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Hochschulen am Limit

Gute Arbeit und gutes Studium für alle!

Bildung und Wissenschaft müssen in der neuen Wahlperiode ins Zentrum der Bundespolitik rücken!

Foto: Kay Herschelmann
Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW, Organisationsbereich Hochschule und Forschung. (Foto: Kay Herschelmann)

Den Bundestagswahlkampf dominierten Themen wie Migration oder innere Sicherheit – Bildung und Forschung spielten praktisch keine Rolle. Doch ohne ein leistungsfähiges Bildungs- und Wissenschaftssystem lassen sich weder die sozial-ökologische Transformation bewältigen noch der Fachkräftemangel beheben. Und nicht zuletzt ist gute Bildung für alle ein Faktor für mehr Chancengleichheit. Bildung und Wissenschaft müssen daher in der neuen Wahlperiode ins Zentrum der Bundespolitik rücken!

„Gute Arbeit und gutes Studium für alle!“ Unter diesem Motto stehen die Anforderungen an die Wissenschaftspolitik der nächsten Bundesregierung, welche die GEW vor der Wahl vorgelegt hat. Wir sind überzeugt: Gute Arbeit und gute Bildung sind zwei Seiten einer Medaille.

Von der neuen Bundesregierung erwarten wir, dass sie die Weichen für eine nachhaltige und bedarfsgerechte Hochschulfinanzierung stellt. Diese hält derzeit weder mit den Kostensteigerungen Schritt noch vermag sie den Investitions- und Sanierungsstau an den Hochschulen aufzulösen, den die Länder auf 140 Milliarden Euro beziffern. Das von Union und SPD geplante Sondervermögen Infrastruktur wäre ein wichtiger Schritt – wenn das Geld am Ende auch an Kitas, Schulen und Hochschulen ankommt.

Grund- statt Projektfinanzierung

Es fehlt aber nicht nur Geld, sondern es gibt eine Schieflage in der Finanzierungsstruktur. Bund und Länder geizen nicht, immer mehr staatliche Drittmittel und Projektgelder ins System zu pumpen, gleichzeitig stagniert die Grundfinanzierung, mehr und mehr Finanzministerinnen und -minister setzen dort sogar den Rotstift an. Der Bund muss daher die überhitzte Projektfinanzierung zurückfahren und sich stärker in der Grundfinanzierung engagieren. Die umstrittene Exzellenzstrategie sollte in einen „Pakt für gute Arbeit in der Wissenschaft“ umgewandelt werden.

Im Übrigen darf Forschungsfinanzierung niemals missbraucht werden, um die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken. In der Fördergeldaffäre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2024 stand aber genau dieser Verdacht im Raum: dass die Vergabe von Fördergeldern von der politischen Willfährigkeit der Forschenden abhängig gemacht werden könnte. Das wäre genauso gefährlich, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen ihre Überzeugung zur Zusammenarbeit mit dem Militär und zur Rüstungsforschung zu zwingen. Die GEW unterstützt Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die sich in Zivilklauseln zu einer ausschließlich nichtmilitärischen Forschung verpflichten.

Strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung

Mehr Geld muss der Bund auch in die Hand nehmen, wenn er die seit Jahrzehnten verschleppte strukturelle Erneuerung der Ausbildungsförderung endlich anpacken will. In seiner über 50-jährigen Geschichte hat das BAföG einen regelrechten Funktionsverlust erfahren. Gerade noch 12 Prozent aller Studierenden beziehen überhaupt Leistungen. Dabei lebt ein Drittel der Studierenden in prekären Verhältnissen, hat also weniger als 800 Euro im Monat zur Verfügung. Eine Folge: der hohe Anteil von Studienabbrecherinnen und -abbrechern (35 Prozent an Universitäten), der den Fachkräftemangel weiter anheizt.

Unsere langfristige Perspektive ist die Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung zu einem elternunabhängigen Studienhonorar. In einem ersten Schritt muss der BAföG-Bedarfssatz mindestens auf Bürgergeldniveau angehoben und anschließend regelmäßig und automatisch an Preissteigerungen und Einkommensentwicklung angepasst werden. Wie alle anderen Sozialleistungen ist endlich auch das BAföG als Zuschuss zu gewähren und nicht länger zur Hälfte als Darlehen, das nach dem Studium zurückgezahlt werden muss. 

Und weil die Weichen in Bildungsbiografien nicht erst mit dem Hochschulzugang, sondern bereits mit dem Übergang auf eine weiterführende Schule gestellt werden, sollte 40 Jahre nach dem Kahlschlag der Regierung Kohl endlich das Schülerinnen- und Schüler-BAföG wieder eingeführt werden.

Radikale Reform des Befristungsrechts

Gutes Studium – gute Arbeit! Der Bund hat alle Hebel in Bewegung zu setzen, um für anständige Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft zu sorgen. Alle gut gemeinten Appelle an die Arbeitgeber haben nicht geholfen: Hochschulen und Forschungseinrichtungen nutzen das Sonderbefristungsrecht des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) aus, um ihre Beschäftigten mit Zeitverträgen mit kurzen Laufzeiten abzuspeisen. 

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Promotion sind zu 100 Prozent, mit Promotion zu 90 Prozent, mit Habilitation immer noch zu 44 Prozent befristet beschäftigt. Das Hire-and-Fire-Prinzip unterminiert nicht nur die Qualität von Lehre und Forschung, sondern begünstigt auch Machtmissbrauch und sorgt mit dafür, dass Frauen häufiger als Männer aus der Wissenschaft aussteigen, statt aufzusteigen.

Wir brauchen daher eine radikale Reform des Befristungsrechts, das Dauerstellen für Daueraufgaben schafft, Mindeststandards für Zeitverträge setzt, verlässliche -Karrierewege etabliert und allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gleiche Chancen gibt. Und der Bund muss bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die er mit milliardenschweren Programmen finanziert, darauf pochen, dass sie Tarifverträge abschließen und einhalten werden und mit Befristung verantwortungsbewusst umgehen.

Ob es gelingen kann, eine von Friedrich Merz (CDU) geführte Regierung im Sinne der GEW-Anforderungen zum Jagen zu tragen, ist offen – und hängt letztlich auch von uns ab. Schaffen wir es, im Bündnis mit anderen Gewerkschaften, Studierenden- und Wissenschaftsorganisationen ausreichend Druck außerhalb des Parlaments aufzubauen? Lasst uns das versuchen!