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Gute Schulen brauchen gute Arbeitsbedingungen

Beim ISTP 2018 in Lissabon haben sich Gewerkschaften sowie Bildungsministerinnen und -minister auf internationalem Parkett in ihrem Engagement für Lehrkräfte bestärkt. Die Wege dorthin sind derweil unterschiedlich.

GEW-Delegation beim ISTP 2018 (v.l.n.r.): Marlis Tepe, GEW-Vorsitzende, Klaus-Peter Hammer, Landesvorsitzender GEW-Rheinland-Pfalz, Ute Wiesenäcker, Leitungsteam GEW-Bundesfrauenausschusses, Martina Borgendale, Stellvertretende Landesvorsitzende GEW-Bayern, Sarah Kleemann, Leiterin Parlamentarisches Verbindungsbüro GEW.

Raum – Zeit – Sein: Drei Faktoren, die weltweit das Wohlbefinden und die Zufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Schülerinnen und Schülern bestimmen. So brachte es Andy Hargreaves von der Lynch School of Education des Boston Colleges zum Auftakt des diesjährigen ISTP-Gipfels auf den Punkt. Der International Summit of the Teaching Profession (ISTP) fand vom 22. bis 23. März in Lissabon zum achten Mal statt. Bei der internationalen Konferenz diskutieren Verfasserinnen und Verfasser des OECD-Bildungsberichts, Vertreterinnen und vertreter der Bildungsinternationale (BI), Länderdelegationen bestehend aus einer Bildungsministerin oder einem Bildungsminister sowie Vertreterinnen und Vertreter von Bildungsgewerkschaften einmal im Jahr über die Profession.

Im Namen der deutschen Gewerkschaften saß die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe in Lissabon am Tisch. Sie führte die fünfköpfige GEW-Delegation an: Dabei waren im portugiesischen Gastland Klaus-Peter Hammer, Landesvorsitzender der GEW-Rheinland-Pfalz, Martina Borgendale, Stellvertretende Landesvorsitzende GEW-Bayern für den Bereich Schule, Ute Wiesenäcker, Leitungsteam des GEW-Bundesfrauenausschusses, sowie Sarah Kleemann, Leiterin des Parlamentarischen Verbindungsbüros der GEW.

An den eineinhalb Tagen berieten die internationalen Delegierten schwerpunktmäßig drei Themen, die Lehrkräfte und alle an Schulen Beschäftigte global umtreiben: „Wohlbefinden von Lehrkräften“, „Pädagogik der Zukunft im 21. Jahrhundert“ und „Schulen im Zentrum von Gemeinden und Kommunen“.

„Nach den Daten wollen wir Taten.“ (Marlis Tepe)

„Lehrerinnen und Lehrer identifizieren sich auf besondere Weise mit ihrer Profession“, sagte die GEW-Vorsitzende und BI-Vizepräsidentin für Europa, Marlis Tepe. Dieser innere Impetus und Anspruch an gute Arbeit dürfe nicht zu Lasten der Einzelnen oder des Einzelnen gehen. „Regierungen ruhen sich zu sehr darauf aus, dass Lehrkräfte in hoher Eigenmotivation und Initiative den besten Unterricht möglich machen, unabhängig von den Bedingungen“, betonte Tepe. Dort, wo der Staat seiner Verantwortung und Aufgabe nicht gerecht werde, und die Rahmenbedingungen nicht sichere und schütze, gerieten die hochwertige Arbeit, Motivation und das Wohlbefinden der Lehrkräfte ins Schleudern. Tepe forderte: „Nach den Daten wollen wir Taten“.

Kern der Analysen von gewerkschaftlicher - aber auch ministerieller - Seite war: Beim Wohlbefinden und bei der Zufriedenheit von Pädagoginnen und Pädagogen besteht in allen Nationen Handlungsbedarf. Bessere Arbeitsbedingungen müssten gestärkt und durch gesicherte und klare Rahmenbedingungen durch die Politik garantiert werden. Die Autonomie von Lehrkräften in der täglichen Arbeit müsse dabei jedoch erhalten bleiben, denn diese ist den Berichten der OECD-Länder zufolge ausschlaggebend für das Arbeitsklima. Gesellschaftlich müsse die Anerkennung und Wertschätzung gegenüber der Profession in allen Ländern deutlich gestärkt werden.

„Politikerinnen und Politiker in Finnland mögen Curricula nicht vorschreiben. Das ist die Aufgabe der Fachleute, die für die Ausbildung der Lehrkräfte verantwortlich sind.“  (Sanni Grahn-Laasonen)

Eine durchgängige Forderung war, dass Bildungspolitik langfristig angelegt, geplant und umgesetzt werde. Von Ländern wie Finnland, in denen Bildungspolitik deutlich unabhängiger als in anderen Staaten von der aktuellen Regierung verfolgt werde, gebe es viel zu lernen. Die finnische Bildungsministerin Sanni Grahn-Laasonen (Nationale Sammlungspartei) sagte: „Schulen und Lehrkräfte haben in Finnland viel Autonomie. Wir konzentrieren uns auf ihren Beruf und vertrauen ihnen, dass sie am besten wissen, wie guter Unterricht funktioniert. Die Profession ist in Finnland wegen dieser Autonomie so beliebt. Wir werden das fortsetzen und fördern. Politikerinnen und Politiker in Finnland mögen Curricula nicht vorschreiben. Das ist die Aufgabe der Fachleute, die für die Ausbildung der Lehrkräfte verantwortlich sind. Die Rollen sind klar.“

Aus Hongkong berichtete der Gewerkschaftsvertreter, dass die Lehrkräfte am Limit ihrer Kräfte arbeiteten, ebenso wie in Portugal, wo die Regierung wegen der Krise 2008/2009 und der darauf folgenden Troika zehntausende befristete Lehrkräfte nicht weiter beschäftigte und die Möglichkeiten der Weiterentwicklung der Lehrkräfte in ihrer Karriere einfror. Wertschätzung und Wohlbefinden seien so jahrelang strukturell ausgetrocknet worden, betonte der Mitgastgeber des ISTP auf Gewerkschaftsseite und Vorsitzende der portugiesischen Lehrergewerkschaft FENPROF, Mário Nogueira.

PISA 2021: Wohlbefinden und Zufriedenheit von Lehrkräften und Schülerschaft soll aufgenommen werden

Wegen der Relevanz der Identifikation mit der Profession und des Wohlbefindens von Lehrkräften und damit auch des Wohlbefindens der Schülerinnen und Schüler werde die OECD in der PISA-Studie 2021 erstmalig den Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden von Lehrkräften und der Schülerschaft aufgreifen, kündigte der Direktor für Bildung in der OECD, Andreas Schleicher, verantwortlich für die PISA-Studien, an.

Weiteres Themenfeld am Runden Tisch des ISTP war „Pädagogik der Zukunft“. In den Diskussionen zu pädagogischen Wegen im 21. Jahrhundert zeigte sich, wie stark Staaten mit den Herausforderungen der Digitalisierung konfrontiert sind und welche unterschiedlichen Ansätze sie dabei verfolgen. Einige Länder, wie Kanada und Deutschland, bemühen sich nicht nur um einen guten Umgang mit digitalen Medien im Unterricht, sondern kämpfen zudem um einen flächendeckenden Ausbau der Internets. Taiwan, Singapur und China setzen sich als hochtechnologisierte Länder mit der Frage auseinander, wie die besten Lehrkräfte in unerschlossenen und unattraktiven ländlichen Regionen unterrichten können. Videounterricht ist dort eine mögliche Lösung. Deutlich wurde, dass das Verständnis vom Primat der Pädagogik sehr unterschiedlich ist. Dass die Förderung der Kreativität und Freiheit von Lehrkräften wie auch Schülerinnen und Schüler dabei für den Bildungserfolg entscheidend sei, schien unbestritten.

„Dort, wo Kommunen zu wenig finanzielle Mittel für Bildung zur Verfügung stehen, muss der Bund Extraressourcen in die Hand nehmen.“ (Marlis Tepe)

Beim dritten Themenblock des ISTP wurde die Bedeutung von Schulen im Austausch mit ihrer Gemeinde und Kommune diskutiert. Um guten Unterricht und ein gesundes soziales Klima zu sichern, dürften Schulen keine freischwebenden Institutionen sein. Sie müssten als Drehscheiben zwischen Lehrkräften, weiteren Pädagoginnen und Pädagogen, Schülerinnen und Schülern, Eltern, Gemeinden und Stadtvierteln funktionieren. Das Schulleben solle als Bestandteil des Lebens vor Ort - mit sozialer wie gesellschaftspolitischer Verantwortung - fest integriert sein. Marlis Tepe berichtete, dass sich die GEW für spezielle Förderung und Unterstützung von Schulen in benachteiligten Regionen und Stadtvierteln einsetze, unter anderem inspiriert vom schottischen Modell, das beim ISTP 2017 in Edinburgh Thema war. „Dort, wo Kommunen zu wenig finanzielle Mittel für Bildung zur Verfügung stehen, muss der Bund Extraressourcen in die Hand nehmen.“

Bei einem Sanierungsstau für Schulgebäude in Milliardenhöhe dürften Kommunen und Länder vom Bund nicht alleine gelassen werden. Für die herausfordernde Arbeit der Lehrkräfte durch teils desolate Zustände an Schulen und gleichzeitig dem Anspruch der Inklusion, Migration und Digitalisierung im Unterricht seien auch Entlastungen durch weniger Unterrichtsverpflichtung dringend notwendig. Entlastend für den Schulbetrieb sei es ebenfalls, wenn multiprofessionelle Teams Normalität würden. Nur durch gute Schulsozialarbeit und psychosoziale Unterstützung könne auf die Diversität der Schülerinnen und Schüler erfolgreich eingegangen werden. Diversität der Lehrkräfte und der pädagogischen Fachkräfte als Teil der kommunalen Gemeinschaften seien für eine starke und offene Willkommenskultur unabdingbar.

Trump-Regierung erneut abwesend

Zum ersten Mal dabei waren dieses Jahr beim ISTP die Länder Georgien, China und Russland. Aus den USA waren von Seiten der Donald-Trump-Regierung erneut keine Vertreterinnen und Vertreter aus dem Bildungsministerium angereist. Repräsentiert wurden die US-amerikanischen Lehrerinnen und Lehrer jedoch von Gewerkschaftsseite, unter anderem durch die Präsidentin der größten US-Gewerkschaft NEA (National Education Association) und BI-Vizepräsidentin für Nordamerika und die Karibik, Lily Eskelsen-García. Der ISTP war 2011 in New York durch den damaligen US-Präsidenten Barack Obama ins Leben gerufen worden.