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Grundschulleiterin in Hongkong

Acht intensive, arbeitsreiche, aber auch erfüllte Jahre verbrachte Susanne Goschin von 2007 bis 2015 als Grundschulleiterin an der Deutsch-Schweizerischen Internationalen Schule Hongkong. Ein Rückkehrerbericht.

Duftender Hafen

Hongkong, auf Kantonesisch "Heung Keung", der "Duftende Hafen", besuchte ich als Touristin zusammen mit meinem Mann das erste Mal im Januar 1991. Damals landeten wir noch auf dem Kai Tak Flughafen auf der Kowloon Seite, eine der schwierigsten Landungen für Piloten weltweit auf einer Landebahn inmitten von Hochhausschluchten. Erst 16 Jahre später, im August 2007, ging für mich mit der Stelle als Leiterin der Grundschule an der Deutsch-Schweizerischen Internationalen Schule Hongkong (German Swiss International School = GSIS), eine der renommierten Internationalen Schulen Hongkongs und eine der großen deutschen Auslandsschulen, ein großer beruflicher Wunsch in Erfüllung. Acht intensive, arbeitsreiche, aber auch erfüllte Schuljahre sollte ich von 2007 bis 2015 an dieser Schule erleben.

Zum zweiten Mal als Lehrerin in Ostasien

Dabei war Ostasien für mich beruflich kein Neuland, da ich bereits schon einmal im ostasiatischen Raum im Einsatz war, in Taipei an der Taipei European School, von 1998 bis 2004. Dort leitete ich die Grundschule in den Jahren 2001 bis 2004. Meine Bewerbung für einen erneuten Einsatz in Ostasien war nur möglich, weil mein damaliger Schulleiter in Berlin meine Bewerbung unterstützte. Die Stellenausschreibung fiel mir über eine Anzeige in der ZEIT ins Auge. Zu den persönlichen Interviews und Gesprächen wurde ich dann nach Hongkong eingeladen und musste mich dort verschiedenen Interviews in deutscher und in englischer Sprache stellen und einen Online-Persönlichkeitstest absolvieren. Bei den Interviews lernte ich auch meinen zukünftigen Schulleiter kennen, Herrn Dr. Jens-Peter Green, mit dem ich fünf Jahre lang zusammenarbeiten sollte.

Zwischen Tradition und Moderne

Hongkong ist eine Metropole mit sieben Millionen Einwohnern. Eine chinesische Kollegin sagte einmal zu mir: "Hong Kong is a vibrant city." Es gibt wohl kaum eine Stadt auf der Erde, in der die Gegensätze zwischen Tradition und Moderne so offensichtlich zu Tage treten wie in Hongkong. Selbst in den Computergeschäften wird oft noch mit einem Abakus gerechnet, und Feng Shui Experten genießen ein derart hohes Ansehen, dass sie oft auf Jahre hinaus ausgebucht sind. Auch für besondere schulische Ereignisse buchten wir Feng Shui Experten, wie z.B. für die Eröffnung unserer Schulgebäude in den Stadtteilen Pok Fu Lam und in Wan Chai. In Hongkong ist das Leben pulsierend, manchmal auch hektisch, und doch kann man diesem hektischen Alltag entfliehen, mit Ausflügen auf die autofreien Inseln oder in die New Territories.

Lehrer haben ein hohes Ansehen

Erwähnen möchte ich, dass Lehrer in Hongkong, aber auch im gesamten chinesischen Kulturraum, ein hohes Ansehen genießen. Das war eine schöne und angenehme Erfahrung. Wie hoch das Lernen in konfuzianisch geprägten Gesellschaften geschätzt wird, erlebte man von seiner anstrengenden Seite, wenn man mit den äußerst hohen Erwartungen der asiatischen Mütter konfrontiert wurde. Die Ausbildung der Kinder hat gesellschaftlich einen so hohen Stellenwert, dass viele der wohlhabenden Eltern in Hongkong ausgesprochen viel in die Ausbildung ihrer Kinder investieren. Ein Schulplatz an einer der renommierten  Internationalen Schulen Hongkongs ist sehr kostspielig und mit einer hohen Aufnahmegebühr und einem monatlichen Schulgeld verbunden.

Freundschaften mit Hongkong-Chinesen

Das schulische Leben an der GSIS war auch in dieser Hinsicht äußerst interessant und insgesamt recht arbeitsintensiv. Ich war von daher sehr froh, dass sich mein Mann um alle häuslichen und organisatorischen  Angelegenheiten kümmerte, sowie um die Organisation unserer Urlaubsreisen.  Mein Mann, Bernhard Goschin, ist Dipl. Ingenieur und außerdem ein sehr guter Fotograf. Durch die Kontakte über seine Fotogruppe lernten wir auch Hongkong-Chinesen kennen und nicht nur ausländische Expats. Mit den Mitgliedern dieser Fotogruppe machten wir viele interessante Ausflüge, lernten die lokale kantonesische Küche kennen - Essen spielt in Asien eine große Rolle! - und knüpften Freundschaften zu Hongkong-Chinesen, die bis heute bestehen.

Die Deutsch-Schweizerische Internationale Schule Hongkong

Die GSIS wurde1969 von Deutschen und Schweizern gegründet, daher stammt der Name Deutsch-Schweizerische Schule, und hatte in ihrem Gründungsjahr 73 Schüler. Heute hat die Schule über 1.300 Schüler, vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe II, einschließlich eines Wirtschaftskollegs (Berufsschule mit den Ausbildungsgängen Groß- und Außenhandel, Speditions- und Dienstleistungen) mit ca. 50 Schülern. Insgesamt gibt es sechs pädagogische Abteilungsleitungen: eine für den Kindergarten, je eine für die deutsche und die englische Grundschule, die deutsche und englische Sekundarstufe und eine für das Wirtschaftskolleg. Darüber steht der/die Schulleiter/in, der/die aus Deutschland rekrutiert wird. Die Schule ist in zwei Zweigen organisiert, einem deutschen und einem  englischen Zweig, wobei der deutsche Zweig etwa 1/3 der Schülerschaft und der englische 2/3 der Schülerschaft umfasst.

Ehrgeizige Eltern

Die GSIS ist eine der führenden internationalen Schulen Hongkongs und genießt einen ausgezeichneten Ruf. Die Nachfrage nach einem Schulplatz im englischen Zweig übersteigt das Angebot an Plätzen um ein Vielfaches. Der Ehrgeiz der chinesischen Eltern geht dabei so weit, dass sie ihre jungen Kinder im Alter von 5-6 Jahren vor dem Aufnahmetest in sog. Assessment Schools schicken, die die Kinder auf die Aufnahmetests der internationalen Schulen vorbereiten. Insgesamt gibt es in Hongkong etwa 25 internationale Secondary Schools und 45 internationale Primary Schools und inzwischen sogar viele trilinguale Kindergärten.  Es könnten noch einige weitere eröffnet werden, weil die Nachfrage so hoch ist. Doch Bauland ist in Hongkong äußerst knapp, insbesondere auf Hongkong Island.

Die deutsche Grundschulabteilung

Meine Abteilung, die deutsche Grundschule der GSIS, umfasste zehn Klassen, beginnend mit der Vorschule bis zur 4. Klasse. Die Klassengrößen lagen zwischen 15 und 20 Schülern. Die Lehrkräfte waren alle mit voller Stelle im Einsatz, was sehr förderlich für einen fächerübergreifenden Unterricht war. Zusammen mit dem englischen Zweig hatte die Grundschule etwa 500 Schüler. Jeder Klassenraum war mit einem interaktiven Whiteboard und einem Visualizer ausgestattet. Weiterhin gab es zwei Computerräume, da der IT Unterricht bereits ab Klasse 1 in der wöchentlichen Stundentafel enthalten war. In den acht Jahren meiner Zeit als Grundschulleiterin habe ich es als großen Vorteil empfunden, dass es in der deutschen Grundschule nicht so viele personelle Wechsel gab. Mit den meisten meiner Kollegen/innen habe ich acht bzw. sechs Jahre zusammengearbeitet und gemeinsam haben wir im Bereich der Schulentwicklung einiges positiv verändern und voranbringen können. Außerdem erlebte die Grundschule in den acht Jahren gleich mehrere räumliche Veränderungen, die mich unfreiwillig zu einer "Grundschul-Umzugsexpertin" werden ließen.

Zusammenarbeit mit der englischen Grundschule

Von den Weiterentwicklungen im Bereich der Schulentwicklung möchte ich im Folgenden berichten, da diese die Ausbildung der Grundschüler maßgeblich verbessern konnten und ich in meiner Schlussbemerkung darauf Bezug nehmen werde. Die Grundschüler im deutschen Zweig haben Deutsch als Unterrichtssprache. Ab der Vorschule sind 2 Unterrichtsstunden Englisch vorgesehen, ab der 2. Klasse 4 Stunden Englisch. Zusätzlich können Nachmittagsangebote (AGs) in deutscher oder englischer Sprache belegt werden. Der Englischunterricht wird durch Native Speaker erteilt, was durch die enge Zusammenarbeit mit der englischen Grundschule möglich war. Entsprechend wurden die deutschsprachigen Lehrkräfte für den DaF-Unterricht in der englischen Grundschule eingesetzt. Ab der 3. Klasse konnten die Schüler zwischen Chinesisch oder Chinesischer Landeskunde in deutscher Sprache wählen. Auch dieser Sprachunterricht wurde von Native Speakern erteilt, die zusätzlich auch über sehr gute Deutschkenntnisse verfügten. Der Einsatz dieser chinesischen Lehrkräfte war möglich durch eine enge Kooperation mit der deutschen Sekundarstufe und dem Business College, da diese Kolleginnen in allen drei Abteilungen unterrichteten.

 

Muttersprache Deutsch?

Viele unserer Grundschüler hatten jedoch  nicht Deutsch, sondern z.B. Kantonesisch, Japanisch, Spanisch, Englisch, Finnisch und andere Sprachen als Muttersprache. Manche der Grundschüler hatten mit ihren sechs oder sieben Jahren bereits eine bewegte Biografie, wenn sie mit der Familie nach Hongkong kamen, da sie vorher verschiedene Kindergärten oder Pre-Schools durchlaufen und  in verschiedenen Städten oder Ländern gelebt hatten. Von daher war es für uns in der Grundschule sehr hilfreich, dass die zusätzliche Stelle einer Sonderpädagogin etabliert werden konnte, die durch individuelles Fördern und Fordern, sowohl die Kinder, als auch die Lehrkräfte, bestens unterstützen konnte. In meinem vorletzten Jahr konnten wir die Schulleitung dann auch noch überzeugen, eine DaZ-Lehrkraft mit voller Stelle einzustellen. Dieses wurde nicht nur von den Lehrkräften, sondern auch von den Eltern sehr begrüßt, von denen einige selbst gerne am DaZ-Unterricht teilgenommen hätten. (Ein Angebot für einen Elternkurs konnte in meiner Zeit jedoch noch nicht organisiert werden, da die DaZ-Lehrkraft mit ihrem Einsatz im Kindergarten und der Grundschule bereits vollständig ausgebucht war.)

 

Bund-Länder-Inspektion

Im November 2011 fand an der GSIS die Bund-Länder-Inspektion (BLI) statt, genau eine Woche vor dem alljährlichen Christmas Basar. Der BLI vorausgegangen war eine Peer Review, die mit einem Besuch und einem Feedback durch den Schulleiter und die Vorstandsvorsitzende der German European School Singapore endete. Die deutsche Grundschule schnitt besonders positiv bei dieser Bund-Länder-Inspektion ab, was ich auf die Kontinuität der Personalbesetzung, die kontinuierliche Arbeit und Innovationsfreudigkeit meines engagierten Kollegiums und die Möglichkeiten der qualitativen Personalverstärkung zurückführe. Die Auszeichnung “Exzellente Auslandsschule“ wurde von dem damaligen Außenminister Dr. Guido Westerwelle überreicht.  

 

Kooperationsprojekte mit Partnern in Deutschland

Erwähnen möchte ich zwei Kooperationsprojekte der deutschen Grundschule: Eines davon wurde bereits ein Jahr vor meinem Beginn mit der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe initiiert, wobei ich Prof. Dr. Liesel Hermes als federführende Person von der Hochschulseite her nennen möchte. Ein neues Kooperationsprojekt wurde von mir und dem damaligen Verwaltungsleiter mit dem Sozialen Friedensdienst Kassel ins Leben gerufen. Mit der PH Karlsruhe sah die Kooperation so aus, dass ein oder zwei Studenten pro Schuljahr ein Praktikum an unserer Grundschule absolvieren konnten, das von der PH Karlsruhe anerkannt wurde. Die PH Karlsruhe suchte die Studierenden vorher aus und unterstützte finanziell  den Flug nach Hongkong. Diese Kooperation war über die gesamten acht Jahre sehr fruchtbar. Über eine Kooperation mit  dem Sozialen Friedensdienst Kassel wurden ab 2008 für ein Schuljahr jeweils zwei Stellen für den Einsatz im sog. Internationalen Jugend Freiwilligendienst angeboten.

 

Einsatz männlicher Freiwilliger

Mein Wunsch war es, mehr „männliche Vorbilder“ an die Grundschule zu holen. Viele Väter unserer Grundschüler waren sehr stark beruflich eingespannt, von daher sollte der Einsatz der jungen Männer die männliche Rollenvorbild-Seite stärken. Der Einsatz der Freiwilligen erwies sich als ein voller Erfolg, sowohl bei den Schülern, als auch bei den Lehrkräften. Die Kooperation mit dem Sozialen Friedensdienst Kassel war über die gesamten acht Jahre sehr konstruktiv. Über ein regelmäßiges Feedback von meiner Seite an die Koordinatorin in Kassel konnten die jeweils neuen Bewerber mit jedem Jahr noch besser auf ihren Einsatz in der Grundschule vorbereitet werden. Außerdem wurden die Erfahrungsberichte der Freiwilligen auf die Webseite der GSIS gestellt, sodass zukünftige Interessenten sich bereits ein Bild von dem Einsatz an der Grundschule der GSIS machen konnten.

 

Umzüge der Grundschule

Größere Umbaumaßnahmen der GSIS am Hauptstandort „The Peak“ standen an, und da kein passendes temporäres Schulgebäude für einen Umzug der gesamten Grundschule auf Hongkong Island gefunden wurde, musste die Grundschule in mehreren Schritten umziehen und für einige Zeit „ausgelagert“ werden. Diese Umzüge erforderten von allen Beteiligten zusätzliche Kraft und Energie und auch Ideenreichtum. Viele internationale Schulen würden gerne ihren Campus erweitern, doch dafür findet man auf Hongkong Island kaum noch freies Gelände. Die Regierung bietet frei werdende Schulgebäude von lokalen chinesischen Schulen an, die jedoch für den Standard einer internationalen Schule erst einmal erheblich umgebaut und renoviert werden müssen. Hierbei lernte ich einiges hinzu, besonders durch die Zusammenarbeit mit Architekten und Innendesignern. Und zur Eröffnung eines neu hergerichteten Schulgebäudes wurde natürlich auch ein Feng Shui Meister hinzugezogen und es gab den Chinesischen Löwentanz, der für Glück und Erfolg im neuen Campus sorgen sollte.

 

Zurück in Berlin

Seit August 2015 lebe ich mit meinem Mann nun wieder in Berlin und arbeite dort für die Nelson Mandela Schule, eine staatliche internationale Gesamtschule. So spektakulär für mich damals 1991 die Landung in Hongkong auf dem Kai Tak Flughafen war, so ernüchternd war 2015 die Landung auf dem “kleinen“ Flughafen Berlin-Tegel. Trotz allem, Berlin wird immer internationaler, und da mein Mann und ich sehr stark kulturinteressiert sind, ist es wunderbar, wieder in dieser Stadt zu leben, die mehrere Konzerthäuser, drei Opernhäuser, viele Theater und wunderbare Museen hat. Die am meisten gestellte Frage in meinem ersten Jahr zurück in Berlin war: „Und wie lange bleibt ihr diesmal in Deutschland?“ Ich sagte: „Diesmal bleiben wir für immer.“ 14 Jahre in Ostasien waren  äußerst interessant und wir möchten diese auf keinen Fall missen. Die neueren Entwicklungen in Hongkong, immer höhere Mietkosten, der starke festlandchinesische Einfluss, haben die Atmosphäre und das Alltagsleben in Hongkong stark verändert und uns den Abschied leichter gemacht.

 

Schlussbemerkung

Wenn ich nun aus deutscher Sicht zurückblicke auf das Schulleben der GSIS in Hongkong, beschäftigt mich die Frage, ob wir mit unserer Ausbildung und der gesellschaftlichen Einstellung zu Bildung in Deutschland mithalten können mit internationalen Schulen, die sowohl materiell wie personell bestens ausgestattet sind, deren chinesisches Umfeld mit dazu beiträgt, dass der schulischen Ausbildung sehr viel Wertschätzung entgegengebracht wird. Werden unsere Schüler mithalten können im globalen Wettbewerb, wenn in Ostasien bereits Kindergartenkinder trilingual ausgebildet werden? Ich denke, das Besondere an der GSIS ist, dass sich hier deutsche, angelsächsische und chinesische Traditionen begegnen, gelegentlich aneinander reiben, in jedem Fall aber bereichern und damit meiner Ansicht nach zu einer qualitativ sehr hochwertigen Ausbildung unserer Schülerinnen und Schüler beitragen. Mit einem Zitat des Leiters der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, Joachim Lauer, möchte ich meinen Bericht beenden: „ Die Deutsch-Schweizerische Internationale Schule Hongkong ist mehr als eine Schule. Sie vereint das Beste aus verschiedenen Bildungswelten.“