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Immer mehr Befristung in der Wissenschaft – Politik muss handeln

BuWiN und LESSI fachen Debatte um Reform der Karrierewege an.

Bild: Kay Herschelmann

„Die Bundesregierung muss endlich reagieren und die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verbessern“, stellte Andreas Keller, Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung der GEW, anlässlich der heutigen Veröffentlichung des zweiten Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs fest.

„Der Bericht hat den Handlungsdruck in diesem Feld noch einmal verdeutlicht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lieben ihre Tätigkeit, sind aber immer unzufriedener mit ihren Arbeitsbedingungen. Auch hoch motivierte Forscherinnen und Forscher leben nicht von Luft und Wissenschaft allein. Zur Anerkennung ihrer Arbeit gehören auch eine gute Bezahlung und klare Perspektiven.“

Insbesondere der BuWiN macht deutlich, wie groß der Reformbedarf von Karrierewegen und Personalstruktur an deutschen Hochschulen ist. Einige Schlaglichter:

  • Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist von 79 Prozent (2000) auf 90 Prozent (2010) angewachsen. In der Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften liegt der Befristungsanteil sogar bei 95 Prozent.
  • Gleichzeitig hat die Teilzeitbeschäftigung zugenommen: 43 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen sind befristet UND teilzeitbeschäftigt!
  • Der Bundesbericht stellt fest, dass das deutsche Hochschulsystem im internationalen Vergleich schlecht da steht. Eine „Junior-Staff-Ebene“ (hauptamtlich und selbstständig Lehrende und Forschende unterhalb der Professur“) fehlt „fast völlig“ (Kurzfassung, S. 14). „Befristung als Regelfall und relativ niedriges Einkommen ist international eher unüblich“, bilanziert der BuWiN (S. 21).
  • Gleichstellungfortschritte zeichnen sich nur langsam ab. Frauenanteile seien zwar auf allen Karrierestufen gestiegen, lägen aber durchgängig „zum Teil erheblich unter der 50-%-Marke und bleiben damit hinter den Werten von Hochschulzugang, Studium und Studienabschluss zurück“ (S. 16).
  • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zwar mit den Tätigkeitsinhalten zufrieden, aber unzufrieden mit ihrer Beschäftigungssituation (Sicherheit, Aufstiegsmöglichkeiten, Einkommen) sowie mit dem Betriebsklima.
  • Ein kritisches Fazit zieht der BuWiN zur Postdoc-Phase: „In einer Phase des Lebens, in der sich in anderen Berufen oftmals die Erwartungen und Handlungsoptionen bereits konsolidieren, befindet sich der wissenschaftliche Nachwuchs in einer Entscheidungssituation, in der große Leistungsansprüche, hohe Selektivität und geringe Erwartungssicherheit aufeinandertreffen.“ (S. 23) Vor diesem Hintergrund wachse auch die Sorge um die Attraktivität des wissenschaftlichen Berufsweges.

Für diejenigen, die nach der Promotion den Schritt in die Wissenschaft schaffen, folge jedoch meist über viele Jahre hinweg Zeitvertrag auf Zeitvertrag – mit immer kürzeren Vertragslaufzeiten. „Wenn neun von zehn promovierten Beschäftigten in Hochschulen und Forschung mit der Planbarkeit der Berufswege in der Wissenschaft unzufrieden sind, ist das ein klares Signal an die Politik. Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft“, betonte Keller. „Um diesen Trend umzukehren, brauchen wir dringend Änderungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die Mindestlaufzeiten für Arbeitsverträge definieren und nach der Promotion klare Perspektiven für eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft eröffnen.“

Die schlechte Planbarkeit und mangelhafte soziale Absicherung in der Wissenschaft sind insbesondere für Beschäftigte mit Kindern problematisch. „Es ist deshalb nicht überraschend, dass zwei Drittel der promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Familienfreundlichkeit ihres Arbeitsplatzes unzufrieden sind“, sagte Keller. „Noch immer gilt: Gerade Frauen werden durch diese Bedingungen von einer Tätigkeit in Hochschule und Forschung abgeschreckt.“

Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 ist der zweite Bundesbericht über die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland; der erste Bericht erschien 2008. An den Hochschulen sind in Deutschland inzwischen acht von neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterhalb der Professur befristet beschäftigt. 35- bis 45-Jährige nach der Promotion sind dreimal so häufig befristet beschäftigt wie ihre Altersgenossinnen und -genossen.

Die LESSI-Studie beschäftigt sich insbesondere mit den Auswirkungen der Bologna-Reformen auf die Lehrenden an deutschen Hochschulen. In diesem Zusammenhang kommen die Autorinnen und Autoren zu einer kritischen Bewertung der Personalentwicklung an den Hochschulen. An Universitäten würden mittlerweile drei Viertel der Lehre vom akademischen Mittelbau erbracht. Gleichzeitig nehme der Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnissen zu, „die zudem, insbesondere bei den Doktorandinnen und Doktoranden, die auf Teilzeitstellen arbeiten, ein hohes Maß an unvergüteter Mehrarbeit beinhalten“ (S. 56). Die hohe Personalfluktuation und die damit verbundene geringere berufliche Erfahrung und fehlende Kontinuität erschwere auch die Qualitätssicherung in der Lehre, lautet das kritische Fazit der LESSI-Studie.

BuWiN und LESSI – Stoff für viele gute Argumente in unserem gemeinsamen Kampf für berechenbare Karrierewege, faire Beschäftigungsbedingungen und eine familienfreundliche Hochschule und damit Wasser auf die Mühlen der GEW-Kampagne für den „Traumjob Wissenschaft“.