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Evaluation der WissZeitVG-Novelle

Große Mehrheit weiter mit Kurzzeitverträgen abgespeist

Die Evaluation der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) belegt, dass das zentrale Ziel, unsachgemäße Kurzzeitbefristungen einzudämmen, verfehlt wurde. GEW-Hochschulexperte Andreas Keller sieht großen Reformbedarf.

Dauerstellen für Daueraufgaben: Aktion der GEW am Brandenburger Tor in Berlin 2015. (Foto: Kay Herschelmann)

Die Novelle des 2016 in Kraft getretenen Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) hat nicht wie geplant zu mehr unbefristeten Arbeitsplätzen an Universitäten und Hochschulen geführt. Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist mit 84 Prozent an den Universitäten und 78 Prozent an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) so hoch wie vor Inkrafttreten der Novelle, wie aus der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beauftragten und vorgestellten Evaluation hervorgeht. Die Laufzeiten der Zeitverträge fielen nach einem vorübergehenden Anstieg wieder auf das Niveau vor 2017 zurück.

„Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt. Die Novelle dämmt weder unsachgemäße Befristung noch Kurzzeitbefristungen ein.“ (Andreas Keller)

An den Universitäten liege die durchschnittliche Vertragslaufzeit bei 18 Monaten, an den HAW bei 15, kritisierte der GEW-Hochschulexperte Andreas Keller. 26 Prozent der Zeitverträge an Universitäten liefen nicht einmal ein Jahr, an den HAW betrage dieser Anteil sogar 30 Prozent. „Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt. Die Novelle dämmt weder unsachgemäße Befristung noch Kurzzeitbefristungen ein. Jetzt gibt es keine Ausrede mehr für die Ampelkoalition, die überfällige Reform des Gesetzes anzupacken“, betonte der GEW-Vizevorsitzende.

Befristungen gingen nur kurz zurück

Betrachtet man rückblickend die Kalenderjahre 2015 bis 2020 im Vergleich, so wird deutlich, dass die extremen Kurzzeitbefristungen nur in der Zeit unmittelbar nach der Novelle zurückgingen, 2020 aber wieder anstiegen. Im Jahr 2020 waren es an den Universitäten wieder mehr als 42 Prozent, in der außeruniversitären Forschung etwa ein Drittel und an Hochschulen für angewandte Wissenschaften 45 Prozent der befristeten Arbeitsverträge.

„Wer acht Jahre und länger wissenschaftlich an einer Universität beschäftigt ist, blickt im Mittel auf sieben bis acht Verträge zurück.“ 

Das Gesetz trage auch nicht wie vorgesehen dazu bei, die wissenschaftliche Qualifizierung zu fördern, sagte Keller weiter. Die durchschnittliche Promotionsdauer betrage nach Angaben des vom BMBF veröffentlichten Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 knapp sechs Jahre (ohne Medizin). Innerhalb einer durchschnittlichen Vertragslaufzeit von anderthalb Jahren könne das Qualifizierungsziel Promotion somit nicht erreicht werden. „Die Folge sind Kettenbefristungen – wer acht Jahre und länger wissenschaftlich an einer Universität beschäftigt ist, blickt im Mittel auf sieben bis acht Verträge zurück.“ 

Vertragsbedingungen von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern:

Befristungen

  • An Universitäten: 84 Prozent befristet
  • An Hochschulen für Angewandte Wissenschaften: 78 Prozent befristet

Durchschnittliche Vertragslaufzeiten

  • An Universitäten: 17,6 Monate
  • An Hochschulen für Angewandte Wissenschaften: 14,8 Monate (Männer), 16,3 Monate (Frauen)
  • An außeruniversitären Forschungsinstituten: 19,6 Monate (Männer), 18,5 Monate (Frauen)

Anteil von Arbeitsverträgen kürzer als ein Jahr

  • An Universitäten: über 42 Prozent
  • An Hochschulen für Angewandte Wissenschaften: 45 Prozent
  • An außeruniversitären Forschungsinstituten: 32 Prozent

Familienbedingte Vertragsverlängerungen

  • Nur ein Prozent aller Verträge wurden aufgrund der so genannten familienpolitischen Komponente verlängert.

Coronabedingte Verlängerungen

  • Zwei Drittel der Befragten litten unter pandemiebeschränkten Einschränkungen.
  • Ein Fünftel hat eine pandemiebedingte Vertragsverlängerung erfahren.

Kettenbefristungen

  • Von allen, die vor 2015 mit der Arbeit an Universitäten begonnen haben, hatten 61 Prozent bereits mehr als fünf Arbeitsverträge.
  • Wer bereits länger als acht Jahre an einer Universität beschäftigt ist, hatte im Mittel sieben bis acht Arbeitsverträge.

Studienbegleitende Beschäftigung

  • 70 bis 90 Prozent haben eine Laufzeit von nicht mehr als sechs Monaten.
  • 90 Prozent der Verträge werden nach Paragraf 6 WissZeitVG befristet.

„Schluss mit Hire and Fire“

Die GEW fordert den Bund daher zu einer raschen und umfassenden Reform des WissZeitVG auf. „Schluss mit Hire and Fire in der Wissenschaft“, sagte Keller. Das Wissenschaftszeitvertrags- müsse zu einem „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ weiterentwickelt werden. „Es muss klipp und klar geregelt werden, dass Befristungen nur zulässig sind, wenn sie eine wissenschaftliche Qualifizierung wie die Promotion fördern. Verbindliche Mindestvertragslaufzeiten müssen sicherstellen, dass die Qualifizierung tatsächlich erfolgreich abgeschlossen werden kann.“

Nach der Promotion sei eine Befristung allenfalls in Verbindung mit einem Tenure Track gerechtfertigt, also wenn das Beschäftigungsverhältnis mit Erreichen des Qualifizierungsziels entfristet werde. Für Beschäftigte, die Kinder betreuten, pandemiebedingte Beeinträchtigungen erfahren hätten oder eine Behinderung oder chronische Erkrankung hätten, müsse es im Sinne eines Nachteilsausgleichs einen Anspruch auf Vertragsverlängerung geben.

Der von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) präsentierten Studie liegen Vertragsdatenuntersuchungen und Beschäftigtenbefragungen in 18 Universitäten, 8 Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, 5 Universitätskliniken und 22 Instituten der außeruniversitären Forschung sowie Befragungen von Personalverwaltungen zu Grunde. Die Leitfragen für die Evaluation bezogen sich eng auf die Effekte der Gesetzesänderungen von 2016 und nicht auf die generellen Auswirkungen des WissZeitVG auf die Beschäftigungssituation des wissenschaftlichen Personals.

 

Das WissZeitVG, das 2007 als Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft in Kraft trat, wurde 2011 erstmals evaluiert. Wirbel verursachte damals, dass von allen im Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis zum 31. Januar 2010 an Hochschulen und Forschungseinrichtungen geschlossenen Arbeitsverträgen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Qualifizierungsphase mehr als 50 Prozent eine Laufzeit von weniger als einem Jahr hatten.

Zentrales Ziel der Novelle des WissZeitVG von 2016 war folgerichtig, die unsachgemäßen Kurzzeitbefristungen einzudämmen. Seit 2016 gilt als Befristungsbedingung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sofern sie nicht in Drittmittelprojekten beschäftigt sind, dass die befristete Beschäftigung der Qualifizierung förderlich sein muss und mit einer dem Qualifizierungsziel angemessenen Vertragslaufzeit ausgestattet sein soll.

Jetzt zur Konferenz anmelden

Am 3. Juni 2022 wird die GEW auf ihrer Konferenz „Schluss mit Hire and Fire – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf dem Prüfstand“ die Ergebnisse der Evaluation präsentieren, eigene Vorschläge für eine Reform zur Diskussion stellen und darüber mit Bundestagsabgeordneten der SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken debattieren.

Hier geht es zum Programm mit Zeitplan, Anmeldungen zur Präsenzteilnahme und Zugang zum Livestream.