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Ausstellungen

„Ihr müsst herausfinden, warum“

Zwei aktuelle Ausstellungen setzen sich mit Rassismus auseinander: In Dresden erklärt das Deutsche Hygiene-Museum die historische Erfindung der Rassen-Idee, in Frankfurt am Main erkunden Jugendliche interaktiv Leben und Werk von Anne Frank.

Gängige Stereotype auf den Kopf gestellt: Weiße Mittelstandfrauen massieren asiatischen Frauen die Füße - zu sehen im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Foto: Chris Buck
  • Gefährliches Hirngespist

Die Vorstellung von menschlichen Rassen ist kein naturwissenschaftliches Phänomen, sondern eine ideologische Kopfgeburt des 18. Jahrhunderts. Das macht die Ausstellung „Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassenm Deutschen Hygiene-Museum in Dresden gleich zu Beginn deutlich. Minutiös wird dort nachgezeichnet, wie Forscher und Seefahrer im 18. Jahrhundert damit begannen, in aller Welt nicht nur Pflanzen und Tiere zu klassifizieren – sondern ebenso Menschen. Klar wird: Auch während der Französischen Revolution galten die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht für alle – vor allem nicht für „Wilde“. Im Gegenteil: Die Idee von menschlichen Rassen sollte vielmehr Ausbeutung und Versklavung rechtfertigen.

Die Sonderschau im Hygiene-Museum zeigt auf 800 Quadratmetern rund 400 meist eindrucksvolle Exponate. Darunter sind Schädelmessgeräte, Hautfarben- und Haar-Tafeln ebenso wie Bilder von „Völkerschauen“ aus der deutschen Kaiserzeit; ein Koffer von „Geisterjägern“ ebenso wie Spielfiguren und die ironische Bronzeplastik eines Affen, der einen menschlichen Schädel betrachtet. In rund 70 Videos kommen Menschen aus der ganzen Welt zu Wort, unter ihnen der „Negerschriftsteller“ – wie er sich selbst nannte – James Baldwin. Er sagt: „Es waren die Weißen, die den ,Nigger‘ erfunden haben. Ihr müsst herausfinden, warum.“ Bis heute gültige Stereotype stellt ein Foto des New Yorker Künstlers Chris Buck auf den Kopf: Man sieht weiße Mittelstandsfrauen auf Hockern und mit Schürzen, die kichernden asiatischen Frauen die Füße massieren.

In einem selbstkritischen Teil der Ausstellung widmet sich das Museum exemplarisch seiner eigenen Geschichte: Nach der Gründung im Jahr 1912 hatte es selbst „Rassenhygiene“ propagiert. Fortpflanzung sollte der Gesundheit des Volkes dienen. Später erstellte man im Auftrag der NSDAP Schautafeln über Rassen des deutschen Volkes und versuchte, den Antisemitismus zu begründen. Die Zeiten und das Wissen haben sich geändert – heute sieht man im Dresdner Museum die Welt naturgemäß anders. Gleich über dem Eingang prangt ein Zitat des Arztes und Wissenschaftlers Magnus Hirschfeld: „Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr.“

Das Museum bietet Führungen und Projekte für Schulklassen an, darüber hinaus unterschiedliche Fortbildungen für Lehrkräfte.

Sven Heitkamp, freier Journalist

Junge Menschen für Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung sensibilisieren will die Frankfurter Ausstellung „Anne Frank. Morgen mehr“. Foto: Bildungsstätte Anne Frank/Felix Schmitt
  • „Anne Frank. Morgen mehr.“

Unweit des Geburtshauses von Anne Frank in Frankfurt am Main können Jugendliche in einem interaktiven Lernlabor Leben und Werk des deutsch-jüdischen Mädchens kennenlernen, das symbolisch für die Opfer des Nationalsozialismus steht. „Kein Museum“, betont die Anne-Frank-Bildungsstätte, „sondern ein Ort der Auseinandersetzung und der Debatte“ soll das neue Ausstellungsformat sein. Es sensibilisiere junge Menschen für Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung in der Gegenwart, sagte Direktor Meron Mendel Mitte Juni bei der Eröffnung des Lernlabors unter dem Titel: „Anne Frank. Morgen mehr.“ Mit diesen Worten endet auch der erste Tagebucheintrag, den Anne Frank in ihrem Versteck in Amsterdam verfasste.

Anne Frank wuchs in Frankfurt am Main auf, floh mit ihrer Familie vor den Nazis in die Niederlande und wurde mit 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen ermordet. Die Ausstellung zeigt eine Kopie ihres weltberühmten Tagebuchs, verzichtet sonst aber auf Exponate und setzt stattdessen auf Interaktion. So können die Jugendlichen beispielsweise virtuell das Hinterhaus erkunden, in dem sich die Familie bis zu ihrer Verhaftung versteckte, und die Beklemmung selbst erleben.

Sie begegnen auch anderen jungen Menschen, die ihre Stimme gegen Unrecht erhoben haben: etwa der pakistanischen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, die als Schülerin in einem Blog über die Gewalttaten der Taliban berichtete. Oder dem transsexuellen britischen YouTuber Jamie Raines, der seinen Weg vom Mädchen zum Mann schildert. Botschaft: „Deine Meinung zählt!“

Die Besucherinnen und Besucher sollen sich auch mit eigenen Stereotypen auseinandersetzen. „Wir kommen aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger“, so Mendel. „Im Gegenteil: Wir zeigen, dass es Spaß machen kann, sich selbst zu hinterfragen und irritieren zu lassen.“ An einer Ausstellungsstation können die Jugendlichen eine „Rassistenbrille“ aufsetzen – und erleben, wie Stereotype entstehen. So verwandelt sich ein junger Mann in einen gefährlichen Gangster, eine Frau in eine „Zigeunerin“. An anderer Stelle sollen die Lernlabor-Besucher entscheiden, in welchen Situationen ihrer Meinung nach Zivilcourage gefragt ist.

Die Ausstellung richtet sich vor allem an Schulklassen und Jugendgruppen. Sie werden auf ihrem Rundgang jeweils von jungen Trainerinnen und Trainern begleitet.

Kathrin Hedtke, freie Journalistin