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„... in weiten Teilen stark lenkend“

Die Kritik an kostenlosen Unterrichtsmaterialien (s. E&W 1/2013 „Gütesiegel für Propaganda“), die von der Wirtschaft finanziert werden, reißt nicht ab. Diesmal beschäftigt sich E&W mit dem Thema Braunkohle-Nutzung.

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Foto: Bert Kaufmann, "Tagebau Garzweiler", CC BY 2.0

(Foto: Bert Kaufmann / CC BY 2.0)

"Braunkohle im Energiemix" lautet der unverfängliche Titel der 36-seitigen Broschüre. Das Lehrmaterial, erstellt für die Klassen 10 bis 13, liefert Basiswissen zur "Stromerzeugung in Deutschland" und "Entstehung von Braunkohle". Auch "Vorteile & Nachteile der Braunkohlenutzung" werden angesprochen. Doch das Heft stößt auf harsche Kritik. "Die Unterrichtsmaterialien sind in weiten Teilen nicht problemorientiert, sondern stark lenkend." Das erklärt Bettina Zurstrassen, Professorin an der Universität Bielefeld, zuständig für Didaktik der Sozialwissenschaften. Mitherausgeberin von "Braunkohle im Energiemix" ist der Deutsche Braunkohle-Industrie-Verein (DEBRIV) in Köln.

Industrie-Sicht

Laut Zurstrassen vertritt die Broschüre bei strittigen Fragen vor allem die Sicht der Braunkohle-Industrie. So heißt es auf Seite 20: "Braunkohle benötigt keine Subventionen." Das sagt auch die Bundesregierung, nachzulesen in ihren jährlichen Subventionsberichten. "Diese Behauptung ist höchst fraglich", betont die Bielefelder Hochschullehrerin. Laut einer Greenpeace-Studie genoss die Braunkohle in Deutschland von 1950 bis 2008 "finanzielle Vorteile in Höhe von etwa 101 Milliarden Euro". Im Gegensatz zur Bundesregierung fassen die Greenpeace-Forscher den Begriff Subventionen nicht eng. Sie berücksichtigen auch staatliche Forschungsförderung zugunsten von Braunkohle, Steuervergünstigungen oder die Befreiung der Braunkohleförderung von Wasserentnahme-Entgelten. Eine Studie von 2004, im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) erstellt, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Braunkohle kein subventionsfreier Energieträger sei. Warum die Schülerinnen und Schüler davon in der Broschüre nichts erfahren? Uwe Maaßen von DEBRIV erklärt: Die UBA-Studie sei "in vielen Aussagen fehlerhaft". Auch beruhe sie auf einer "unüblich weiten Abgrenzung des Subventionsbegriffs". Maaßen räumt ein, dass der Braunkohle-Industrie-Verein die Broschüre finanziert hat.

Gleich auf zwei Seiten präsentiert das Lehrmaterial das neue Braunkohlekraftwerk "BoA 2&3" in Neurath bei Köln. "Das modernste Braunkohlekraftwerk der Welt", "mit optimierter Anlagentechnik", "besonders flexibel" ist hier zu lesen. "Herben Rückschlag für den Klimaschutz" nennt hingegen der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Inbetriebnahme der 2,6 Milliarden Euro teuren Anlage. Das Kraftwerk werde jährlich 16 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen, kritisiert der BUND. Auch dazu kein Wort in der Broschüre. "Alle Meinungsäußerungen zum Kraftwerk zu dokumentieren, hätte den Rahmen der Veröffentlichung gesprengt", so DEBRIV-Mann Uwe Maaßen. Er betont, dass die Broschüre auch kritische Positionen zur Braunkohle aufliste, "in der Linkliste Seite 36". Gemeint ist: Auf der letzten Seite nennt das Heft die Internetadressen von Greenpeace und BUND.

Laut DEBRIV beträgt die Startauflage der Broschüre 29 000 Exemplare. Weitere 20 000 Exemplare seien im Druck, so Uwe Maaßen. Rund 500 Lehrerinnen und Lehrer hätten sich an der Evaluation des Materials beteiligt. "Nahezu 90 Prozent der Nutzer", erklärt Maaßen, "beurteilen die Eignung für den Unterricht als gut bis sehr gut."