BAföG
Halbherzige Reform
Beim Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist die Förderquote auf ein Allzeittief gefallen. Die Gesetzesnovelle der Bundesregierung geht zwar in die richtige Richtung. Doch die Abwärtsspirale wird so nicht gestoppt.
Eigentlich soll das BAföG einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit leisten. Doch das Förderinstrument ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Bei seiner Einführung vor gut 50 Jahren wurde noch rund die Hälfte der Studierenden gefördert. Heute ist die Zahl auf 11 Prozent abgestürzt, ein historischer Tiefstand. Das BAföG für Schülerinnen und Schüler wurde vor 40 Jahren sogar fast komplett abgeschafft.
„Man hat das BAföG weder regelmäßig an die Entwicklung von Einkommen und Preisen noch an veränderte Lebens- und Studienwirklichkeiten angepasst.“ (Matthias Anbuhl)
„Dass 89 Prozent keine Förderung bekommen, heißt aber nicht, dass es ihnen allen gut geht“, sagt Lone Grotheer vom Dachverband der Studierendenvertretungen fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften). Vielmehr zeige sich daran, wie groß die Versäumnisse der vergangenen Jahre gewesen seien. „Man hat das BAföG weder regelmäßig an die Entwicklung von Einkommen und Preisen noch an veränderte Lebens- und Studienwirklichkeiten angepasst“, kritisiert Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW).
Ergebnis: Freibeträge und Fördersätze sind viel zu niedrig. Die Folge sei „eine Form struktureller Armut unter Studierenden“, so Anbuhl. Wurden Anpassungen vorgenommen, wie bei der jüngsten BAföG-Novelle 2019, waren sie zu knapp bemessen, um eine Trendwende bei den Geförderten-Zahlen einzuleiten, wie die Bundesregierung selber einräumt.
Trendumkehr steht weiter aus
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampelregierung Abhilfe versprochen. Gleich mehrere BAföG-Reformen plant sie in dieser Legislatur. Die erste, das 27. BAföG-Änderungsgesetz, ist im Juni verabschiedet worden und tritt ab September pünktlich zum kommenden Wintersemester in Kraft. Die Eile ist auch dringend geboten. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat sich 2021 an das höchste Gericht in Karlsruhe gewandt – mit erheblichen Zweifeln, ob Bedarfssätze und Berechnungsmethode mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus.
Klar ist aber jetzt schon: Die erforderliche Trendumkehr beim BAföG wird auch die jüngst verabschiedete Novelle nicht bringen. Fachleute sowie Betroffene begrüßen zwar die Pläne als Schritt in die richtige Richtung, halten diesen aber für völlig unzureichend. „Das ist zu wenig für eine reale Verbesserung“, sagt Andreas Keller, GEW-Vorstandsmitglied Hochschule und Forschung. Ähnlich äußerten sich fast alle Sachverständigen bei einer Anhörung im Bundestag Mitte Mai.
Die Kritik des „Zuwenig“ lässt sich praktisch an allen Punkten der Novelle durchdeklinieren: Der Grundbedarf wird um 5,75 Prozent auf 452 Euro, der Kinderzuschlag von 150 auf 160 Euro erhöht. Das ist mit Blick auf die aktuelle Inflation und die hohen Lebenshaltungskosten zu niedrig. Der Wohnzuschlag für Studierende, die nicht zu Hause wohnen, soll von 325 auf 360 Euro steigen. Doch schon ein WG-Zimmer als oft günstigste Wohnform kostet derzeit im Durchschnitt 414 Euro. Die GEW fordert daher einen BAföG-Höchstsatz von mindestens 1.200 Euro.
Auch die Freibeträge sollen angehoben werden, beim Elterneinkommen um 20,75 Prozent, beim Vermögen der Geförderten von 8.200 auf 15.000 Euro bei unter 30-Jährigen und auf 45.000 Euro bei über 30-Jährigen. Allerdings: Nicht einmal die Bundesregierung rechnet damit, dass die Abwärtsspirale gestoppt wird und bald sehr viel mehr Studierende BAföG erhalten werden. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion räumte sie ein, die Gefördertenquote werde durch die Novelle nur unwesentlich steigen.
Strukturreform erforderlich
„Die Novelle hat etwas Provisorisches“, sagt Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung CHE. Er vergleicht das BAföG mit einem Oldtimer, an dem immer nur ein wenig geflickt und herumgeschraubt wird. „Man verliert das große Ganze aus dem Blick.“ Gemeint ist eine wirkliche Strukturreform. Obwohl im Koalitionsvertrag angekündigt, enthält die Novelle keinen Vorschlag auf regelmäßige Anpassung der Bedarfssätze, keine Verlängerung der Förderungshöchstdauer, keine Maßnahmen zur Reduzierung des Darlehensanteils, keine Wiedereinführung des Schülerinnen- und Schüler-BAföG, keinen Einstieg in eine elternunabhängige Förderung, keine vollständige Digitalisierung bei der Antragstellung.
Geld jedenfalls wäre genug da. Seit Jahren fließen Hunderte Millionen Euro an BAföG-Mitteln in den Haushalt zurück – weil sie nicht abgerufen werden.