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Gymnasium als digitale Ödnis

Zum Abschluss ihrer Bildungstour hat GEW-Vorsitzende Marlis Tepe in einem Magdeburger Gymnasium ihren Beruf als Lehrerin neu entdeckt – und einmal mehr erfahren müssen, warum sich der Mangel an Kolleginnen und Kollegen immer mehr verschärft.

Mit ihrer Tour durch alle Länder wollte Tepe sich und anderen vor der Bundestagswahl ein Bild von der realen Bildungsrepublik Deutschland machen. Der Trip nach Magdeburg war zugleich ein Besuch an einem Ort, der von der digitalen Welt noch weit entfernt scheint.

„Ich habe immer Lust gehabt, mich zu engagieren“ (Marlis Tepe)

Im Klassenzimmer 315 des Albert-Einstein-Gymnasiums in Magdeburg darf sich GEW-Chefin Marlis Tepe noch einmal kurz als Lehrerin fühlen. Sie steht vor einer 12. Klasse mit rund 20 Abiturientinnen und Abiturienten, Sozialkunde bei Tobias Michalak ist dran. Doch statt über Terrorismusbekämpfung reden sie nun über den Beruf der Lehrerin und des Lehrers. Auf viele Nachfragen der selbstbewussten jungen Leute erzählt Marlis Tepe aus ihrem Leben als Hauptschullehrerin und Personalrätin in Schleswig-Holstein und aus ihren Gesprächen mit Angela Merkel und Sigmar Gabriel als Gewerkschafts-Chefin. „Ich habe immer Lust gehabt, mich zu engagieren“, sagt sie. Und am liebsten, so Tepe, wäre sie beides: In der Schule und an der Spitze der Gewerkschaft. Dieser fromme Wunsch sei aber mit dem politischen Geschäft unvereinbar.

Und dann stellt Marlis Tepe Gegenfragen: Wer denn studieren wolle? Ein Großteil der Schüler meldet sich. Und wer Lehrer werden wolle? Nur noch zwei Finger gehen hoch. Und warum nicht? Eine smarte Abiturientin, die zu vielen Themen eine klare Meinung äußert, spricht es aus: „Der Beruf wird nicht mehr wertgeschätzt“, sagt sie. „Niemand sieht die Verantwortung und die Zeit.“ Stattdessen würden Eltern ständig Lehrer kritisieren und die Kinder würden das nachplappern. „30 Jahre Lehrer sein und nicht wertgeschätzt werden – das tue ich mir nicht an“, sagt die Gymnasiastin und dürfte damit das Gefühl von vielen Studenten und Lehrern in Deutschland treffen. Die Konsequenz heißt: Nachwuchssorgen.

Auch in Sachsen-Anhalt ist der Lehrkräftemangel inzwischen klar erkennbar. Zum neuen Schuljahr konnten dort 100 ausgeschriebene Lehrkräftestellen nicht besetzt werden, erzählt die Vorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt, Eva Gerth. Vor allem ländliche Regionen an Elbe und Harz seien betroffen. Seiteneinsteiger würden zwar nur nachrangig eingestellt, mittlerweile gebe es aber auch mehr als 100 von ihnen in Sachsen-Anhalt. Personelle Lücken müssten nicht zuletzt Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst füllen, die statt Hospitationen und Mentorenbetreuung schon frühzeitig sechs bis acht Stunden eigenverantwortlich Unterricht geben müssten, erzählt Gerth.

Die Schüler der 12. Klasse fragen nach, wie die Gewerkschaft mit dem Mangel umgehen wolle. Marlis Tepe erläutert, dass die GEW dafür Notfallpläne entwickelt habe. Inzwischen wolle auch die Kultusministerkonferenz mit ihr über Lösungen reden. Es gehe darum, dass der lange Zeit schlechtgeredete Beruf der Lehrerin und des Lehrers wieder attraktiver werde, es gehe um Fragen nach dem Wegfall von Stunden und um größere Klassen. In Sachsen-Anhalt hat die GEW dieses Jahr eine erfolgreiche Volksinitiative gegen den Lehrkräftemangel unterstützt: Mehr als 96 000 Unterschriften wurden dem Landtag am 13. September übergeben. Ziel der Initiative: 1000 Lehrerinnen und Lehrer und 400 pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich zu den aktuellen Planungen. Nun muss sich das Parlament damit befassen.

„Die Digitalisierung müsste schneller voranschreiten!“ (Abiturient)

Gefragt, was die Abiturientinnen und Abiturienten an Schule ändern würden, kommen zwei heikle Punkte zur Sprache: „Bei der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern müsste mehr Wert auf die Pädagogik gelegt werden“, sagt eine Schülerin. „Wir merken doch, wer Spaß an seinem Beruf hat und wer uns respektlos behandelt.“ Lehrlräfte könnten nicht das Diskutieren lehren – und sich zugleich auf den Standpunkt stellen, sie hätten immer Recht. Marlis Tepe kennt solche Fragen. Die GEW, erzählt sie, habe im Mai nach langen Diskussionsprozessen Leitlinien für eine innovative Lehrkräftebildung beschlossen, die nun mit der Politik debattiert werden. Und Tepe ergänzt, dass ihrer Erkenntnis nach Frontalunterricht nach altem Muster überholt sei. Die Zukunft gehöre eher dem Stationenlernen, Werkstätten, Projektunterricht und anderen offenen Formen. „Viele Schulen haben sich auf den Weg gemacht“, sagt sie. „Aber Bildungspolitik ist ein großer Tanker.“

Das gilt auch für den Einzug der Informationstechnologie in Schulen. „Die Digitalisierung müsste schneller voranschreiten“, sagt einer der Abiturienten. „Und die Lehrerinnen und Lehrer müssten den Umgang damit lernen.“ Er spricht damit auch ein Problem des Albert-Einstein-Gymnasiums an, das erst 1996 entstanden ist – aber seither kaum modernisiert wurde. Gerade mal zwei Computerkabinette, einen Klassensatz Laptops und fünf interaktive Whiteboards gebe es an der Europaschule, erzählt Raimund Witte, 56, und seit Ende 2012 Schulleiter in Magdeburg-Olvenstedt. Die Ausstattung sei viel zu gering für 760 Schüler in mehr als 20 Klassen und mehr als 50 Unterrichtsräume. Und nicht nur das. Die Internetanbindung der Schule am westlichen Rand der Landeshauptstadt ist so schwach, dass die Lehrkräfte Recherchen für den Unterricht lieber von Zuhause mitbringen und die Schüler gebeten werden, ihre Smartphones nur außerhalb des Schulgebäudes einzusetzen. „Es reicht hinten und vorn nicht“, sagt Witte.

Im Gespräch mit den Kollegen im Lehrerzimmer macht sich dann auch Informatiklehrer Udo Schöpke Luft. „Es fehlt vor allem an der Wartung der Technik“, sagt er. Es nütze wenig, Förderprogramme aufzulegen oder neue Geräte anzuschaffen, wenn niemand Computer, Beamer und Netzwerke pflege – darunter leide der Unterricht. Ein positives Beispiel berichtet Tepe aus einer Stadt in Nordrhein-Westfalen, das Tepe hat auf ihrer Bildungstour entdeckt hat. Die Schule könne einen Mitarbeiter beschäftigen, der Geräte pflege und auf Wunsch für die nächste Unterrichtsstunde vorbereite. Tepe: „Es nimmt Stress aus dem Alltag, wenn ich weiß, dass technisch alles geregelt ist.“

„Bei der IT-Ausstattung müssen wir uns anstrengen – und werden das auch tun.“ (Lutz Trümper)

Doch die Ausstattung für die digitale Welt falle oft hinten runter. Auch Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) weiß das. Beim Besuchs von Tepe im Rathaus räumt er ein: „Bei der IT-Ausstattung müssen wir uns anstrengen – und werden das auch tun.“ Immerhin habe Sachsen-Anhalt Anfang des Jahres ein Förderprogramm im Umfang von 13,3 Millionen Euro aufgelegt. Außerdem hoffe er auch die Aufhebung des Kooperationsverbots mit dem Bund nach der Wahl, damit mehr Geld für die Kommunen und ihre Schulen bereitgestellt werden könne, so Trümper. Er kritisiert allerdings, dass das Land jetzt den Kommunen die Pflege und Wartung der Technik überlasse. „Für die Finanzierung der Schulen brauchen Kommunen Unterstützung vom Land.“ Magdeburg habe gerade 300 Millionen Euro in Schulen investiert und müsse angesichts wachsender Schülerzahlen mehrere neue Einrichtungen bauen. Angesichts des Anstiegs der Geburtenzahlen würden demnächst allein 20 neue Grundschulklassen benötigt. Ein Förderprogramm gebe es aber nicht. Für die GEW ist das eine Bestätigung ihrer gemeinsamen Forderung mit dem DGB: „Wir brauchen“, sagt Tepe, „eine nationale Bildungsstrategie, weil ein Akteur allein viele Probleme nicht mehr bewältigen kann.“

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