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Berufsverbote

„Ich verspüre immer noch Wut“

Vor 50 Jahren wurde der sogenannte Radikalenerlass verabschiedet, der vor allem linke Lehrkräfte aus dem Beruf drängte. Klaus Lipps war einer von ihnen. Im Interview berichtet der pensionierte Lehrer, wie die Berufsverbote bis heute nachwirken.

„Die Folgen der Berufsverbote sind in der Gesellschaft bis heute zu spüren. Vor allem bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen erlebe ich große Einschüchterung.“ (Klaus Lipps, Lehrer mit Berufsverbot / Foto: privat)
  • E&W: Welche Gefühle kommen bei Ihnen hoch, wenn Sie an das Berufsverbot zurückdenken?

Klaus Lipps: Ich verspüre immer noch Wut. Viele Jahre lang habe ich täglich daran gedacht. Vor 48 Jahren wurde ich zum ersten Mal aus dem Schuldienst entlassen, vier Jahre später zum zweiten Mal. Damals lernte ich, dass ich mich wehren muss. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich bin ein seltener Fall: Im Gegensatz zu den meisten anderen Betroffenen konnte ich vor Gericht durchsetzen, dass ich weiter als Lehrer arbeiten durfte. Ich habe sechs Prozesse geführt – und alle gewonnen, bis hoch zum Bundesverwaltungsgericht. Danach konnte ich noch einige Jahre in Ruhe als Lehrer arbeiten. Das war eine sehr befriedigende Zeit und das, was ich gewollt hatte.

  • E&W: Wie ist es anderen Betroffenen ergangen?

Lipps: Für viele hatte ihr Berufsverbot schlimme Folgen. Etliche konnten nie in den Schuldienst zurückkehren oder wurden gar nicht eingestellt, einige davon schulten um auf andere Berufe. Viele leiden bis heute unter psychischen Problemen. Auch ich bin Jahre später zusammengebrochen, musste wegen Paranoia in Therapie. Bei anderen kommt noch finanzielle Not hinzu: Viele Betroffene erhalten weniger Rente, einige leben in bitterer Armut. Wenn wir davon erfahren, kann unsere Initiative gegen Berufsverbote eine monatliche Unterstützung von 100 bis 200 Euro aus unserem selbstfinanzierten Solidaritätsfonds überweisen. Durch die Berichterstattung zum 50. Jahrestag melden sich aktuell viele Betroffene. Unsere Arbeit hat dazu geführt, dass manche sich erstmals wieder mit ihren Akten beschäftigt haben. Das ist gut – denn die Berufsverbote sind unsere Geschichte.

  • E&W: Was wurde Ihnen damals vorgeworfen?

Lipps: Ich war Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), als Student aktiv im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) an der Uni Freiburg. Das war kein Geheimnis. Doch irgendwann rief mich ein freundlicher Herr in der Schule an: Der Verfassungsschutz hätte in Erfahrung gebracht, dass ich in der DKP sei. Was für tolle Erkenntnisse. Das war ja allgemein bekannt. Trotzdem wurde ich entlassen. Mein Vorteil war, dass ich nach meinem Referendariat bereits Mathe, Französisch und Sport am Gymnasium unterrichtet hatte. Da gab es nie Beschwerden. Alle in der Schule wussten, dass ich seriös arbeite. Ich klagte gegen mein Berufsverbot und konnte ein paar Wochen später zurückkehren. Doch später wurde ich wegen meiner DKP-Mitgliedschaft erneut entlassen. Mein Ringen um Gerechtigkeit dauerte 17 Jahre.

  • E&W: Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Lipps: Es gab eine enorme Solidarität. An Wochenenden folgte ich häufig Einladungen nach Frankreich, England, Belgien oder in die Niederlande, um dort auf Veranstaltungen zu sprechen. Auch in der Bundesrepublik gab es eine große Solidaritätsbewegung, die mir sehr den Rücken gestärkt hat. Bei meinen Prozessen lagen auf dem Richtertisch Ordner voll mit Briefen von überall her. Auch die meisten Eltern waren auf meiner Seite. Allerdings habe ich meine Schülerinnen und Schüler gebeten, mich nicht öffentlich zu unterstützen. Ich war überzeugt, dass mir das mehr geschadet als geholfen hätte. Das Kollegium war gespalten. Gerade die älteren Lehrkräfte waren sehr konservativ. Von ihnen wurde ich im Lehrerzimmer gemieden, das war belastend. Ohne die große Solidarität wäre ich sicher untergegangen.

  • E&W: Inwiefern wirken die Berufsverbote nicht nur persönlich, sondern auch gesellschaftlich nach?

Lipps: Die Folgen sind in der Gesellschaft bis heute zu spüren. Vor allem bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen erlebe ich große Einschüchterung. Eine Referendarin war unsicher, ob sie überhaupt an einer Demonstration teilnehmen darf. Auch sonst merke ich bei Diskussionen, selbst innerhalb der GEW, dass viele sich nicht trauen, ihre Rechte wahrzunehmen – und lieber still sind.

  • E&W: Einige Landesregierungen haben Bedauern über die Berufsverbote geäußert, etwa Nieder-sachsen und Berlin. Wie wichtig ist eine offizielle Entschuldigung?

Lipps: Ich finde: Wir haben allen Grund, eine ernst gemeinte Entschuldigung zu verlangen. Offiziell zu hören, dass uns Unrecht zugefügt wurde. Und zwar von den jetzt politisch Verantwortlichen. Das müsste die Bundesregierung für all jene tun, die damals aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden, ob bei der Post, der Bahn oder der Friedhofsgärtnerei. Für uns Lehrkräfte sind es die Landesregierungen. Doch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) möchte sich nicht pauschal entschuldigen. Wenn, meint er, würde er sich nur einzeln entschuldigen, doch dafür müsste er erst jeden Fall studieren. So schindet er Zeit. Aber ich bin 80 Jahre alt. Ich möchte nicht, dass man mir die Entschuldigung auf den Grabstein meißelt, sondern sie selbst noch erleben.

  • E&W: Andere Betroffene sind der Meinung, schon genug nette Worte des Bedauerns gehört zu haben – und fordern eine finanzielle Entschädigung. Wie sehen Sie das?

Lipps: Genauso. Im Prinzip ist eine finanzielle Entschädigung der Prüfstein dafür, wie ernsthaft eine Entschuldigung gemeint ist. Wer in großer Not lebt, braucht jetzt dringend Unterstützung. Und wir wollen offiziell rehabilitiert werden. Sonst kann mich jeder Dackel auf der Straße als Verfassungsfeind beschimpfen. Dabei steht fest: Wir waren keine Verfassungsfeinde. Im Gegenteil.