Seniors for Future
Ihr werdet gebraucht!
Längst gehen nicht mehr nur die Jungen für das Klima auf die Straße. Auch die Älteren ziehen mit. Sie werden gebraucht, damit ein kraftvolles, generationenübergreifendes Bündnis entsteht.
An diesem Freitagmittag stehen sie dicht an dicht, die Jacken bis oben zugeknöpft, die Transparente in die Luft gestreckt. „Climate is changing. Why aren‘t we?“ – „Opa, was ist ein Schneemann?“ Der junge Mann auf der Bühne tritt ans Mikrofon. „Are you here to save the planet?“. „Jaaa“, ruft die Crowd und skandiert: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.“
Berlin, Brandenburger Tor, Black Climate Friday in Berlin. Zehntausende sind an diesem Novembertag gekommen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Bemerkenswert: Es sind nicht nur Schülerinnen und Schüler sondern auffällig viele Ältere jenseits der 60 Jahre und weit darüber hinaus. Keine Frage, Klimaschutz ist auch für Seniorinnen und Senioren ein Thema geworden. Ältere gehen für das Klima auf die Straße oder engagieren sich in Organisationen – von Greenpeace bis zu den Omas gegen rechts.
„Viele waren in ihrer Jugend in der Friedens-, Umwelt- oder Frauenbewegung aktiv. Sie haben Protest als Habitus der politischen Einmischung erlernt.“ (Simon Teune)
Schon 2017 ergab eine Auswertung des Sozioökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin: Es sind nicht nur die Jugendlichen, die sich um die Zukunft der Erde sorgen, sondern genauso die Menschen über 65. Armin Nassehi, Soziologieprofessor an der Universität München, hält das keineswegs für überraschend. „Oft wird argumentiert, die Alten hätten kein Interesse an dem Thema, weil sie die Folgen des Klimawandels nicht mehr erleben werden. Ich halte das für naiv. Natürlich spielen in dieser Frage nicht nur persönliche Interessen eine Rolle.“
Die Protestforschung zeigt sogar, dass sich Menschen generell nicht ausschließlich aus persönlicher Betroffenheit engagieren. „Ausschlaggebend sind vielmehr Solidarität und persönliche Überzeugung“, so Simon Teune von der Technischen Universität Berlin. Bei den Protesten gegen die Agenda 2010 kurz nach der Jahrtausendwende etwa war die Mehrheit der Demonstranten von den Regelungen gar nicht betroffen.
Dass sich nun auffallend viele Ältere den Klimaprotesten anschließen, liegt nach Einschätzung Teunes auch daran, dass sie oft an eigene Protesterfahrungen anknüpfen können. „Viele waren in ihrer Jugend in der Friedens-, Umwelt- oder Frauenbewegung aktiv. Sie haben Protest als Habitus der politischen Einmischung erlernt.“ Wenn es wieder ein wichtiges Thema gibt, das sie berührt, stehen sie auf der Straße. Wie bei Stuttgart 21 und jetzt bei Fridays for Future.
„Sie haben Zeit, Erfahrung und Expertise, um etwas zu bewegen.“
Neu bei den Klimaprotesten: Statt Generationenkonflikt, gibt es den Wunsch nach Generationenkooperation. Nassehi: „Denn im Gegensatz zu den 68ern geht es der Bewegung nicht um Abgrenzung von den Älteren, weder inhaltlich noch ästhetisch.“ Eltern und Großeltern sind vielmehr Verbündete, die die Dinge wieder in Ordnung bringen sollen. Protestforscher Teune sieht daher im Engagement der Seniorinnen und Senioren „enormes Potenzial. Denn sie haben Zeit, Erfahrung und Expertise, um etwas zu bewegen.“
Der „Dialog“ der „E&W“ hat sich unter Protestlern jenseits der Rente umgehört: Was tun sie, was motiviert sie, was wollen sie erreichen?
- Ilona Wilhelm (69), Demoaktivistin, ehem. Lehrerin, Hamburg
„Die Demos sind großartige Erlebnisse. Nur strahlende Gesichter, freundliche Atmosphäre, eine bunte Mischung von Menschen, Jung und Alt. Die Stadt steht still. Mich hat das an die Friedens- und Anti-AKW-Bewegung erinnert. Damals bin ich morgens um 4 Uhr aufgestanden, mit Bussen ging es nach Brokdorf, Gorleben, Grohnde. Die Schlachten mit der -Polizei werde ich nie vergessen. Es war eine Massenbewegung von unten, unabhängig von den Parteien, so wie Fridays for Future -heute. Auch die Formen sind ähnlich. Transparente, Parolen, Straßenblockaden, gewaltfreier Widerstand. Heute eben Social Media statt Flugblättern. Schon in den 1980er-Jahren war vieles bekannt über den Klimawandel, aber es wurde verdrängt. Als Chemielehrerin habe ich zwar im Unterricht das Thema immer behandelt. Was passiert da? Welche Folgen hat das für das Leben auf der Erde? Aber meine Generation hat zu wenig Konsequenzen gezogen. Umso mehr kommt es jetzt darauf an: Wir müssen die Jungen unterstützen. Sie -haben ja recht: Wir brauchen Systemchange statt Klimachange. Ungebremstes Wachstum geht nicht ökologisch.“
- Renate Christians (64), Omas gegen rechts, medizinische Dokumentarin, Berlin
„Ich fühle mich ein bisschen mitschuldig an dem Klimanotstand. Lange habe ich mir über Konsum keine Gedanken gemacht, er gehörte halt zum Leben dazu. Zu hinterfragen begonnen habe ich erst nach Tschernobyl 1986. Danach war ich in einer Friedensgruppe aktiv, später bei Initiativen gegen Ausländerfeindlichkeit. Nach meiner Rente bin ich nach Berlin gezogen, weil hier mein erstes Enkelkind lebt. Bei einer Demo der Bürgerbewegung Pulse of Europe habe ich die Omas gegen rechts kennengelernt. Seitdem bin ich dabei. Wir sind mehr als 50 aktive Omas in Berlin, die älteste ist etwa 80 Jahre alt, auch ein paar Opas gehören dazu. Zweimal im Monat treffen wir uns, planen zum Beispiel Aktionen für Klimaschutz oder gegen rechts. Einige von uns sitzen bei Fridays for Future mit in den Planungsausschüssen. Heute haben wir Klimapäckchen gepackt, so klein, dass man sie bei der Post aufgeben könnte – symbolisch. Ich finde es wichtig, dass die Jungen sehen: Wir stehen hinter euch.“
- Christina Macht (71), Greenpeace, Mediatorin an einer Grundschule, Passau
„Früher habe ich mich in Mutlangen gegen die Stationierung der Pershing-Raketen an die Gleise gekettet. Seit 15 Jahren engagiere ich mich bei Greenpeace, inzwischen geht es dabei vor allem ums Klima. Wir machen zum Beispiel Gruppenaktionstage an Schulen zu Fleischkonsum oder Tierhaltung – über das Leben eines Hühnchens in einem DIN-A4-Blatt großen Käfig. Es ist doch irre: Wenn wir unseren Lebensstil nicht radikal ändern, gibt es die Erde bald so nicht mehr. Bei Greenpeace gibt es auch Gruppen für Ältere: Greenpeace 50+. Die meisten sind so um die 70 Jahre. In dem Alter kann man ja nicht mehr so einfach auf Bäume im Hambacher Forst klettern. Dafür können wir Rentner mal eben eine Woche lang in die Lausitz fahren und Leute befragen: Wie findet ihr es, wenn keine Kohle mehr gefördert würde? In der Passauer Gruppe mögen wir es lieber gemischt. Viele Ältere sind protesterfahren und kennen sich politisch besser aus. Die Jungen haben interessante Ideen, zum Beispiel wie man mit Hilfe einer Projektion mit dem Beamer bessere Plakate zeichnen kann.“
- Konstantin Wecker (72), Liedermacher, München
„Ich unterstütze Fridays for Future von Herzen, rufe auf meiner Website zum Klimastreik auf, poste Statements gegen rechte Leugner der Klimakatastrophe. Zu meinen Konzerten kommen manchmal junge Aktivisten und Aktivistinnen. Da ist ein neues 68 entstanden. Ich war 1968 mittendrin. Die Konterrevolution konnte damals siegen, weil in den 1970er-Jahren unter uns Linken unglaubliche ideologische Grabenkämpfe geführt wurden. Marxisten, Trotzkisten, DKP und wer weiß noch alles. Alle waren der Meinung, sie allein wüssten, wie die Welt zum Guten zu wenden sei. Es gab lauter -Isten und -Ismen. Der Neoliberalismus – ein besonders starker -Ismus, auch wenn er das Gegenteil behauptet – hat das ausgenutzt. Das darf nicht wieder passieren. 1968 habe ich mich offen zur Anarchie bekannt. Ich glaube, das ist ein gutes Rezept. Anarchisch bleiben. Und vor allem: ungehorsam. Diese ganze Protestbewegung muss eine Bewegung gegen den Kapitalismus sein, weil der Kapitalismus einfach versagt hat.“
Protest lohnt sich
Klimagerechtigkeit hat eine starke Stimme in der GEW. Wir unterstützen Schülerinnen und Schüler, die freitags streiken; wir fördern Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schulen, Kitas und Hochschulen. Und zu Recht war im vergangenen Sommer Klimagerechtigkeit das zentrale Thema auf dem 8. Weltkongress der Bildungsinternationale in Bangkok.
Es steht außer Zweifel: Das Bildungswesen muss sich endlich angemessen um das Thema Klimagerechtigkeit kümmern. Bildung ist ein wirksames Instrument, um das Bewusstsein für die globale Klimakrise zu schärfen und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger heranzuziehen. Im Unterricht, in Projekten, auf Exkursionen – für das Thema nachhaltige Entwicklung gibt es überall Anknüpfungspunkte.
Klar ist auch: Klimaschutz ist keine Frage des Alters. Er geht uns alle an. Und alle können etwas für ihn tun. Gerade die ältere Generation ist gefragt, denn sie weiß, was Protest bedeutet, wie man ihn voranbringt – auch und gerade, wenn es um Umwelt geht. Die Anti-Atomkraft-Bewegung, die Proteste gegen das Waldsterben, die Gründung der Grünen – als die Älteren jung waren, haben sie hier viel bewegt. Heute können sie den Jungen Mut machen: Protest lohnt sich, findet euren Weg! Und sie können das Thema als Großeltern in die Familien tragen – Leute, hört den Jungen zu. Die Entwicklung des Klimas ist entscheidend für unser aller Leben. Im generationenübergreifenden Miteinander bekommt Fridays for Future einen neuen Schub.
Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik