigt. Die Eltern überzeugte die große Offenheit, mit der die Schule über ihre Arbeit berichtete. „Heute ist es ein ganz anderes Lernen bei uns“, sagt Wolf. „Die Inklusion hat neues Know-how eingebracht, uns Lehrer wachgerüttelt und den Blick enorm erweitert.“