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Tarifrunde Bund und Kommunen 2025

Gute Kombi: Mehr Geld und mehr freie Tage

Was sagen die Beschäftigten zu den Forderungen der Gewerkschaften? Was ist ihnen wichtig? Zwei Porträts.

In den sozialpädagogischen Berufen hat die Arbeitsverdichtung zugenommen, ist der Stress größer geworden. Die Kolleginnen und Kollegen wollen weniger arbeiten, weil sie insgesamt länger in diesem Beruf bleiben wollen, weiß Jaimie Simpson. (Foto: Christoph Bächtle)

Im Januar 2025 beginnt die Tarifrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen (TVöD). Anfang Oktober hatten die Gewerkschaften ihre Forderungen veröffentlicht: Die Gehälter sollen demnach um 8 Prozent, mindestens aber 350 Euro steigen. Zur Entlastung der Beschäftigten verlangen die Gewerkschaften zusätzliche freie Tage und weitere Maßnahmen.

„Das wird nur durch mehr freie Zeit kompensiert“

Jaimie Simpson, sozialpädagogische Fachkraft an einer Ganztagsschule

Es ist noch nicht lange her, da brandete in der Stuttgarter Ganztagsschule, in der Jaimie Simpson als sozialpädagogische Fachkraft arbeitet, lauter Applaus auf. Gerade eben waren die Forderungen vorgestellt worden, mit der die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in die nächste Tarifrunde gehen – und jede einzelne wurde von ihren Kolleginnen und Kollegen laut beklatscht. An einer Stelle war die Zustimmung besonders lautstark: „Bei der Forderung nach drei zusätzlichen freien Tagen war der Satz noch nicht ausgesprochen, da wurde schon geklatscht“, sagt Simpson und lacht. „Da hat man dann ganz deutlich gesehen: Das ist es.“ Was sich auch insofern gut traf, als die drei zusätzlichen freien Tage auch ihre eigene „Lieblingsforderung“ sind.

Und warum die nötig sind, kann die sozialpädagogische Fachkraft sehr plastisch veranschaulichen. „Wir machen unseren Job nur gut, wenn wir emotionale Energie mit reingeben“, sagt sie. Doch die Arbeit sei in den vergangenen Jahren immer fordernder geworden. „Ich höre aus vielen Einrichtungen, dass die Fachkräftequote schlechter geworden ist, sodass sich die eigentliche pädagogische Arbeit beim geschulten Personal verdichtet“, sagt Simpson. Das sei natürlich nicht die Schuld der Ungelernten. „Viele von ihnen machen einen echt guten Job, obwohl sie nicht pädagogisch qualifiziert sind.“ Aber manch herausforderndere Tätigkeiten in ihrem Job, die blieben eben am Fachpersonal hängen.

Bei vielen Kolleginnen und Kollegen bleibe das nicht folgenlos. Auch nicht bei einer guten Bekannten aus einer anderen Einrichtung, die findet, dass sie „ihrem eigenen beruflichen Anspruch nicht mehr gerecht wird und sich so verzehrt bei der Arbeit, dass abends kaum noch Energie übrig ist“. Wenn gegen diese Erschöpfung, dieses Gefühl, bei der Arbeit zusehends an Energie zu verlieren, etwas helfen könne, seien das zusätzliche freie Tage. „Das wird durch kein höheres Gehalt kompensiert, sondern nur durch mehr freie Zeit. Die Kolleginnen und Kollegen wollen weniger arbeiten, weil sie insgesamt länger in diesem Beruf bleiben wollen.“

„Wenn man unsere Bedeutung für die Gesellschaft der Zukunft sieht, sollte man sich mehr anstrengen, um gutes Personal anzulocken und zu halten. Und da spielt der finanzielle Aspekt schon eine Rolle.“

Dabei kann Simpson verstehen, dass ihre Leitung keine Freudensprünge gemacht hat, als sie von der Forderung nach drei zusätzlichen freien Tagen gehört hat. „Für sie sind das natürlich erst mal drei zusätzliche Tage, an denen jemand fehlt und sie sich um Ersatz kümmern muss.“ Aber genau diese Forderung biete auch eine Chance auf ein Ende der Flickschusterei im Dienstplan, glaubt sie. „Das kann ein Hebel sein, um am Personalschlüssel zu drehen.“ Zumal echte freie Tage gegenüber einem Umwandlungstag den Vorteil haben, dass man diese in jedem Fall ins neue Jahr mitnehmen kann und sie auch bei Krankheit nicht entfallen. Gut für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und ein gutes Argument für die Einrichtungen, die dauerhaft einen guten Betreuungsschlüssel gewährleisten wollen.

Nun ist es nicht so, dass die Forderung nach mehr Geld – 8 Prozent mehr Lohn, 350 Euro mindestens – nicht genauso dringend notwendig wäre. Insbesondere im Großraum Stuttgart, wo Mieten und Lebenshaltungskosten zu den höchsten der Republik zählen. „Unser Verdienst ist isoliert betrachtet nicht so verkehrt“, findet Simpson. „Aber in Relation zu einem Arbeitnehmer, der bei Porsche am Band steht, stimmt er halt nicht.“ Zumindest dann nicht, wenn man sich fragt, welche Tätigkeiten die Politik aufwerten müsste, wenn sie die richtigen Schlüsse aus dem demografischen Wandel zöge: „Wenn man unsere Bedeutung für die Gesellschaft der Zukunft sieht, sollte man sich mehr anstrengen, um gutes Personal anzulocken und zu halten. Und da spielt der finanzielle Aspekt schon eine Rolle.“ 

So sehen das auch die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Einrichtung, von denen übrigens gut die Hälfte mittlerweile gewerkschaftlich engagiert ist, nicht zuletzt dank Simpson, die schon einige Flaschen GEW-Wein als Werbeprämie bekommen hat. Und das, darauf legt sie Wert, ohne offensiv geworben zu haben. „Nachdem ich eingetreten bin, habe ich mich immer mehr engagiert. Und natürlich wurde meine Argumentation mit mehr Expertise sicherer. Das hat offenbar eher verfangen, als wenn ich die Leute offensiv angesprochen hätte.“

In den Tarifverhandlungen mit dem Bund und den Kommunen fordern die Gewerkschaften kräftige Gehaltserhöhungen für die Beschäftigten sowie wirksame Maßnahmen zur Entlastung:

  • 8 Prozent mehr Gehalt – mindestens 350 Euro
  • höhere Zuschläge für Überstunden und besondere Arbeitszeiten
  • drei zusätzliche freie Tage pro Jahr
  • ein „Meine-Zeit-Konto“, in dem die Beschäftigten Entgelterhöhungen und Zuschläge ansparen können, um sie zur Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit oder für zusätzliche freie Tage beziehungsweise längere Freistellungsphasen zu nutzen
  • einen weiteren freien Tag pro Jahr für Mitglieder
  • eine Wiederaktivierung der Regelungen zur Altersteilzeit

Damit der öffentliche Dienst attraktiv bleibt, müssen die Gehälter rauf und die Arbeitsbedingungen stimmen. Die Beschäftigten haben immer noch an der Belastung durch die hohe Inflation zu knabbern. Gerade im Sozial- und Erziehungsdienst gibt es bundesweit einen großen Fachkräftemangel. Um für junge Fachkräfte attraktiv zu sein, brauchen wir dringend wirksame Entlastung, damit die Kolleginnen und Kollegen gesund bis zur Rente arbeiten können.

GEW-Personalrat Dennis Michel hat die Forderungen der Gewerkschaften in seiner Einrichtung zur Diskussion gestellt. Und viel Zuspruch dafür bekommen, dass neben mehr Geld vor allem mehr Freizeit erstritten werden soll. (Foto: Christoph Boeckheler)

„Mehr Geld und mehr Freizeitausgleich, dann könnte das interessant werden“

Dennis Michel, Erzieher in einer Kita

Schon als Jugendlicher wusste Dennis Michel ziemlich genau, dass für ihn später nur zwei Berufe infrage kommen würden: Tierpfleger. Oder eben: Erzieher. Als dann feststand, dass die erste Option allein schon daran scheitern würde, dass er wenig Lust hatte, nach Frankfurt am Main zu ziehen, freute er sich umso mehr auf die Zukunft als Erzieher: „In meinen sehr jungen Jahren dachte ich wirklich: ‚Super, ich kriege auch noch Geld dafür, dass ich mit Kindern spielen darf.‘“

Natürlich weiß er heute – und genau darum wird das Gespräch in der kommenden Stunde ja auch gehen –, um wie viel komplexer der Job wirklich ist. Aber er ist froh darüber, dass es ihm gelungen ist, ein klein wenig von der unbedarften Freude zu bewahren, die damals seine Berufswahl erleichtert hat: „Ich fände es schlimm, wenn ich nicht mehr merken würde, dass heute ein schöner, sonniger Tag ist. Und ja, es macht tatsächlich 
oft noch Spaß zu spielen.“

Und das seit 15 Jahren. So lange arbeitet Michel nämlich schon in einer Kita im Rhein-Main-Gebiet. Wobei: „Es ist leider auch so, dass sich die Rahmenbedingungen seither stark verändert haben.“ Die Verdichtung der täglichen Arbeit hat zugenommen, die Herausforderungen wachsen: „Die Eltern sind deutlich anspruchsvoller als früher.“ Und dann wären da noch die Veränderungen, die aus der digitalen Welt auf die Kinder einprasseln. Wo früher bei einer einstündigen Autofahrt „Ich sehe was, das du nicht siehst“ gespielt wurde, werden viele Kinder heute vor das iPad gesetzt: „Das wirkt sich natürlich auf die Aufmerksamkeitsspanne aus. Ausflüge mit weitreichender Bewegung sind heute nicht mehr so leicht. Die Bereitschaft, sich anzustrengen, ist stark gesunken.“

„Wenn wir keinen Ausgleich für die Dauerspannung haben, wird es ganz schwierig. Wir brauchen mehr Lebensqualität.“ 

In der Einrichtung, in der Michel arbeitet, sind die Fachkräfte zudem dazu übergegangen, neben dem „freien Spiel“ auch „freies Essen“ in Vierer- oder Fünfergruppen anzubieten. Das hat sich pädagogisch bewährt, erfordert allerdings wesentlich mehr Personal; zwei Kräfte mehr allein mittags, die in anderen Räumen fehlen. Nicht einfach zu stemmen, zumal es fast unmöglich ist, fachlich geschultes Personal zu bekommen. Und dann wäre da noch das politische Makroklima. Zuweilen habe er den Eindruck, es gehe in den Debatten über die Zukunft der Kitas primär darum, „möglichst viele Kinder in möglichst kurzer Zeit irgendwie zu betreuen“. Das, so fürchtet der Erzieher, werde vor Ort zu einer noch höheren Verdichtung der Arbeit führen.

Michel, der als Personalrat sowohl in der GEW-Landes- als auch in der -Bundestarifkommission sitzt, hat deren Forderungen in seiner Einrichtung zur Diskussion gestellt. Und viel Zuspruch dafür bekommen, dass neben mehr Geld auch mehr Freizeit erstritten werden soll. „Man merkt den Leuten, die lange im Beruf sind, an, dass sie schneller an ihre Grenzen kommen, weil die Arbeitsbelastung gestiegen ist.“ Als er seine Kolleginnen und Kollegen gefragt habe, was ihr dringlichster Wunsch sei, habe er fast immer die gleiche Antwort bekommen. „Wenn wir keinen Ausgleich für die Dauerspannung haben, wird es ganz schwierig. Wir brauchen mehr Lebensqualität.“ Michel sieht das genauso. Und ja, das liebe Geld, das könne man eben auch nicht außer Acht lassen. „Ganz klar: Beides bildet den Wunsch der Leute ab.“

Das wäre auch gar nicht anders denkbar in Zeiten, in denen die Mieten derart durch die Decke schießen wie im Großraum Frankfurt am Main. Und dann ist da noch ein anderer Faktor: der Mentalitätswandel in weiten Teilen der Generation Z. Auch Michel hat mehr als einmal erlebt, dass schon im Schulpraktikum spöttische Sprüche fallen, wenn die Rede auf die Bezahlung in seinem Beruf kommt. „Der Materialismus erstarkt, man definiert sich zusehends über Geld“, sagt er. Und schiebt schnell nach, dass er das verstehe. Warum solle man auch eine Ausbildung anfangen, in der man fünf Jahre extrem wenig verdient? „Nicht jede oder jeder wird aus idealistischen Gründen Erzieherin oder Erzieher. Wenn wir möchten, dass dieser Beruf attraktiver wird, müssen wir vieles ändern. Und ein attraktiver Grund, einen Beruf zu wählen, ist ein gutes Gehalt. Wenn das mit einem Freizeitausgleich kombiniert wird, könnte das sogar interessant werden.“