Die gemeinsame Erklärung der versammelten Wissenschaftsfachleute enthält klare Handlungsaufträge an die Politik: "Dazu gehören ein massiver Ausbau der Hochschulen und ihrer sozialen Infrastruktur, die Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte, der Verzicht auf Studiengebühren ohne Wenn und Aber, unterstützende und motivierende Studienbedingungen für eine immer vielfältigere Studierendenschaft und nicht zuletzt eine grundlegende Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG)“, wie es im „Halteraner Signal“ heißt.
Erst zwei Tage zuvor hatte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) dem Bundestag ihre Pläne zur Novellierung des BAföG vorgestellt. Demnach sollen die Fördersätze steigen – aber nur um sieben Prozent, und das erst im Herbst 2016. Strukturelle Reformen werden mit der Novelle erst gar nicht angegangen.
Zu wenig, zu spät
„Das ist zu wenig, und es kommt zu spät“, so lautete die Bilanz von Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB, die auf der Wissenschaftskonferenz zu Gast war. Nach Angaben der Bundesregierung erhalten inzwischen nur noch knapp 19 Prozent der Studierenden BAföG, im Schnitt nicht einmal 450 Euro pro Monat. BAföG-Fördersätze und -Freibeträge müssen daher schnell um mindestens zehn Prozent erhöht und künftig automatisch an steigende Lebenshaltungskosten angepasst werden, darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz einig. Die letzte Erhöhung des BAföG liegt bereits vier Jahre zurück, wie Elke Hannack betonte. Für die Gewerkschaften sei deshalb klar: „Es darf keine weiteren Nullrunden geben.“
Auch Professor Dieter Timmermann, Präsident des Deutschen Studentenwerks, machte sich auf der GEW-Wissenschaftskonferenz für eine grundlegende BAföG-Reform stark. „Wir müssen auch über die Anpassung von Bedarfssätzen und Freibeträgen hinaus denken und alternative Modelle der Finanzierung des Studiums sowie des lebenslangen Lernens diskutieren“, so sein Plädoyer: „Die Frage ist doch: Schaffen wir es, ein auf Selektion ausgelegtes System in ein auf Förderung angelegtes System umzubauen?“
Bündnis aus Gewerkschaften und Studierendenverbänden
Dass die GEW mit ihrer Kritik an der vorgeschlagenen BAföG-Reform nicht allein ist, machte auch Matthias Schröder, Sprecher des Bundesausschusses der Studentinnen und Studenten in der GEW (BASS), deutlich. Gemeinsam mit Studierendenverbänden und Gewerkschaften hat der BASS ein BAföG-Bündnis ins Leben gerufen. Schröder rief dazu auf, die Forderungen des Bündnisses mit der eigenen Unterschrift zu unterstützen (www.BafögBündnis.de).
Dabei geht es nicht nur um kleine Korrekturen am Gesetz. „Wir wollen, dass der Darlehensanteil im BAföG komplett abgeschafft wird“, so Matthias Schröder. Die Perspektive, mit einem Schuldenberg ins Erwerbsleben zu starten, schrecke insbesondere Studienberechtigte aus finanzschwachen Elternhäusern ab. „Das BAföG muss künftig auch Teilzeitstudierende unterstützen“, ergänzte Elke Hannack. Sie forderte auch Verbesserungen für beruflich Qualifizierte ein, etwa durch eine Abschaffung der Altersgrenze. Außerdem könnte die Bundesregierung bei der Förderung von Flüchtlingen ruhig noch einen Schritt weiter gehen und die Mindestaufenthaltsdauer vor einem BAföG-Bezug noch stärker reduzieren, so die stellvertretende DGB-Vorsitzende.
Diversität als neues Hochschulleitbild?
Zuvor hatte die Kieler Soziologie-Professorin Uta Klein analysiert, wie Hochschulen mit der Vielfalt unter Studierenden bisher umgehen. Auch wenn sich in den vergangenen Jahren einiges getan habe, sei Diversität doch noch lange nicht als Querschnittsthema in den Hochschulen angekommen, erläuterte Klein. Vielmehr würden häufig zusätzliche Förder-Strukturen geschaffen, etwa Beratungseinrichtungen, während sich die Lehre in der Breite nicht verändere. Noch weniger im Fokus stünden Personalpolitik, Forschung und Hochschulorganisation – hier spiele Diversitätspolitik faktisch nach wie vor keine Rolle, kritisierte Klein. Ein weiteres Problem sei, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) an den Hochschulen keine Anwendung finde. Unterm Strich bremsten die Hochschulen Heterogenität nach wie vor aus, so ihre Bilanz.
Uta Klein wies außerdem darauf hin, dass dem Konzept der Diversity bislang ein klares Leitbild fehlt. Allzu oft gehe es allein darum, neue Zielgruppen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Klein forderte dazu auf, Leitbilder zu entwickeln, die nicht auf Exzellenz zielen, sondern die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen für soziale Teilhabe in den Vordergrund stellen. In zwölf Workshops hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz zuvor bereits für verschiedene Handlungsfelder debattiert, wie Hochschulen vielfältiger werden und sich auf heterogene Studierendenschaften einstellen könnten.
Hochschulzukunftsgesetz: Aufbruch in Nordrhein-Westfalen
Anschließend stellte NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze persönlich das kürzlich beschlossene Landeshochschulgesetz in der GEW-Wissenschaftskonferenz vor. Ein wesentlicher Erfolg sei, dass Land und Hochschulen jetzt wieder näher zusammen rückten. „Bisher hatten wir hier das Prinzip: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, erläuterte Schulze. Nötig sei aber eine landesweite Hochschulplanung, in die auch der Landtag einbezogen ist. Mit diesem Anliegen hatte sich die Landesregierung deutlichem Gegenwind von den Hochschulleitungen gegenüber gesehen. Nicht ohne Grund: „Das ist vielleicht das erste Gesetz, das einen Schritt in die richtige Richtung macht, nachdem wir 15 Jahre lang in Richtung unternehmerische Hochschule gegangen sind“, so Schulze.
Andreas Keller ermunterte die Ministerin, bald schon einen zweiten Schritt anzugehen. So seien etwa die nun vorgesehenen Verhandlungen von Hochschulen und Gewerkschaften über einen Rahmenkodex Gute Arbeit bereits ein wichtiger Erfolg. Der Gesetzgeber sei allerdings auch selbst gefragt, etwa um Mindeststandards verbindlich vorzuschreiben oder um Personalkategorien wie die wissenschaftlichen Hilfskräfte, die zum Lohndumping missbraucht werden, abzuschaffen. Auch wünschten sich die Gewerkschaften ein umfassendes Verbot von Studiengebühren sowie einen offenen Übergang vom Bachelor in den Master, der im Gesetzgebungsverfahren leider nicht durchgesetzt werden konnte, betonte der stellvertretende GEW-Vorsitzende So bleibt für Andreas Keller die Bilanz: „Ein erster Schritt wurde gemacht. Weitere sollten folgen.“
Text: Sonja Staack, Markus Hanisch
Fotos: Kay Herschelmann