Noch vor zwei Jahren stand Saskia Krämer acht Stunden in der Woche in einer Münchner Gymnasialklasse; im Deutsch-, Sozialkunde und Geschichtsunterricht. Eine Stelle am Gymnasium fand sie nach ihrem Referendariat nicht. Stattdessen arbeitete sie sich an einer Schule ein, an der 2.000 Jugendliche und junge Männer und Frauen im Blockunterricht den schulischen Teil ihrer Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker oder Eisenbahner absolvieren: an der Städtischen Berufsschule für Kraftfahrzeugtechnik am Elisabethplatz. Hier, in München-Schwabing, unterrichtet Krämer neben Geschichte zwar die gleichen Fächer wie im Referendariat – aber in einer völlig anderen Schulform, mit ganz anderen Inhalten und auf anderem Niveau.
Wurde sie darauf vorbereitet? Nun ja, sagt sie, und man hält das zunächst für einen Scherz, zum Glück hätten die neuen Schülerinnen und Schüler an der Berufsschule eine Einführungswoche: „So musste ich die ersten Tage nicht allein vor der Klasse stehen.“ Nach dieser Woche nahm sie den Unterricht auf, mit vollem Deputat, 24 Stunden in der Woche. Was es pädagogisch, didaktisch und fachlich braucht, eignete sie sich notgedrungen in der Praxis an. Und? „Der Deutschunterricht hier ist ein ganz anderer, weil mehr Jugendliche Förderung benötigen. Auch in Sozialkunde stehen ganz andere Themen auf dem Programm. Arbeitnehmerrechte spielen etwa eine große Rolle: Es gibt Azubis, die werden schon im ersten Lehrjahr ausgebeutet.“
Es ist eine bunte Truppe, die Schulleiter Josef Lammers, selbst Berufsschullehrer par excellence – gelernter Schlosser sowie Lehrer für Metalltechnik und Mathe – für den Besuch der E&W zusammengetrommelt hat: Außer Krämer sitzen ein promovierter Elektrotechniker und ein Kfz-Meister im Raum. Andreas Spring, der Ingenieur, der die Arbeit in der Industrie wegen der permanenten Überlastung fürchterlich fand, bewarb sich auf eine Anzeige des Kultusministeriums und kam, wie er sagt, „mit Kusshand sofort ins Referendariat“. Kfz-Meister Felix Huber hat vor wenigen Wochen als sogenannter „Fachlehreranwärter“ begonnen; das Schuljahr 2019/20 wird er am Staatsinstitut für Fachlehrerausbildung in Ansbach verbringen. Bis dahin unterrichtet er zunächst befristet – vor dem Hintergrund, dass auch sein Meistertitel zur Ausbildung berechtigt.
„Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Immer wieder fällt Unterricht aus, wir müssen uns Fragen stellen wie: Verzichten wir auf Deutsch, Sport oder Sozialkunde?“ (Josef Lammers)
Der Besuch in der Berufsschule für Kraftfahrzeugtechnik macht deutlich: Der bundesweit eklatante Mangel vor allem in technischen Berufsschulfächern hat auch Bayern und den Fachkräftemagneten München mit Wucht erreicht. Das steht in deutlichem Gegensatz dazu, dass Schulminister Bernd Sibler (CSU), der im November von Michael Piazolo (Freie Wähler) abgelöst wurde, auch zum diesjährigen Schuljahresbeginn wieder vor der Presse verkündete: „Das Thema Lehrermangel können wir in Bayern nicht teilen.“
Berufsschulleiter Lammers kann darüber nur den Kopf schütteln. „Der Arbeitsmarkt ist leergefegt“, erklärt er, „immer wieder fällt Unterricht aus, wir müssen uns Fragen stellen wie: Verzichten wir auf Deutsch, Sport oder Sozialkunde?“ Insofern sei es sogar gut, dass mit Krämer jetzt eine Lehrerin an Bord ist, die ihr Augenmerk ausschließlich auf Fächer legt, die für die Schüler wie für die Zivilgesellschaft wichtig sind, aber an einer technisch orientierten Schule schnell hinten runterfallen. Gut wäre allerdings mehr Zeit für die Begleitung der neuen Kolleginnen und Kollegen, ergänzt Lehrerin Monika Brand: „Was am Gymnasium bereits als raues Klima gelten mag, ist hier vielleicht die friedlichste Stunde der Woche. Und so mancher wünscht sich mehr Zeit zur Einarbeitung.“
Schulleiter Lammers treibt noch etwas anderes um: Eine Kollegin wie Krämer wird von staatlicher Seite nur so lange wertgeschätzt, bis ein „echter“ Berufsschullehrer zur Verfügung steht. Und egal, wie unwahrscheinlich das ist – schon jede vierte der 80 Lehrkräfte an seiner Schule ist entweder für eine andere Schulform ausgebildet oder quer eingestiegen: Die Deutsch- und Sozialkundelehrerin ist nun schon zum zweiten Mal nur für das laufende Schuljahr angestellt. So entstehe ein Flickenteppich von Beschäftigungsverhältnissen: „von Beamten über Angestellte – bis hin zu prekär Beschäftigten.“
Da für eine volle Unterrichtsversorgung immer noch Personal fehlt, finden an der Schule zudem längst nicht alle vorgesehenen Teilungsstunden statt. „Für die praktischen Übungen ist das unglücklich“, erklärt Spring, „für 30 Schüler sind die Räume zu klein und die Messgeräte zu wenige.“ Und wie zum Beweis steht er beim anschließenden Rundgang durch die Schule plötzlich einer Schülergruppe gegenüber, die nicht weiß, wo sie hin soll: Es ist zwar Teilungsstunde, aber der einzige für sie zur Verfügung stehende Kollege kann sich nicht zweiteilen.