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Kommentar zum Mord an Samuel Paty

Hass und Gewalt entgegentreten

Die Spaltung der Gesellschaft nimmt zu. Das gilt nicht nur für Frankreich, sondern für viele Gesellschaften. Welche Rolle können die Bildungsinstitutionen spielen? Zuallererst: Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen.

GEW-Vorsitzende Marlis Tepe (Foto: Kay Herschelmann)

Die Ermordung unseres französischen Kollegen Samuel Paty am 16. Oktober hat mich entsetzt und im ersten Moment sprachlos und traurig gemacht. Die GEW verurteilt diesen furchtbaren Mord. Der islamistische Terror trifft einen Lehrer, der seinen Beruf ausgeübt und das Thema Meinungsfreiheit am Beispiel der Mohammed-Karikaturen dargestellt hat. Spontan habe ich der Vertreterin unserer französischen Schwestergewerkschaft in der Bildungsinternationale geschrieben und versichert, dass wir Samuel Paty gedenken werden und in tiefer Trauer an der Seite der Lehrkräfte in Frankreich stehen.

Für mich gab es viel mehr Fragen als Antworten. Von den Morden in Hanau wusste ich, dass die beste Reaktion auf solche Taten die ist, die Namen der Opfer zu nennen. Say their names, forderten die Angehörigen der Ermordeten. Die Namen der Opfer sollen in das Gedächtnis rücken, nicht die der Täter. So hat die GEW in der Online-Sitzung des Hauptvorstandes des ermordeten Kollegen Samuel Paty gedacht.

Inzwischen ist bekannt, dass der Kollege Paty nach der Behandlung des Themas Meinungsfreiheit im Internet beschimpft und der Vater einer nicht anwesenden Schülerin Beschwerde gegen seinen Unterricht bei Schulleitung, Schulaufsicht und dem Staatspräsidenten eingereicht hat. Durch ein Video war der 18-jährige Attentäter auf Samuel Paty gestoßen. Obwohl er diesen nicht kannte, wählte er ihn für seine Tat aus. Die Ermordung postete er über Instagram und Twitter. An den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den „Anführer der Ungläubigen“, schickte er eine mit dem Foto des Opfers unterlegte Nachricht: „Ich habe einen Ihrer Höllenhunde hingerichtet, der es wagte, Mohammed herabzusetzen.“

Die Fragen bleiben

Die Fragen bleiben. Wie konnte ein 18-Jähriger, der im Alter von fünf Jahren nach Frankreich gekommen war, zum Dschihadisten werden? Wie kann der Radikalisierung junger Menschen begegnet werden? Wie kann dem politischen Islamismus der Nährboden entzogen werden? Wie verhindern wir, dass die Angst vor islamistischem Terror zu Vorurteilen gegenüber Muslim*innen an sich wird?

Der Journalist Heribert Prantl nannte in seiner Kolumne in der „Süddeutschen Zeitung“ folgende Ursachen: „Sie haben bekannte Namen, um mit A anzufangen: Arbeitslosigkeit, Abwertung, Armut. All dies ist erlebte Gewalt. Je länger diese Gewalt der Lebensverhältnisse währt und je auswegloser sie wird, desto mehr Menschen wechseln auf die Hassspur. Wer das Gefühl hat, dass seine Lebensbedürfnisse nach Arbeit, Anerkennung und Auskommen nicht respektiert werden, wird nur schwer die Meinungsfreiheit respektieren.“

Wie können wir der Verbreitung von Hass im Internet – und nicht nur dort – begegnen? Auch vor der Ermordung des Politikers Walter Lübcke (CDU) schaukelten sich Hassbotschaften hoch, und der mutmaßliche Täter wurde so in seiner faschistischen Internetblase auf den Politiker aufmerksam. Die Spaltung der Gesellschaft nimmt zu. Das gilt nicht nur für Frankreich, sondern für viele Gesellschaften.

Wenn Lehrkräfte bedroht oder unter Druck gesetzt werden, müssen sie sich darüber austauschen. Wir brauchen starke Schulleitungen, einen guten kollegialen Zusammenhalt – und nicht zuletzt mutige Gewerkschaften!

Welche Rolle können die Bildungsinstitutionen spielen? Zu allererst: Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Auch die AfD-Portale, über die Lehrkräfte denunziert werden sollen, wollten Angst machen: Das haben sie nicht geschafft. Solidarität und Zusammenhalt sind unsere Stärke. Wenn Lehrkräfte bedroht oder unter Druck gesetzt werden, müssen sie sich darüber austauschen. Wir brauchen starke Schulleitungen, einen guten kollegialen Zusammenhalt – und nicht zuletzt mutige Gewerkschaften! Wir müssen die Unterstützung von Expert*innen aus der Zivilgesellschaft annehmen und den Dialog fördern. Miteinander zu feiern und zu essen, gehört zum Zusammenleben. Die Pandemie macht das zurzeit schwierig. Aber gerade im Winter brauchen wir Hoffnung und Zuversicht. Stellen wir sie Hass und Gewalt entgegen.