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Großbritannien

Hoffnung auf Labour-Regierung

Die National Education Union ist die größte Bildungsgewerkschaft in Europa. Bei ihrer Jahreskonferenz in Liverpool ging es um Wertschätzung und kostenfreie Bildung. Für die GEW war Martina Borgendale dabei.

Die National Education Union (NEU) beging über Ostern in Liverpool ihre erste Konferenz als Super-Bildungsgewerkschaft mit mehr als 400.000 Mitgliedern, die aus der Fusion der beiden Gewerkschaften NUT und ATL hervorgegangen ist. Etwa 1.500 Delegierte waren im Kongresszentrum zusammen gekommen, um vier Tage lang über bildungs- und gewerkschaftspolitische Themen zu diskutieren und die Arbeitsschwerpunkte des nächsten Jahres abzustimmen. Eingeladen waren auch VertreterInnen von Gewerkschaften aus Irland, Belgien, Norwegen, der Türkei, Nicaragua, Gambia, Kenia, Südafrika, Ghana, Kuba, Australien und Deutschland. Für die GEW nahm Martina Borgendale, stellvertretende Landesvorsitzende in Bayern, teil.

Tarifabschlüsse unter der Inflationsrate

Mit Hilfe der Anträge konnte man einen guten Einblick in die aktuellen Probleme des britischen Schulwesens und die Nöte der britischen Lehrkräfte gewinnen. Viele der Themen finden sich so oder so ähnlich auch bei uns in Deutschland. Einige stachen aber doch hervor und blieben besonders in Erinnerung. Eine britische Kollegin berichtete in ihrer Rede eindrucksvoll, wie ihre Tochter sich gegen die Arbeit als Lehrerin entschied, da sie im Verkauf mehr verdiente. Weil die Tarifabschlüsse immer wieder unter dem Inflationsniveau lagen, ergibt sich daraus ein Reallohnverlust der Lehrer*innen von 15 Prozent seit 2010. Die NEU fordert deshalb die Anhebung der Lehrer*innengehälter mindestens entsprechend dem Niveau von 2010.

Lehrkräfte fühlen sich nicht wertgeschätzt

Doch nicht nur die schlechte Bezahlung macht den Lehrer*innenberuf in Großbritannien unattraktiv. Die NEU gibt an, dass ein Fünftel der Lehrer*innen plant den Beruf innerhalb der nächsten zwei Jahre zu verlassen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sind es bereits vierzig Prozent. Besonders alarmierend ist, dass darunter auch viele junge Lehrer*innen sind, die ihre Ausbildung gerade erst abgeschlossen haben. Als Gründe werden vor allem die hohe Arbeitsbelastung und „bullying“ angegeben. Die Lehrer*innen fühlen sich durch den Arbeitgeber nicht wertgeschätzt, nicht unterstützt und exzessiv und harsch kritisiert für ihre Arbeit oder Fähigkeiten. Die NEU beschloss dazu einen Antrag, nach dem Fälle von ausufernder Arbeitsbelastung und „bullying“ mit finanzieller Unterstützung der NEU gerichtlich geklärt werden sollen, um Präzedenzfälle zu schaffen.

Kinder mit Förderbedarf werden vernachlässigt

Im Bereich Inklusion gilt es auch in Großbritannien große Probleme zu meistern. Tausende Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und Behinderungen haben momentan keinen Platz in einer Schule. Etwa die Hälfte aller Kinder mit permanentem Unterrichtsausschluss sind ebenfalls Kinder mit besonderem Förderbedarf. Die Lehrpläne werden den Bedürfnissen der Kinder in keiner Weise gerecht und das britische System mit anspruchsvollen Tests und viel zu kleinem Budget bietet kaum Raum für die Entwicklung dieser besonders förderbedürftigen Schüler*innen. Die Lehrer*innen in diesem Bereich sind auch oft die ersten, die bei Budgetkürzungen entlassen werden.

Massiver Druck durch Tests

Außerdem beklagten sich die Kolleg*innen, dass sie immer weniger unterrichten und immer mehr auf Tests vorbereiten. Schon mit 6 oder 7 und dann wieder mit 11 Jahren, müssen die Kinder die sogenannten Sats ablegen. Ein standardisierter Test in Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Ergebnisse der Tests werden von der Regierung genutzt, um die Leistungen der Schulen zu beurteilen und diese für die Lernergebnisse der Schüler*innen verantwortlich zu machen. Die NEU argumentiert, dass das Testen von so jungen Kindern massiven Druck bis hin zu psychischen Störungen hervorruft und sich die Lerninhalte durch das Hinarbeiten auf die Tests verengen. Mit einer Mehrheit von 56% votierten die Delegierten für eine Abstimmung der Primarschulmitglieder innerhalb der NEU im nächsten Halbjahr, ob sie die Sats im Schuljahr 2019/2020 boykottieren wollen. Das wäre ein sehr starkes Signal.

Jeremy Corbyn will kostenfreie Bildung für alle

Ein Highlight der Veranstaltung war sicherlich die Rede von Jeremy Corbyn, der mit großer Spannung und „standing ovations“ empfangen wurde und mit dessen Aussagen viele Hoffnungen verbunden sind, was sich unter einer Labour Regierung im Bildungsbereich ändern könnte. Er lieferte dann auch und sprach vielen Delegierten aus dem Herzen. Corbyn forderte eine kostenlose Bildung auf jedem Level für alle Kinder in Großbritannien, die Abschaffung der Sats im Grundschulbereich („We need to prepare children for life, not just for exams“) und wandte sich dagegen, Großkonzerne in die Klassenzimmer zu lassen.