Wie schon bei vergangenen Tagungen wurden die ca. 40 TeilnehmerInnen in der Heimvolkshochschule Mariaspring bei Göttingen wieder sehr fürsorglich betreut. - „Du und ich – vom selben Stern“, war das Motto des Kennenlernens am Freitagabend. Durch verwirrende und verwirrte Fäden hindurch fand man sein Gegenüber, mit dem man in einer kreativen Präsentation seine Auslandserfahrungen dem Plenum vorstellte. In der gelösten Atmosphäre wurde schon jetzt deutlich: Hier lohnt sich das Hinhören und Mitreden sehr. Von Kirgisien über die Mongolei, Russland, die MOE Staaten bis nach Mexiko und Ecuador waren spannende Vorträge zu erwarten, wobei die Tagung auf den bewährten drei Säulen Rückkehrerberichte, Arbeitsgruppen und Referentenvorträge stand.
Am nächsten Tag hielt der Soziologe und Philosoph Oskar Negt ein Grundsatzreferat zum Tagungsthema: „Lehren unter globalisierten Bedingungen: Hehre Ziele - zersplitterte Beschäftigungsverhältnisse - Gegenstrategien“. „Die Ursachen für die Finanzkrise ist, dass die reale Wertschöpfung, also das was Menschen produzieren, überhaupt keine Bedeutung mehr hat. Die Finanz- und Devisenmärkte haben sich von der realen Wirtschaft abgekoppelt“. In den letzten 25 Jahren ist die Leistungskapazität der Wirtschaft um 300 % gestiegen, die Wertschöpfung der Zertifikate an der Börse dagegen um 3000 %. Einem US-Dollar aus der realen Wirtschaft stehen 340 $ aus der virtuellen Finanzwelt gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist auch die Kritik des Bundespräsidenten Horst Köhler zu verstehen, der die Bankmanager aufforderte, sich wieder wie Bankiers zu verhalten, nämlich als Treuhänder des Geldes anderer, und nicht wie Banker!
Doch für Oskar Negt ist die ökonomische Situation ein, aber nicht der entscheidende Faktor einer grundlegenden Krise. In den letzten 25 Jahren ist das gesellschaftliche Bindungsgewebe zerstört worden, was sich u.a. an der Beliebigkeit der Beschäftigungsverhältnisse zeigt.
Die Bindungsbedürfnisse der Menschen jedoch sind geblieben. „Wenn eine demokratische Gesellschaft keine Bindungen zu bieten vermag, suchen sich die Menschen die Bindungen woanders ... Wir leben in einer haltlosen Welt und eine haltlose Welt ist gewaltbereit". Wir haben es mit einer kulturellen Rezession zu tun. Alte Werte gelten nicht mehr, die Beschwörung der Familie reicht nicht zur Krisenbewältigung. Neue Werte werden intensiv gesucht. Wir sind in einer Krise der Arbeitsgesellschaft, auch durch die Rationalisierung der Arbeitskraft in der Warenproduktion.
Die Dreiteilung der Gesellschaft in a) Etablierte, b) permanent in prekären Verhältnissen Lebende und c) in die wachsende Armee der Überflüssigen manifestiert sich. Was bedeutet dies für den Bildungs- und Erziehungsprozess? "Alles hat seine Zeit" aus den Sprüchen Salomo gilt nicht mehr. Heute werden Erziehung und Bildung nach betriebswirtschaftlichen Mentalitäten organisiert und bewertet. Alles hat nur eine Zeit. Die Reflexionsprozesse der Lernenden werden wegrationalisiert und in Module zerhackt.
Diese Zweckrationalität, angewandt auf Bildungsprozesse, hat fatale Folgen, denn das Menschenbild wird auf den „allzeit verfügbaren Menschen“ reduziert. Humboldts Idee dagegen war, durch Wissenschaft die Welt zu durchdenken. Bildung bedeutete: „Ich lege Vorräte an“. Es wird Zeit für eine neue Utopie. Man muss wieder anfangen von einer neuen, besseren Gesellschaft zu träumen. Der Realismus der Neoliberalen ist in einer entsetzlichen Weise gescheitert. Oskar Negt warnt alle Lehrerinnen und Lehrer vor dem „depressiven Zirkel“ und mahnt: „Wenn Lehrer anfangen Realisten zu sein, dann werden sie gefährlich.“ Ohne Utopie geht es nicht mehr. „Utopie ist die konkrete Verneinung eines als unerträglich betrachteten Zustandes mit dem Willen und Bewusstsein, diese Tatsachen zu verändern.“
In der anschließenden Aussprache wurde u.a. das Problem der deutschen Auslandslehrer mit Billig-Vergütung angesprochen, das sich nach dem Fall der Mauer immer mehr stellt. An der Zersplitterung der Arbeitsverhältnisse sowie dem Teilnehmerkreis orientierten sich auch die Arbeitsgruppen. Die Ortslehrkräfte (OLK), als von den Auslandsschulen „frei“ angeworbene Lehrkräfte; die Landesprogrammlehrkräfte (LPLK) - von den einzelnen Bundesländern an Partnerländer vermittelte Lehrkräfte, die Bundesprogrammlehrkräfte (BPLK) und die Auslandsdienstlehrkräfte (ADLK) - vom Bund vermittelt, sowie eine Gruppe, die sich mit Strukturen und Perspektiven schulischer Arbeit im Ausland beschäftigte.
Einen weiteren Programmschwerpunkt bildete die Podiumsdiskussion zum Tagungsthema. Stefan Krawielicki (AA, Abteilung Kultur und Kommunikation), Joachim Lauer (Abteilungspräsident im BVA, Leiter der ZfA), Friedrich Broeckelmann (KMK), Dr. Anja Nussbaum (Geschäftsführerin des WDA) und Otto Herz stellten ihre Positionen zum Auslandsschuldienst dar. Herr Krawielicki berichtet über die PASCH- Initiative (Partnerschulinitiative), von Außenminister Steinmeier, nach der das Netz von Partnerschulen auf 1000 erhöht werden soll. Dafür sind im Haushaltsplan bis Ende 2009 Mittel bereitgestellt. Außerdem soll die Zahl der ADLK-Stellen erhöht werden. Dem steht entgegen, dass es Probleme beim Versorgungsausgleich einzelner Bundesländer gibt.
Herr Lauer begrüßt die PASCH-Initiative, die eine Aufwertung der schulischen Arbeit im Ausland bedeutet, fragt aber nach deren Nachhaltigkeit über 2009 hinaus. Außerdem berichtet er über Pläne, die verschiedenen Sprachprüfungen, DSD und Goethe, zusammenzuführen. Herr Broekelmann betont die positive Rolle, die deutsche LehrerInnen an Schulen im Ausland übernehmen. Frau Nussbaum stellt heraus, dass 17 Mio. Menschen auf der Welt Deutsch lernen, deren Zahl aber kontinuierlich zurückgeht. Von daher sei PASCH uneingeschränkt zu begrüßen. Die Folgen der Wirtschaftskrise seien bereits spürbar: Es werden weniger Experten ins Ausland geschickt und Sponsorengelder seien schwerer zu bekommen. Otto Herz fragt, ob die Rolle der deutschen Auslandsschulen bei der „allgemeinen Weltinnenpolitik“ nicht auch neu gedacht und stark weiterentwickelt werden müsse.
In der anschließenden engagierten Diskussion wurde vom Plenum nachdrücklich die Frage nach den Beschäftigungsverhältnissen und den Arbeitsverträgen gestellt. So fordert die AGAL schon seit langem Mindeststandards für Ortslehrkräfte an Deutschen Schulen im Ausland. Einen anderen Schwerpunkt bildeten die Bedingungen für mitausreisende Familien, die häufig mit massiven Problemen zu kämpfen haben. Die Frage nach der Akzeptanz demokratischer Strukturen sowie Transparenz in Leitung und Verwaltung, ein Dauerbrenner bei der Diskussion über Auslandsschulen, wurde wiederholt aufgeworfen.
In einem äußerst erfrischenden Vortrag zum Thema: „Das ABC der guten Schule auch im Auslandsschulwesen?“ stellte der Pädagoge und Psychologe Otto Herz den Zuhörern die „Lernziele für ein zukunftsfähiges Leben“ vor. Als kreativer Pionier für das Lernen am Wesentlichen nahm er seine Zuhörer mit zu einer Reise in den Himalaya, wo er in einem kleinen Museum die „33 personal qualities needed for development of a child“ entdeckte. Wenn man davon ausgeht, dass die Voraussetzungen für Lernen von der „Zustimmung des Subjektes zu den Lerngegenständen“ abhängt, wird der Unterschied zu unseren gültigen Curricula schnell klar. „Lehrer brennen nicht aus, weil sie zuviel arbeiten, sondern weil sie zu oft ohne Sinn arbeiten sollen“, ein Satz, den sicher viele aus eigener Erfahrung unterschreiben können. Als Gegenstrategie bekam jeder ein MUT-Kärtchen und konnte sich an den schönen Materialien erfreuen, die Otto Herz selbst entworfen hat.
Die Abende waren den Rückkehrerberichten vorbehalten. Neben Informationen über die jeweilige Schule und die Arbeitsgebiete, wurde das Publikum in faszinierende Landschaften der verschiedenen Länder entführt. Durchaus verständlich, wenn sich bei dem einen oder anderen der ‚Wandervirus’ meldete. Insgesamt war es eine sehr interessante und vielfältige Tagung. Doch auch immer wieder kam man auf die Frage aller Fragen zurück: „Wie vertragen sich der Anspruch an hochwertige Unterrichts- und Erziehungsarbeit mit minderwertigen Beschäftigungsverhältnissen, vor allem, wenn das Erlernen der Gleichwertigkeit das gemeinsame Ziel ist?“ (Otto Herz). Ein Problem, das nicht nur für die schulische Arbeit im Ausland sondern längst auch im Inland gilt.