Zum Inhalt springen

Sperrkonten-Skandal

Im Labyrinth der Bürokratie

Ausländische Studierende, heißt es immer wieder, sind an den Hochschulen sehr willkommen. Doch in der Praxis sieht es oft anders aus, wie der immer noch schwelende sogenannte Sperrkonten-Skandal zeigt.

Unseriöse Geschäfte eines Anbieters haben Hunderte Studierende aus Nicht-EU-Ländern in Deutschland in finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Der Anbieter zahlte die monatlichen Tranchen nicht aus. (Foto: IMAGO/Eibner)

Ende Juni standen Hunderte ausländische Studierende plötzlich mittellos da. Der Sperrkonten-Anbieter BAM – Bundesweites Anlagenmanagement UG (haftungsbeschränkt) –, dem sie Tausende Euro anvertraut hatten, zahlte die monatliche Rate einfach nicht aus. Viele gerieten in existenzielle Not, konnten Miete und Krankenversicherung nicht zahlen. Die Finanzaufsicht BaFin schaltete sich ein. Doch bei Redaktionsschluss der E&W Anfang Oktober war der Skandal noch immer nicht vollständig aufgearbeitet. Vielmehr gibt es Hinweise, dass noch weitere Anbieter unzulässige Geschäfte tätigen. „Es bahnt sich schon die nächste Katastrophe an“, sagt Fabian de Planque, Finanzexperte des Bundesverbands ausländischer Studierender (BAS), gegenüber E&W.

Um zu verstehen, was passiert ist, muss man zunächst einen Blick auf die Situation ausländischer Studierender werfen. „Ihre Zahl wächst seit Jahren beständig“, sagt Michael Flacke vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). „Sie sind sehr willkommen.“ Viele kommen aus China, Indien und dem Nahen Osten. Besonders häufig studieren sie Ingenieurwissenschaften oder andere technische Fächer. Wenn sie nach dem Studium in Deutschland bleiben, sind sie – gerade angesichts des Fachkräftemangels – begehrte Arbeitskräfte, gut ausgebildet und mit Land und Sprache vertraut. Die jüngste Erhebung des DAAD kommt aktuell auf 325.000 internationale Studierende. Knapp 78 Prozent davon, rund 253.000, stammen nicht aus der Europäischen Union (EU), den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) Norwegen, Island und Liechtenstein sowie der Schweiz.

Viele Hürden

Allerdings wird es dieser größten Gruppe unter den ausländischen Studierenden nicht gerade leicht gemacht. Um ein Studienvisum zu erhalten, sei ein „Riesenaufwand“ nötig, beklagt der BAS. Studienwillige müssen sich mit Formularen in schwer verständlichem Deutsch herumschlagen. Auf einen Termin für einen Visumsantrag in der deutschen Botschaft warten sie teilweise sehr lange. Und dann ist da noch das Finanzielle.

Studiengebühren gibt es zwar auch für internationale Studierende nicht (Ausnahmen sind Baden-Württemberg, wo sie seit vier Jahren 1.500 Euro pro Semester zahlen müssen, und Sachsen, hier können Hochschulen optional Gebühren erheben). Eine Menge Geld müssen sie dennoch mitbringen – zum „Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts“, also um zu belegen, dass sie ihr Studium selber finanzieren können. „Der Nachweis ist für viele eine der größten Hürden, um in Deutschland studieren zu können“, sagt Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW).

Hoher bürokratischer Aufwand

Der Nachweis kann auf unterschiedliche Weise erbracht werden. Man kann eine Bescheinigung über ein Stipendium vorlegen. Oder eine notariell beglaubigte Erklärung der Eltern plus Nachweis über deren Einkommen. Oder eine Verpflichtungserklärung von jemand mit Wohnsitz in Deutschland, dass er oder sie die Kosten übernimmt. Oder man richtet ein Sperrkonto ein – was die meisten tun.

Auch hier ist der bürokratische Aufwand beträchtlich. Man muss sich einen Sperrkonten-Anbieter suchen und gut 10.000 Euro für ein Jahr hinterlegen. Die Summe errechnet sich aus dem BAföG-Höchstsatz von derzeit 861 Euro pro Monat; vor zwei Jahren lag dieser noch bei 720 Euro. Viele sparen sich das Geld zusammen oder nehmen einen Kredit auf. Nach der Einreise in Deutschland zahlt der Anbieter das Geld in Monatstranchen aus. Nach Ablauf des Jahres muss bei der Ausländerbehörde das Visum verlängert und wieder ein Finanzierungsnachweis erbracht werden.

Ohne Prüfung und Kontrolle

Bei so vielen Nachweisen von Solidität, die ausländischen Studierenden abverlangt werden, ist eigentlich zu erwarten, dass sich auch die deutschen Behörden solide verhalten und die Sperrkonten-Anbieter überprüfen und kontrollieren. Doch das ist in der Regel nicht der Fall. Jeder kann als Anbieter mitmischen und mit den Servicegebühren, die Studierende zahlen müssen, ein Geschäft machen. Ohne Prüfung und Kontrolle haben unseriöse Anbieter leichtes Spiel.

Wie der Anbieter BAM. Er legte das Geld der Studierenden nicht auf deren Namen an, sondern auf einem eigenen Konto. Das aber ist ein „Einlagengeschäft“, das nur Banken erlaubt ist. Die BaFin ordnete im Juli daher die sofortige Einstellung des Geschäfts an. Das meiste Geld ist laut BAS inzwischen rückerstattet, jedoch nicht vollständig.

Dass sich viele ausländische Studierende für BAM entschieden, lag nicht bloß an den scheinbar besonders günstigen Konditionen. Der Anbieter verlangte nur einmalig 60 Euro Gebühren; bei der Deutschen Bank etwa sind es 150 Euro plus monatlich 6,90 Euro. Wichtig war auch die Anbieterliste des Auswärtigen Amtes, an der die Studierenden sich orientierten. Dort war auch BAM aufgeführt. Dass die Gelisteten nicht kontrolliert wurden, war nicht zu erkennen.

Das Amt hat die Liste mittlerweile von seiner Website genommen, um sie zu überarbeiten, weist aber jede Verantwortung von sich. „Wir haben ja dazugeschrieben, dass die Liste keine Empfehlung ist“, sagt eine Sprecherin auf Nachfrage. Der Fall BAM sei ein bedauerlicher Einzelfall.

Sozial ungerecht

Das könnte sich als Irrtum erweisen. Nach BAS-Informationen führt auch ein weiterer Anbieter die Konten offenbar auf ähnliche Weise wie BAM nicht im Namen der Studierenden und würde somit ebenfalls unzulässige Geschäfte betreiben. Der Verband hat sich zur Klärung bereits an die BaFin gewandt.

Um künftig Missbrauch zu verhindern, fordert BAS-Geschäftsführer Johannes Glembek mehr Kontrollen – und eine grundsätzliche Neuausrichtung der bisherigen Praxis. „Ausländische Studierende können sowieso keine Transferleistungen beziehen“, gibt er zu bedenken. „Also könnte man den Finanzierungsnachweis gleich ganz abschaffen.“

Das sieht auch die GEW so. „Die Pflicht zur Einrichtung eines Sperrkontos ist demütigend und sozial ungerecht“, sagt Vorstandsmitglied Andreas Keller. Seine Forderung: „Wer einen Studienplatz an einer Hochschule in Deutschland hat, sollte gefördert werden, unabhängig von Herkunft und Staatsangehörigkeit.“