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Arbeitsalltag von Kita-, Hort- und Schulleitungen

„Ich bin ein Sparmodell“

Schulleitungen sind besonders gefordert. Zwei Schulleiterinnen berichten - eine von ihnen sagt: „Ich mache seit drei Jahren einen Job, der eigentlich mindestens eineinhalb Vollzeitstellen ausfüllt und das auch noch für ein niedrigeres Gehalt.“

„Man hat ständig das Gefühl, nie fertig zu sein. Viel Zeit für Privatleben bleibt da nicht.“ (Cordula Schröder, Leiterin Hans-Fallada-Schule, Berlin-Neukölln / Foto: Kay Herschelmann)

Cordula Schröder ist Lehrerin und Schulleiterin – beides ist sie gerne und mit Leidenschaft. Wobei: Im Wort Leidenschaft steckt ja auch „Leiden“, und Leid hat die 57-Jährige in den vergangenen drei Jahren, seit sie die Hans-Fallada-Schule in Berlin-Neukölln leitet, viel erfahren müssen.

Plötzlich ganz allein

Aber der Reihe nach: Vor zehn Jahren trat Schröder den Posten der Ersten Konrektorin der Schule an, die aus zwei Schulen besteht: einer Grundschule und einem Förderzentrum Lernen. Aktuell lernen hier 480 Schülerinnen und Schüler, unterrichtet und betreut von einem multiprofessionell zusammengesetzten Team aus 112 Pädagoginnen und Pädagogen. Früher gab es an dem Standort für die beiden Schulen zwei Schulleitungen. Vor einigen Jahren fusionierten die Einrichtungen; gleichzeitig wurde das Leitungsteam halbiert – nach dem Zusammenschluss waren es nur noch ein Schulleiter und zwei Konrektorinnen. 2019 wechselte der Rektor in die Senatsschulverwaltung, kurz davor ging die Zweite Konrektorin in den Ruhestand. Ende des Jahres übertrug die Schulaufsicht Schröder die alleinige Verantwortung.

Fortbildung auf eigene Kosten

Die Stelle trat sie zunächst nur kommissarisch an. Zwar erfüllte Schröder fast alle Voraussetzungen für das Amt der Schulleiterin; ihr fehlten lediglich die Fortbildungsmodule. Diese kann man in der Hauptstadt beim Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) absolvieren. Doch dafür habe ihr, so Schröder, im ersten halben Jahr die Zeit gefehlt, weil sie zunächst ganz allein in der Schulleitung war. Danach kam Corona; die Fortbildungen wurden reduziert, konnten nicht mehr angeboten werden oder waren auf lange Zeit ausgebucht. Letztlich hat sie die Fortbildung von Februar bis Mai 2022 bei einem privaten Bildungsanbieter auf eigene Kosten absolviert; 800 Euro hat sie dafür bezahlt. Seit Ende Juni hat sie die vorläufige Anerkennung der Module. Auf die formale offizielle Ernennung wartet sie immer noch. Die Mühlen der Bürokratie mahlen in der Hauptstadt besonders langsam.

„Zu registrieren, dass drei Jahre verstrichen sind, in denen ich weniger verdient habe als meiner Tätigkeit angemessen ist, das frustriert schon.“ (Cordula Schröder)

Bis sie ihre Ernennungsurkunde in der Hand hält, wird Schröder weiterhin als Konrektorin entlohnt. „Ich bin ein Sparmodell. Ich mache seit drei Jahren einen Job, der eigentlich mindestens eineinhalb Vollzeitstellen ausfüllt und das auch noch für ein niedrigeres Gehalt“, kommentiert Schröder mit sarkastischem Unterton. Sie betont jedoch auch: „Ich mache die Arbeit nicht des Geldes wegen, meine Motivation ist eine andere. Aber zu registrieren, dass drei Jahre verstrichen sind, in denen ich weniger verdient habe als meiner Tätigkeit angemessen ist, das frustriert schon.“

„Oft liegt meine Arbeitszeit bei wöchentlich 60 Stunden.“

Das wöchentliche Arbeitspensum sei enorm: „Ich habe vor kurzem einmal Buch geführt. Oft liegt meine Arbeitszeit bei wöchentlich 60 Stunden.“ Abschalten, so Schröder, könne sie auch am Feierabend nicht. „Die Gedanken und Probleme nehme ich mit nach Hause.“ Die Kolleginnen und Kollegen im Team haben ihre Handynummer. Im Notfall können sie sie also auch abends anrufen. „Ich weiß von Schulleitungen, die abends auch zu Hause noch arbeiten. Das habe ich aus Selbstschutz für mich ausgeschlossen. Man hat aber ständig das Gefühl, nie fertig zu sein. Viel Zeit für Privatleben bleibt da nicht.“ Bis zum offiziellen Eintritt ins Pensionsalter mit 67 Jahren, da ist sich Schröder sicher, werde sie unter solchen Bedingungen nicht durchhalten. „Mit 63 Jahren wird für mich Schluss sein, dann gehe ich in den Ruhestand, das habe ich mir fest vorgenommen.“

Jede fünfte Leitung will eher aussteigen

Mit dieser Haltung steht Schröder nicht alleine. Jeder fünfte Schulleiter bzw. jede fünfte Schulleiterin unter 55 Jahren plant, den Job in zehn Jahren nicht mehr auszuüben. Das ergab eine Forsa-Umfrage im November 2021; nur etwas mehr als die Hälfte (56 Prozent) sieht sich auch mit Mitte 60 noch als Direktorin oder Rektor einer Schule. Besonders groß ist der Frust unter den Jüngeren. Bei den unter 40-Jährigen halten knapp 24 Prozent den Beruf des Schulleiters bzw. der Schulleiterin „auf keinen Fall“ für empfehlenswert. Hier wirken sich auch die Erfahrungen der Corona-Pandemie aus. Gaben 2019 lediglich 4 Prozent der Befragten an, den Beruf der Schulleitung ungern auszuüben, stieg dieser Wert im November 2020 auf 27 Prozent und ging im vergangenen Jahr nur leicht auf 25 Prozent zurück.

Probleme vor allem an Grundschulen

GEW-Schulexpertin Anja Bensinger-Stolze nennt die Arbeitsbedingungen als Hauptgrund dafür, dass der Job der Schulleiterin bzw. des Schulleiters an Attraktivität verloren hat. „Die meisten Probleme gibt es in Grundschulen. Hier müssen Schulleiterinnen und -leiter oft noch über die Maßen Unterrichtsverpflichtungen übernehmen“, sagt das GEW-Vorstandsmitglied Schule. Ein weiteres Problem: Das Leitungsteam an Grundschulen sei meist recht klein. Auch das Unterstützungssystem für Schulleitungen sei an Grundschulen nur schwach ausgeprägt. Häufig seien die Sekretariate unterbesetzt.

Die personelle Unterbesetzung spürt man auch an der Hans-Fallada-Schule in Neukölln. Und das, obwohl man dort einiges unternommen hat, um Schulleiterin Schröder und ihre Konrektorin zu entlasten. So wurde die Leitungsarbeit auf mehrere Schultern verteilt: zum einen auf die gewählten Mitglieder der ESL (Erweiterten Schulleitung) mit unterschiedlichen Professionen, die in wöchentlichen Sitzungen Aufgaben verteilen und organisatorische Themen besprechen. Daneben gibt es noch ein rein aus Lehrkräften zusammengesetztes Organisationsteam, das für den Stunden- und Vertretungsplan zuständig ist.

„Wir sind auch Bauaufsicht, Mediatoren, verantwortlich für das Personalmanagement und die Budgetverwaltung sowie für die Umsetzung der Inklusion.“

Doch ein ausreichend besetztes Leitungsteam könne dadurch nicht ersetzt werden, betont Schröder. Selbst dann, wenn die Leitung ihrer Schule endlich komplett wäre, sei das zu wenig. Schröders Wunschausstattung: mindestens vier, besser fünf Menschen in der Schulleitung, also in etwa eine Verdoppelung der jetzigen Stellenzahl. Dann könnten die im Leitungsteam Arbeitenden auch unterrichten und Leitungsaufgaben übernehmen.

Die Arbeit der Schulleitungen habe sich in den vergangenen 15 Jahren extrem verändert, so Schröder weiter. „Wir sind auch Bauaufsicht, Mediatoren, verantwortlich für das Personalmanagement und die Budgetverwaltung sowie für die Umsetzung der Inklusion. Und bei all den Herausforderungen, die diese vielfältigen Aufgaben mit sich bringen, bleibt für Reflexion und Schulentwicklung kaum noch Zeit, obwohl das doch die Grundlage für die Qualität unserer Schulen ist.“

„Nach der Pandemie hat die Politik von uns eine Rückkehr zu einem Normalbetrieb erwartet, der aufgrund des Mangels an pädagogischen Fachkräften überhaupt nicht möglich ist.“

Die Corona-Pandemie hat die Situation noch einmal verschärft. Von einem Tag auf den anderen mussten der Fernunterricht organisiert, Hygienekonzepte ausgearbeitet und neue Personalpläne entwickelt werden. Die Hans-Fallada-Schule kam gut durch diese Zeit. „Während der Pandemie entstand in der Schule ein noch größeres ,Wir schaffen das‘-Gefühl“, resümiert Schröder. Sie sagt aber auch: „Nach der Pandemie hat die Politik von uns eine Rückkehr zu einem Normalbetrieb erwartet, der aufgrund des Mangels an pädagogischen Fachkräften überhaupt nicht möglich ist.“

„Es werden immer mehr Anforderungen an die Schulleitungen herangetragen. Man bekommt dadurch keine Routine in seiner Arbeit, ich muss mich permanent auf etwas Neues einstellen. Die Arbeitsbelastung ist definitiv gestiegen.“ (Ruth Zacher, Leiterin der Lucian-Reich-Gemeinschaftsschule, Hüfingen/Schwarzwald / Foto: Christoph Bächtle

Immer mehr Anforderungen

Ähnlich sind die Corona-Erfahrungen von Ruth Zacher. Die 42-Jährige leitet seit 2020 die Lucian-Reich-Gemeinschaftsschule Hüfingen, eine im Schwarzwald gelegene Ganztagsschule für 650 Schülerinnen und Schüler. Zudem ist sie Vorsitzende der Personengruppe Schulleitungsmitglieder der GEW Baden-Württemberg. „Während der Corona-Pandemie war der Personalausfall für uns das größte Problem“, sagt Zacher. Nach der Pandemie sieht sie sich durch die Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine mit neuen Herausforderungen konfrontiert. „Es werden immer mehr Anforderungen an die Schulleitungen herangetragen. Man bekommt dadurch keine Routine in seiner Arbeit, ich muss mich permanent auf etwas Neues einstellen. Die Arbeitsbelastung ist definitiv gestiegen“, sagt sie.

Zachers vordringlicher Wunsch: Die Politik müsse den Schulleitungen endlich die Möglichkeit geben, einmal durchzuatmen, aufzuarbeiten, was zum Beispiel während der pandemiebedingten Schulschließungen nicht so gut gelaufen ist, und nicht sofort mit der nächsten Anforderung neue Überforderungen produzieren.

Womit wir wieder beim Thema „Leiden“ wären. Zum Beruf des Schulleiters bzw. der Schulleiterin gehört, wie wir erfahren haben, nicht nur Leidenschaft, sondern auch eine gehörige Portion Leidensfähigkeit. Doch auch die hat Grenzen. Kurz vor Drucklegung dieses Artikels erreichte die Redaktion der E&W von Cordula Schröder die Nachricht, dass die Sekretärin demnächst die Hans-Fallada-Schule verlassen wird. Schröder sorgt sich, dass das Sekretariat in nächster Zukunft nicht ausreichend besetzt sein wird. Weitere Belastungen könne sie nicht mehr aufnehmen. Der Schulaufsicht hat sie angekündigt, sich gegebenenfalls eine andere Schule außerhalb Berlins zu suchen. Der Konsequenz ist sie sich wohl bewusst: „Damit wäre das Problem des Personalmangels und der permanenten Überlastung aller an meiner Schule allerdings nicht gelöst.“