- Gefährliches Hirngespist
Die Vorstellung von menschlichen Rassen ist kein naturwissenschaftliches Phänomen, sondern eine ideologische Kopfgeburt des 18. Jahrhunderts. Das macht die Ausstellung „Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassenm Deutschen Hygiene-Museum in Dresden gleich zu Beginn deutlich. Minutiös wird dort nachgezeichnet, wie Forscher und Seefahrer im 18. Jahrhundert damit begannen, in aller Welt nicht nur Pflanzen und Tiere zu klassifizieren – sondern ebenso Menschen. Klar wird: Auch während der Französischen Revolution galten die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht für alle – vor allem nicht für „Wilde“. Im Gegenteil: Die Idee von menschlichen Rassen sollte vielmehr Ausbeutung und Versklavung rechtfertigen.
Die Sonderschau im Hygiene-Museum zeigt auf 800 Quadratmetern rund 400 meist eindrucksvolle Exponate. Darunter sind Schädelmessgeräte, Hautfarben- und Haar-Tafeln ebenso wie Bilder von „Völkerschauen“ aus der deutschen Kaiserzeit; ein Koffer von „Geisterjägern“ ebenso wie Spielfiguren und die ironische Bronzeplastik eines Affen, der einen menschlichen Schädel betrachtet. In rund 70 Videos kommen Menschen aus der ganzen Welt zu Wort, unter ihnen der „Negerschriftsteller“ – wie er sich selbst nannte – James Baldwin. Er sagt: „Es waren die Weißen, die den ,Nigger‘ erfunden haben. Ihr müsst herausfinden, warum.“ Bis heute gültige Stereotype stellt ein Foto des New Yorker Künstlers Chris Buck auf den Kopf: Man sieht weiße Mittelstandsfrauen auf Hockern und mit Schürzen, die kichernden asiatischen Frauen die Füße massieren.
In einem selbstkritischen Teil der Ausstellung widmet sich das Museum exemplarisch seiner eigenen Geschichte: Nach der Gründung im Jahr 1912 hatte es selbst „Rassenhygiene“ propagiert. Fortpflanzung sollte der Gesundheit des Volkes dienen. Später erstellte man im Auftrag der NSDAP Schautafeln über Rassen des deutschen Volkes und versuchte, den Antisemitismus zu begründen. Die Zeiten und das Wissen haben sich geändert – heute sieht man im Dresdner Museum die Welt naturgemäß anders. Gleich über dem Eingang prangt ein Zitat des Arztes und Wissenschaftlers Magnus Hirschfeld: „Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr.“
Das Museum bietet Führungen und Projekte für Schulklassen an, darüber hinaus unterschiedliche Fortbildungen für Lehrkräfte.
Sven Heitkamp, freier Journalist