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Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit in der Schule

Gut vorbereitet auf sprachliche Diversität

In der aktuellen Ausgabe der „DDS – Die Deutsche Schule“ geht es auch um die Frage, inwieweit Lehrkräfte im Studium auf den Umgang mit sprachlicher Heterogenität im Unterricht vorbereitet werden. E&W sprach mit Hanne Brandt, einer der Autorinnen.

Hanne Brandt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg. (Foto: privat)
  • E&W: Für viele Kinder und Jugendliche in Deutschland ist Deutsch nicht die Familiensprache, manche wachsen zwei- oder mehrsprachig auf, andere lernen Deutsch erst in der Schule. Sie und Ihre Kolleginnen haben Lehramtsstudierende zu deren Kenntnisstand und Einstellungen zu Sprachbildung und Mehrsprachigkeit im Fachunterricht befragt*. Wie lässt sich das Ergebnis zusammenfassen?

Hanne Brandt: In der Tat ist sprachliche Diversität immer mehr zu einer Lernvoraussetzung geworden. In Hamburg beispielsweise wächst fast die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in Familien auf, in denen auch andere Sprachen als Deutsch gesprochen werden. In der Ausbildung der Lehrkräfte spielt das aber noch eine zu geringe Rolle. Das zeigt auch unsere Studie. Die Befragten stehen einer sprachförderlichen Gestaltung des Fachunterrichts sowie der sprachlichen Heterogenität der Schülerinnen und Schüler zwar grundsätzlich sehr positiv gegenüber. Nur wenige waren allerdings in der Lage, bildungssprachliche Merkmale, die potenziell das Verstehen erschweren können, in einem Fachtext zu identifizieren.

  • E&W: Eine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen sind bildungssprachliche Kompetenzen. Ihre Förderung wird von der Kultusministerkonferenz (KMK) empfohlen und ist in den Rahmen- und Bildungsplänen verschiedener Bundesländer festgeschrieben. Warum konnten die befragten Studierenden so wenige bildungssprachliche Merkmale identifizieren?

Brandt: Unsere Untersuchung zeigt, dass sie in ihrem bisherigen Studium nur selten mit Themen wie Sprachbildung und Mehrsprachigkeit in Berührung gekommen waren. Bildungssprachliche Merkmale stellen übrigens nicht nur für Kinder potenziell eine Hürde dar, die Deutsch als Zweitsprache lernen. Bildungssprache ist für alle Kinder und Jugendlichen, in deren Familien wenig literale Sprachpraxen vorkommen, die auf die sprachlichen Anforderungen der Schule vorbereiten, eine Art Fremdsprache. Eine wichtige Aufgabe des Unterrichts ist es deshalb, die sprachlichen Mittel bereitzustellen, die für das fachliche Lernen notwendig sind.

Fachliches und sprachliches Lernen sind gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille. Gut ist: Mehrsprachigkeit wird von einer Mehrheit der von uns Befragten grundsätzlich positiv gesehen. Weniger gut: Viele stehen dem Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Unterricht ablehnend gegenüber. Sie denken, dass es hilfreich wäre, wenn alle Schülerinnen und Schüler im Unterricht ausschließlich Deutsch sprächen.

  • E&W: Ein Widerspruch.

Brandt: Ja, aber einer, der uns nicht überrascht hat. Schon frühere Untersuchungen brachten ähnliche Ergebnisse. Lehrkräfte haben oft keine genaue Vorstellung davon, wie sie Mehrsprachigkeit in ihren Unterricht einbeziehen können. Häufig wird befürchtet, die Kontrolle über das Unterrichtsgeschehen zu verlieren, wenn Schülerinnen und Schüler – beispielsweise in Gruppenarbeitsphasen – andere Sprachen als Deutsch nutzen dürfen. Verschiedene Studien zeigen allerdings, dass diese Ängste unbegründet sind. Herkunftssprachen werden überwiegend dazu genutzt, sich Aufgabenstellungen und Inhalte zu erschließen.

Auch die Sorge, dass das herkunftssprachliche Niveau der Schülerinnen und Schüler nicht ausreicht, um für unterrichtsrelevante Themen genutzt zu werden, ist unbegründet. In Unterrichtsphasen, in denen es um das Erarbeiten und Verstehen neuer fachlicher Inhalte geht – zum Beispiel bei Experimenten – ist ein alltagssprachlicher Austausch erwartbar und zielführend – unabhängig davon, welche Sprache genutzt wird. 

*Hanne Brandt, Kimberly -Naboa Menzel, Astrid Neumann und Swantje Weinhold: „Gut vorbereitet auf den Umgang mit sprachlicher Diversität im Unterricht? – Eine Bestandsaufnahme zu Lehrkraftüberzeugungen, sprachlichem Professionswissen und sprachbezogenen Lerngelegenheiten“, DDS – Die deutsche Schule, Heft 2/2024