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ChatGPT in der Bildung

„Hausaufgaben sind tot“

ChatGPT ist eine auf künstlicher Intelligenz basierende Software, die kinderleicht zu bedienen ist und in Sekunden wie von Menschen geschriebene Texte generiert. Auf Schulen und Hochschulen wird der Chatbot gravierende Auswirkungen haben.

FOTO: GEW/Shutterstock

Die Netzwelt hat ein neues Topthema: das KI-Tool ChatGPT des US-Unternehmens OpenAI. ChatGPT kann anscheinend jede Frage beantworten und komplexe Sachverhalte einfach erklären. Der hochentwickelte Bot erzeugt blitzschnell Texte aller Art – von Dankesschreiben und Begrüßungsreden über Bewerbungen und Artikel bis zu Hausaufgaben und Seminararbeiten. Ebenso kann er Codes in vielen Programmiersprachen generieren.

Das Besondere daran ist: Das (noch) kostenfreie Programm ist extrem leicht zugänglich und bedienbar. Ausprobieren lässt sich ChatGPT über die Website von OpenAI. Dazu muss man sich mit seiner E-Mail-Adresse registrieren. Auf der Seite chat.openai.com tippen Nutzerinnen und Nutzer dann in ein Textfeld, und der Bot antwortet binnen Sekunden. Wie in einem menschlichen Gespräch reagiert das Dialogsystem auf Folgefragen.

Trainiert wurde der auf Deep Learning basierende Prototyp mit einer großen Menge an Texten, etwa aus Onlineforen, sozialen Medien, Nachrichtenartikeln und Büchern. So lernte die Software, wie menschliche Sprache funktioniert. Durch das riesige Interesse an dem KI-Tool wird es automatisch ständig weiterentwickelt. Nach Veröffentlichung des Textgenerators Ende November 2022 meldeten sich laut Wikipedia binnen fünf Tagen eine Million Menschen an.  

Faszinierend – und erschreckend

All das ist faszinierend und für manche auch erschreckend. In Medienberichten liest man von der „Wucht“, mit welcher der „Quantensprung“ der KI in unser aller Leben eindringe. Noch ist das Tool indes eine Forschungsvorschau und falsche Antworten sind möglich. Für die Unzulänglichkeiten der Betaversion wurden bereits etliche Belege erbracht.

Kritisiert wird zudem, die Daten, mit der ChatGPT trainiert wurde, seien wahllos zusammengetragen worden. Wegen fehlender Quellen könnten Nutzerinnen und Nutzer – und teils selbst Fachleute – nicht überprüfen, ob die Antworten korrekt seien. Unklar ist, ob ChatGPT bestimmte politische Positionen verbreiten könnte – und mit welchen Folgen. Hinzu kommt: Es geht auch um Geschäfte. Zwar ist der Chatbot Open Source, finanziell stecken hinter OpenAI jedoch Geldgeber wie Elon Musk und der US-Konzern Microsoft.

Chatbot schreibt besser als Studierende

Mit Gewissheit lässt sich derweil sagen: ChatGPT wird die schulische und universitäre Bildung sowie das wissenschaftliche Arbeiten verändern. Zahlreiche Aufsätze und Referate wurden längst automatisch generiert. Auch die damit verbundenen Fragen sind schon auf dem Tisch: Wie können und müssen Bildungseinrichtungen und -politik reagieren? Welche Aufgabenstellungen ergeben noch Sinn? Wie sollen Lernleistungen überprüft und bewertet werden? Hochschullehrende berichteten, der Chatbot schreibe besser als die meisten Studierenden; seine Texte seien nicht von menschlich verfassten zu unterscheiden.

Stellt man ChatGPT selbst die Frage: „Was bedeutet künstliche Intelligenz für die Bildung? Wie werden sich Schule und schulisches Lernen dadurch verändern?“, antwortet das System, KI könne Schulen und das Lernen „auf verschiedene Weise unterstützen“. Beispiele seien die Automatisierung von Wiederholungsaufgaben, personalisierte Lernumgebungen, die Bereiche Diagnose und Prognose sowie adaptive Tests.

„Künstliche Intelligenz (KI) kann Schulen und das Lernen auf verschiedene Weise unterstützen. Einige Beispiele dafür sind:

  • Automatisierung von Wiederholungsaufgaben: KI-Systeme können Schülern helfen, bestimmte Fähigkeiten durch das Durchführen von Wiederholungsaufgaben zu verbessern. Dies kann dazu beitragen, dass Lehrer mehr Zeit haben, sich auf individuelle Förderung und persönliche Betreuung zu konzentrieren.
  • Personalisierte Lernumgebungen: KI-Systeme können Schüler individuell unterstützen, indem sie Lerninhalte und -aktivitäten auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten eines jeden Schülers anpassen.
  • Diagnose und Prognose: KI-Systeme können verwendet werden, um Schülern detailliertes Feedback über ihre Fortschritte und Schwierigkeiten zu geben, sowie Lehrern helfen, den Lernstand der Schüler genauer zu verstehen und daraus abzuleiten, welche Schritte in Zukunft unternommen werden sollen.
  • Adaptive Tests: KI kann auch in adaptiven Tests verwendet werden, die Schwierigkeit der Fragen an die Leistung des Schülers anpassen, dadurch kann eine bessere Bewertung der Fähigkeiten erreicht werden.“

Zugleich warnt ChatGPT selbst: „Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass KI-Tools nur ein Werkzeug sind, und dass der Einsatz von KI in Schulen und beim Lernen sorgfältig geplant und überwacht werden muss, um sicherzustellen, dass sie tatsächlich zu verbesserter Leistung und höherer Qualität im Unterricht beitragen.“

Busse will „erst mal abwarten“

Unterdessen gibt es bereits erste Verbote: Die International Conference on Machine Learning (ICML) entschied, dass Tools wie ChatGPT bei der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Artikeln nicht mehr „vollständig“ genutzt werden dürften. Die New Yorker Bildungsbehörde sperrte den Zugang zu ChatGPT in ihren Netzwerken für Schülerinnen und Schüler.

In die deutsche Bildungspolitik dringt das Thema nur langsam vor. Die Journalisten von Table.Media stellten bei einer Umfrage in den Kultusministerien fest, der Chatbot sei dort oft noch nicht bekannt. In einem Interview mit der Plattform table.media klang die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Astrid-Sabine Busse (SPD), mit Blick auf ChatGPT fast naiv. „Da sage ich: Schreib mir eine Rede für die KMK. Und, zack, da ist sie. Ich hab's mir vorführen lassen und war fassungslos. Wir können ja, wenn das so leicht geht, Schülerinnen und Schülern gar keine schriftlichen Hausarbeiten mehr aufgeben.“ Allerdings will Busse „erst mal abwarten“: „Wir müssen das im Auge behalten und gucken, wie man das begleitet.“  

„Ziel muss ein reflektiertes Lernen sein, das die Urteilsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler fördert. Ich plädiere für mehr Tiefe und weniger Breite, denn die kann man sich jetzt auf Knopfdruck ausspucken lassen.“ (Bob Blume)

Digitalaffine Lehrende experimentieren längst mit dem neuen Schreibwerkzeug: Der baden-württembergische Gymnasiallehrer und Blogger Bob Blume ließ ChatGPT eine Fabel schreiben; seine Sechstklässler mussten im Deutschunterricht dann überprüfen, ob dieser Text den Merkmalen einer solchen Erzählung entsprach. Im Englischunterricht sollten seine Schülerinnen und Schüler im Internet zum Thema Obdachlosigkeit in den USA recherchieren und ihre Ergebnisse mit den Antworten des Textgenerators vergleichen.

„Ziel muss ein reflektiertes Lernen sein, das die Urteilsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler fördert“, betont Blume. „Ich plädiere für mehr Tiefe und weniger Breite, denn die kann man sich jetzt auf Knopfdruck ausspucken lassen.“

Chatbot als digitaler Assistent

ChatGPT könne Schülerinnen und Schülern auch Tipps zum Strukturieren des Lernens geben, etwa mit der Frage: Wie kann ich mich am besten auf das Bio-Abi vorbereiten? Es sei möglich, sich von dem Programm abfragen oder eine kurze Definition zu einem Thema geben zu lassen, um dann effizienter weiter zu lernen. „Es gibt unzählige Wege, wie das Programm zu einem Sparringpartner werden kann, um mich zu verbessern.“

Für Blume steht fest: Lernprozesse müssen sich grundlegend ändern und stärker in den Unterricht verlagern. „Hausaufgaben sind tot“, betont er. Die mündliche Arbeit werde mehr Gewicht bekommen. Um ChatGPT künftig mit Mehrwert in der Schule einzusetzen, plädiert der Blogger für eine „gemeinsame und proaktive Arbeit“ von Lehrenden und Lernenden.

Lehrkräfte, die sich nicht mit der neuen Technologie befassten, würden „ausgetrickst“, warnt er. „Es ist möglich, mit ChatGPT durchs Schuljahr zu gehen, ohne dass jemand merkt, dass man gar nichts mehr tut.“ Ob man das KI-Tool gut finde oder nicht, spiele keine Rolle. „Es ist da, und damit geht es nur noch um die Frage: Wie gehe ich damit um?“ Dazu werde eine allumfassende Reform des Lehramtsstudiums „nochmal dringlicher“.

Intrinsische Motivation stärken

GEW-Schulexpertin Anja Bensinger-Stolze verweist auf die Risiken der Software: „Kritisch zu betrachten wäre, wenn ChatGPT zum Abschreiben von Aufgabenstellungen verwendet und das eigene Verfassen von Texten dadurch nicht mehr geübt und praktiziert würde. Denn wir sehen ohnehin einen erhöhten Förderbedarf beim Schreiben.“ Schülerinnen und Schüler lernten nicht, Bezüge herzustellen, wenn Sie KI-generierte Texte einfach kopierten, um die Hausaufgaben abzuhaken. In Zeiten von Fake News sei die Transparenz von Quellen zudem wichtig; dazu stelle ChatGPT im Vergleich zu Wikipedia kein gutes Beispiel dar.

Das Vorstandsmitglied appelliert daher an Lehrkräfte, den Chatbot zum Anlass zu nehmen, die Funktionsweise von KI sowie das Generieren von Wissen im Unterricht zu behandeln. Sprachmodelle könnten kreativ didaktisch eingesetzt werden, um sich in der Unterhaltung mit dem Chatbot mit einem Thema auseinanderzusetzen und Fragen zu diskutieren wie: Stimmt das, was die KI schreibt? Wie überprüfe ich es? Wie generiere ich Pro-und-Contra-Positionen oder unterschiedliche Schreibstile?

Wichtig sei auch, die intrinsische Motivation der Kinder und Jugendlichen zu stärken. „Wenn wir in der Schule das Lernen ins Zentrum stellen und nicht die Notengebung, stellt sich die Frage anders, als wenn Ziffernnoten im Zentrum stehen. Das Ziel sollte lauten: Wie schaffen wir eine Schule, in der Schülerinnen und Schüler gerne, gut und gemeinsam lernen?“

Viele Lehrkräfte haben auf ihren Blogs bereits Tipps für den Einsatz von ChatGPT im Unterricht veröffentlicht oder berichten von ihren Erfahrungen. Wir haben eine Auswahl dazu zusammengestellt.

Diese Liste ist eine erste Übersicht und längst nicht vollständig. Tipps zur Erweiterung sind jederzeit willkommen.