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Investitionsstau

Immenser Nachholbedarf

„Strukturelle Unterfinanzierung“ bundesweit, große Unterschiede bei den Ausgaben pro Schülerin und Schüler in den Ländern: Das ist das Fazit einer Studie von Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaft an der Hochschule Bremen.

Der Investitionsstau in vielen Kommunen ist in den Schulen nicht zu übersehen. Und es sind nicht nur defekte Toiletten, die diesen Missstand deutlich machen. Bei den Gesamt-Ausgaben für Primar- und Sekundarstufe liegt Deutschland lediglich auf Platz 27 von 35 OECD-Staaten. (Foto: Kay Herschelmann)

Auf den ersten Blick ist es ein stattliches Plus zugunsten der allgemein- und berufsbildenden Schulen: Im Jahr 2010 lagen die bundesweiten Ausgaben (öffentlich und privat) bei 85,72 Milliarden Euro. 2019 waren es 105,80 Milliarden Euro. Ein Zuwachs von 23 Prozent. Allerdings reicht dieser bei weitem nicht aus, denn in den vergangenen fast elf Jahren sind die Anforderungen an das deutsche Schulsystem enorm gewachsen.

Professorin Schrooten betont in ihrer Studie Bildungsfinanzierung – Fokus Schule denn auch: Die öffentlichen Schulen seien „massiv unterfinanziert“ – obwohl beziehungsweise gerade weil „immer wieder neue Aufgaben an die Schulen herangetragen wurden und werden“. Sie verweist auf den Ausbau des Ganztags, die Inklusion, die -Integration von Geflüchteten und die Digitalisierung. Als Ursache nennt sie vor allem die „Schuldenbremse“, die 2009 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von Bund und Ländern beschlossen wurde.

Die Studie, die im Auftrag der GEW entstand, verweist auf eine aktuelle Erhebung, die die Forschungsabteilung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) veröffentlicht hat: 45 Prozent der Kommunen erklärten, der Investitionsrückstand der Schulen sei „gravierend“. Weitere 15 Prozent stuften den Investitionsrückstand als „nennenswert“ ein.

Spitzenplatz für Berlin

Schrooten untersuchte zudem, wieviel die Bundesländer pro Schülerin und Schüler an öffentlichen Schulen (allgemein- und berufsbildende) investieren. Berücksichtigt wurden unter anderem „Ausgaben für Personal, Beihilfeaufwendungen, Sachkosten und die Investitionen“. Besonders schlecht schneidet NRW ab: 2010 lagen die Ausgaben pro Schülerin und Schüler bei 5.200 Euro. 2019 waren es 7.200 Euro – letzter Platz im Ranking. Zum Vergleich: In Bayern kletterten die Ausgaben im selben Zeitraum von 6.400 Euro auf 9.300 Euro. Sachsen meldet einen Zuwachs von 7.000 Euro auf 8.100 Euro. Besonders hohe Zahlen kommen aus den beiden größten Stadtstaaten. In Hamburg stiegen die Ausgaben von 7.100 Euro auf 10.600 Euro. Berlin, Spitzenreiter unter den Ländern, meldet für 2010 Ausgaben von 7.000 Euro, 2019 waren es 11.300 Euro.

Auch bei der prozentualen Veränderung der Ausgaben pro Schülerin und Schüler von 2010 bis 2019 liegen Hamburg und Berlin vorn. Berlin bringt es auf ein Plus von 61 Prozent, Hamburg folgt mit knapp 50 Prozent. Bayern meldet rund 45 Prozent Mehrausgaben. NRW liegt mit 38 Prozent diesmal auf Platz 5. Den Schluss bilden Sachsen (rund 15 Prozent), Thüringen (12 Prozent) und Sachsen-Anhalt (5 Prozent).

„Bis sich die deutlich hochgefahrene Mittelausstattung in Berlin in einer feststellbar höheren Bildungsqualität niederschlägt, werden Jahre vergehen.“ (Mechthild Schrooten)

Warum die beiden Stadtstaaten in der Studie so gut abschneiden, begründet Schrooten mit „Sondereffekten“. Dazu zählten „Bevölkerungsstruktur, sozio-demografische Merkmale, Zuwanderung, aber auch das Pendelverhalten von Schülerinnen und Schülern“. Denn wer in Hamburg oder Berlin zur Schule geht, wohnt oftmals im benachbarten Bundesland. Schrooten warnt jedoch, den Spitzenplatz von Berlin allzu hoch zu bewerten. „Bis sich die deutlich hochgefahrene Mittelausstattung in Berlin in einer feststellbar höheren Bildungsqualität niederschlägt, werden Jahre vergehen.“ Bildung sei „kein kurzfristiges Geschäft“.

Die hohen Pro-Kopf-Ausgaben für Schülerinnen und Schüler in Berlin lassen sich womöglich damit erklären, dass dort der Ganztagsanteil mit 72 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 50 Prozent liegt. Darauf verweist Klaudia Kachelrieß, Referentin im Vorstandsbereich Schule der GEW Berlin. „Eine weitere Berliner Besonderheit ist der hohe Anteil vollschulischer Ausbildungen.“ Kachelrieß stellt dennoch klar: Aus GEW-Sicht ist die personelle Ausstattung der Berliner Schulen „völlig unzureichend“.

Auch Hamburg habe einen hohen Anteil an Ganztagsschulen, berichtet Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der GEW Hamburg. Zudem sei es in der Hansestadt gelungen, die Inklusion voranzutreiben. „Viele Schulgebäude sind heute barrierefrei.“ Außerdem habe Hamburg nach 2017 für die Inklusion rund 300 zusätzliche Stellen für pädagogisches Personal geschaffen. „Das alles kostet Geld“, unterstreicht Bensinger-Stolze, „ist aber immer noch nicht ausreichend.“

„Strukturelle Schwächen“

Die Studie analysiert zudem Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für 2017. Diesen zufolge lagen die Ausgaben Deutschlands (öffentlich und privat) pro Schülerin und Schüler für die Sekundarstufen I und II bei 13.283 US-Dollar. Das liegt zwar über dem OECD-Durchschnitt – aber unter den Werten von Ländern wie Südkorea (13.579 US-Dollar), Kanada (13.891 US-Dollar) oder Norwegen (15.735 US-Dollar). Betrachtet man die Gesamtausgaben für Primar- und Sekundarstufe in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so liegt Deutschland lediglich auf Platz 27 von 35 OECD-Staaten. Diese Ergebnisse dokumentierten „strukturelle Schwächen“, heißt es in der Studie.

Die Bremer Professorin begrüßt, dass Bund und Länder aufgrund der Covid-19-Pandemie zusätzliche Mittel bereitstellen. Der Nachholbedarf sei jedoch „immens“. Deutlich werde, dass die „Schuldenbremse“ erhebliche Kosten bei der Zukunftsgestaltung verursacht habe. „Deutschlands Versäumnisse in der Vergangenheit sollen nun in einer Krisen- und Notsituation überwunden werden. Dies stellt extrem hohe Anforderungen an alle Beteiligten.“ Wohl wahr.