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„Ich fordere meine Freilassung“

Nach neun Monaten Untersuchungshaft im Gefängnis kommen Güldane Erdoğan, Bedriye Yorgun und Güler Elveren endlich frei. Die drei Frauen wurden am 13. Februar 2012 mit zwölf weiteren Gewerkschafterinnen in der Türkei verhaftet und als Terroristinnen angeklagt.

Foto: Manfred Brinkmann

„Wir sind alle sehr froh über diese Gerichtsentscheidung“, erklärte der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne, der vom 11. – 13. Dezember 2012 als Prozessbeobachter nach Ankara gereist war. Die angeklagten drei Frauen sind aktiv für die Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, die Gewerkschaft der Beschäftigten im Gesundheitswesen SES und die Gewerkschaft der Kommunalbeschäftigten Tul Bel Sen. Der türkische Staatsanwalt wirft ihnen vor, Mitglieder der KCK zu sein, einer angeblichen Tarnorganisation der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Sechs der fünfzehn Frauen kamen kurz nach ihrer Verhaftung unter Auflagen wieder frei, die übrigen mussten die Monate bis zur ersten Anhörung im Gefängnis verbringen. Der Prozessauftakt am 4. Oktober vor einem Sondergericht in Ankara wurde von internationalen Protesten und einer europäischen Beobachtermission der Bildungsinternationale begleitet. Dies blieb offensichtlich nicht ohne Wirkung: Gegen sechs Frauen wurde am Ende des ersten Prozesstages der Haftbefehl aufgehoben.

Internationale Prozessbeobachtermission in Ankara
Zur zweiten Anhörung am 13. Dezember waren erneut rund zwanzig Gewerkschaftsvertreter der europäischen Regionalorganisation der Bildungsinternationale ETUCE und des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den Öffentlichen Dienst EPSU aus Schweden, Dänemark, Frankreich, Griechenland, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Deutschland nach Ankara gereist, um Solidarität zu bekunden und Öffentlichkeit herzustellen. Auch mehrere europäische Botschaften hatten Vertreter zur Anhörung entsandt. Für die GEW nahmen der Vorsitzende Ulrich Thöne, BAMA-Vorstand Süleyman Ates und der Referent für Internationales, Manfred Brinkmann an der Beobachtermission teil. Die Stimmung unter den türkischen und internationalen Unterstützern der Frauen war vor Prozessbeginn gemischt und schwankte zwischen Hoffnung und Zweifeln.

Mehr als sechzig Gewerkschafter in Haft
Am Tag zuvor noch war die Verhaftung eines weiteren Lehrergewerkschafters der Eğitim Sen bekannt geworden. Mehr als sechzig Frauen und Männer des Dachverbandes der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst KESK befinden sich in türkischen Gefängnissen, darunter auch Eğitim Sen Generalsekretär Mehmet Bozgeyik. Er wurde gemeinsam mit zahlreichen anderen im Juni 2012 verhaftet und wartet seitdem auf einen ersten Anhörungstermin. Mehmet Bozgeyik und Hasan Ölgün, Eğitim Sen Vorsitzender in Dersim, der 2011 auf Einladung der GEW zwei Wochen in Deutschland war, wollte Ulrich Thöne im Gefängnis in Ankara besuchen. Doch das türkische Justizministerium war nicht bereit, eine Besuchserlaubnis für den GEW-Vorsitzenden zu erteilen.

Solidaritätsbekundungen vom Lautsprecherwagen
Die Anhörung im Gericht in Ankara am 13.12. war auf 14.00 Uhr angesetzt. Vor dem Gerichtsgebäude hatte der Gewerkschaftsbund KESK zu einer Protestkundgebung aufgerufen, an der sich rund tausend Menschen beteiligten. Einige hielten Plakate mit Bildern der noch inhaftierten drei Frauen hoch. Vom Lautsprecherwagen bekundeten die internationalen Gäste ihre Solidarität und forderten die Freilassung der inhaftierten Gewerkschafterinnen. „Die türkische Regierung muss die Menschen- und Gewerkschaftsrechte achten“, forderte Ulrich Thöne. „Die Haftbefehle müssen aufgehoben und die Anklagen fallengelassen werden“. Vor dem Gerichtssaal herrschte großer Andrang. In dem Raum hatten dicht gedrängt auf Holzbänken rund 200 Zuhörer Platz gefunden, in vorderster Reihe die internationalen Prozessbeobachter.

„Ich war nie Mitglied einer terroristischen Organisation“
Drei Richter und ein Staatsanwalt saßen ihnen gegenüber und blickten aus hervorgehobener Sitzposition auf die fünfzehn angeklagten Frauen, die Rechtsanwälte und die zahlreichen Unterstützer im Gerichtssaal hinab. Mit Schusswaffen und Handschellen ausgerüstete Polizisten in grünen Uniformen bewachten die Szene. Die Verteidigungsreden der Gewerkschaftsfrauen klangen ähnlich: „Ich war nie Mitglied einer terroristischen Organisation. Ich bin Gewerkschafterin, das ist mein demokratisches Recht. Ich habe nichts Verbotenes getan und fordere meine Freilassung!“ Als eine der Frauen darauf bestand, sich in ihrer kurdischen Muttersprache verteidigen zu dürfen, scherzte der vorsitzende Richter, der selbst kurdisch sprach: „Unter euch Frauen sprecht ihr türkisch, aber vor Gericht wollt ihr kurdisch sprechen“, und ließ sie gewähren.

Vor dem Gerichtssaal brach Jubel aus
Nach zwei Stunden wurde die öffentliche Anhörung unterbrochen und wenig später verkündeten die Richter in nichtöffentlicher Sitzung ihre Entscheidung: Der Haftbefehl gegen die drei Frauen wird aufgehoben. Das Verfahren gegen die Angeklagten soll im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Die Frauen dürfen in dieser Zeit die Türkei nicht verlassen. Draußen vor der Tür brach Jubel aus, als die Nachricht aus dem Gerichtssaal drang. Internationale Prozessbeobachter, Botschaftsvertreter, Freunde und Angehörige der angeklagten Frauen fielen sich in die Arme, viele hatten Tränen in den Augen. „Dies ist ein wichtiger Erfolg unserer internationalen Solidarität und sehr ermutigend“, so Ulrich Thöne. „Wir brauchen einen langen Atem und müssen weiter Druck machen, damit auch Mehmet Bozgeyik und die übrigen Gewerkschafter freikommen.“

Hand in Hand für Freiheit
Gemeinsam mit den anderen angereisten Gewerkschaftsvertretern aus Europa hatte der GEW-Vorsitzende in Ankara einen Aufruf zu einer Kampagne ‚Hand in Hand für Freiheit – Internationale Solidarität mit KESK und Eğitim Sen‘ initiiert. In dem Text wird dazu aufgefordert, weiterhin gegen die Verfolgung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern in der Türkei zu protestieren und für die Freilassung der Inhaftierten zu kämpfen, Besuchsgenehmigungen im Gefängnis zu beantragen und an Prozessbeobachtermissionen in die Türkei teilzunehmen.