Deutscher Kita-Preis 2024
Haus der Chancengleichheit
Die Kita Regenbogenland in Rötha wurde zur besten Kita Deutschlands 2024 gekürt. Es gibt keine festen Gruppen, aber tiefenentspannte Kinder, die sich in bunten Themenwelten bewegen – und ein Erzieherinnenteam mit vielen Ideen.
Dass ein Hort modernster Kindheitspädagogik ausgerechnet in Rötha zu finden ist, hätte bis vor kurzem wohl kaum jemand gedacht: eine beschauliche Gartenstadt mit kaum 5.000 Einwohnern im Leipziger Südraum, näher gelegen am Braunkohletagebau als an der angesagten Großstadt. Doch die Kita Regenbogenland wurde zur Kita des Jahres gekürt – und das nicht ohne Grund. Aus mehr als 500 Einrichtungen bundesweit wurde die Kita ausgewählt und als eine von acht Finalisten zwei Tage lang von Expertinnen und Experten unter die Lupe genommen. Den Preis vergeben jedes Jahr das Bundesfamilienministerium und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) zusammen mit weiteren Partnern wie der GEW. Jetzt hängen im Treppenhaus in Rötha bunte Wimpel: „Deutscher Kita-Preis“.
„Jedes Kind ist individuell und wird von uns als kompetenter Forscher angesehen.“ (aus dem Leitbild)
Erzieherin Diana Scheller, 37 und seit sechs Jahren dabei, führt durch die zahllosen Räume und langen Flure des zweigeschossigen Hauses, in dem die Kinder frei herum-wuseln. Quirlig, bunt und lebendig geht es zu. Nur etwas hört man nicht: Schreien, Weinen, Wutausbrüche. Obwohl viele Türen offenstehen und Teams, Kinder sowie Besucherinnen und Besucher geschäftig umherlaufen, wirkt das Regenbogenland tiefenentspannt. Das hat viel damit zu tun, dass die Kinder weite Teile ihres Tagesablaufs selbst gestalten können. „Die Kinder sind selbstbewusst und haben keine Ängste“, sagt Scheller. „Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe.“ Die pädagogischen Fachkräfte sehen sich eher als Begleitende in einer Erziehungspartnerschaft denn als Bestimmende in einer strengen Hierarchie. „Jedes Kind ist individuell und wird von uns als kompetenter Forscher angesehen“, heißt es im Leitbild.
Jedes Kind lernt in seinem Tempo
Feste Gruppen mit festen Erzieherinnen und Erziehern gibt es nicht – stattdessen Themen- und Funktionsräume unterschiedlichster Ausstattung: Orte zum Basteln, Bauen und Bewegen, Forscher- und Familienzimmer und sogar einen Raum für Rollenspiele. Der Koch- und Essbereich heißt Kinderrestaurant, die Küchenarbeitsplatten stehen auf Kinderhöhe und die Tische auf Rollen. Geburtstagskinder laden hierher ihre besten Freundinnen und Freunde ein. Im Foyer sehen sie auf großen Tafeln die Spiel- und Lernangebote und den Speiseplan des Tages, für den ein Caterer alles Nötige liefert. Daneben stehen Fotos aller Beschäftigten zum besseren Kennenlernen.
Die Erzieherinnen und Erzieher betreuen die verschiedenen Bereiche nach ihren persönlichen Neigungen und Vorlieben. „Ich bewege mich von Raum zu Raum“, sagt Scheller, die besonders das Aquarium und die Beete im Garten mag. „Statt 16 habe ich nun mehr als 100 Kinder – und ich find’s gut.“ Die Kita bietet Platz für rund 180 Kinder. 140 sind es derzeit durchschnittlich. Dazu gehört die benachbarte Krippe mit rund 20 Plätzen. Die Krippenkinder ziehen „fließend“ von den kleinen Nestgruppen mit enger Bindung zu der betreuenden Person in die Kita um. Sie bekommen Zeit, die neue Welt kennenzulernen, bis sie fit genug sind.
„Sie wechseln“, sagt Scheller, „wenn sie soweit sind. Und sie bringen einen Freund oder eine Freundin mit.“ Außerdem hat das Haus acht Inklusionsplätze für Kinder mit unterschiedlichen Förderbedarfen. Für sie kommen Therapeutinnen und Therapeuten verschiedener Professionen ins Haus. Jedes Kind lernt in seinem Tempo – egal ob mit oder ohne Handicap.
Freiheit braucht klare Regeln
„Mit ihrem innovativen pädagogischen Konzept, den besonderen Inklusionsmaßnahmen und ihrer beeindruckenden kindorientierten Arbeit hat uns die Kita Regenbogenland überzeugt“, erzählt Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit, die Jurymitglied des Kita-Preises ist. „Die Kinder erleben in ihrem Alltag, dass ihre Fragen, Ideen und Themen aufgegriffen werden und sie mit Neugierde ihre Welt entdecken können.“ Das Preisgeld von 25.000 Euro will die Kita unter anderem für einen besseren Lärmschutz im Bauzimmer verwenden – und natürlich für neue Spielgeräte.
Für so viele Freiheiten braucht es klare Regeln: Mehr als 140 stehen im aktuellen Regelkatalog. Auch ein klarer Tagesablauf gehört dazu: Geöffnet ist von 6 bis 17 Uhr, von 7 bis 8.30 Uhr gibt es Frühstücksbuffet, dann freiwillige Morgenkreise und von 10.30 bis 11.30 Uhr Mittagessen. Von 12 bis 14 Uhr herrscht Mittagsruhe – geschlafen wird aber je nach Bedarf. „Die Kinder können auch weiterspielen oder sich im Snoezelenraum ausruhen“, erzählt Scheller.
„Die Lehrkräfte sind immer beeindruckt, wie selbstständig unsere Kinder sind.“ (Diana Scheller)
Einmal im Monat berät eine Kinderkonferenz, was gut läuft und was verbessert werden muss. Und wenn es Probleme gibt, tritt auf ein Alarmsignal hin das Kinderkrisenteam zusammen. Für die Größeren gibt es Vorschulangebote und Vorschulsport, zudem besuchen sie mehrfach die Grundschule im Ort. „Die Lehrkräfte sind immer beeindruckt, wie selbstständig unsere Kinder sind“, erzählt Scheller.
Zum Team gehören 24 Fachkräfte mit unterschiedlichen Professionen, unter ihnen Kinderpflegerinnen und -pfleger, Pädagoginnen und Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher. Leiterin Josephine Panzer hat Soziale Arbeit studiert und wie Erzieherin Scheller einen bewegten Weg hinter sich: Nach einer Ausbildung zur Arzthelferin studierte sie Erziehungswissenschaften und spezialisierte sich auf Kindheitspädagogik. Es ist genau diese Offenheit für neue Wege, die das Regenbogenland auszeichnet.
Kein festes Konzept
Manche Kritiker hatten die Einrichtung anfangs als „Chaos-Kita“ bezeichnet. Doch das Gegenteil sei der Fall, erklärt Scheller. Jedes Kind hat seine Bezugsperson, einen „Lieblingsmenschen“ aus dem Team. Doch deren Aufwand ist wesentlich größer. „Wir brauchen viel mehr Absprachen, damit jeder zu jeder Zeit auf dem Laufenden ist.“ Viele pädagogische Fachkräfte sieht man mit umgehängten Tablets durchs Haus laufen. So haben sie jederzeit Informationen zu allen Kindern und können über die Kita-App Fotos an Eltern schicken. Familien, die etwa wegen eines Migrationshintergrunds Hilfe brauchen, bekommen bei Anträgen oder Fragen zum Essensanbieter Unterstützung vom Kita-Team.
Die neue Offenheit hat erst vor einigen Jahren begonnen. 2015 löste Leiterin Panzer die frühere Chefin ab, 2017 folgte ihre erste Stellvertreterin Sandra Zimmerling, 2019 Scheller. Das junge Leitungsteam interessierte sich für innovative pädagogische Konzepte und testete in der Pandemie-Zeit neue Wege. Auch die Kita-App wurde in dieser Zeit eingerichtet. Viele Eltern waren zunächst verunsichert, es gab öffentliche Debatten bis in den Stadtrat und die Lokalpresse hinein. Mehr als die Hälfte des alten Kollegiums setzte sich ab. Für sie rückten neue Fachkräfte nach, die die offene Arbeit voll mittragen.
Ein festes Konzept hat das Regenbogenland bis heute nicht – es hat viele. Jedes Jahr im September werden sie fortgeschrieben und an neue Entwicklungen, Wünsche und Bedürfnisse angepasst. „Es ist ein Prozess“, sagt Scheller. „Wir werden nie fertig.“