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MINT-Fächer

Gleichung mit vielen Unbekannten

Für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) gibt es immer weniger Lehrkräfte. Das hat seine ganz besonderen Gründe. Um für mehr Nachwuchs zu sorgen, werden in der GEW unterschiedliche Wege diskutiert.

Das Interesse an MINT-Fächern und das Interesse am Lehramt fallen zum Zeitpunkt der Studienwahl selten zusammen. (Foto: Pixabay / CC0)

Alexander Fladerer ist Chemie- und Physiklehrer am Kölner Gymnasium Kreuzgasse, Koordinator für die MINT-Fächer und Vorsitzender des GEW-Bezirks Köln – und er hat seine eigene, ganz persönliche Sicht auf den wachsenden Lehrkräftemangel in den Naturwissenschaften: „Im Grunde“, sagt Fladerer, „müsste man das Lehramtsstudium in den MINT-Fächern abschaffen.“ Es sei für viele geeignete Kandidatinnen und Kandidaten unattraktiv und eher Hemmschwelle als Motivation, in den Schuldienst zu gehen. Auch er selbst sei zunächst Diplom-Chemiker geworden und erst als Quereinsteiger mit Promotion, ohne pädagogische Vorbildung ins Referendariat gekommen – mittlerweile aber fast 20 Jahre als Lehrer erfolgreich im Beruf.

Seiner Erfahrung nach fallen das Interesse an MINT-Fächern und das Interesse am Lehramt zum Zeitpunkt der Studienwahl selten zusammen. „Für junge Menschen, die sich für MINT-Fächer interessieren, steht das Lehramt nach dem Abitur selten im Fokus“, sagt Fladerer. „Das wird auch durch noch so viele Werbekampagnen nicht anders.“ Dabei wirkt dem Kölner Kollegen zufolge noch ein anderer Effekt mit: Gerade in MINT-Disziplinen sei der Anteil der Studierenden aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationshintergrund besonders hoch. Am Ende ihres Studiums oder nach einer Promotion stelle sich für viele junge Menschen die Frage der Berufswahl anders – und die Schule erscheine als attraktive Option.

„Die Politik nutzt die Chancen nicht, Spätberufene zu rekrutieren.“ (Alexander Fladerer)

Bundesweit fehlen in vielen weiterführenden Schulen immer mehr Lehrkräfte für die technisch-naturwissenschaftlichen Bereiche – ein Teil des MINT-Unterrichts wird längst von Kolleginnen und Kollegen abgedeckt, die das jeweilige Fach nicht studiert haben. Die jüngste Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm für die Deutsche Telekom Stiftung im Dezember 2020 hatte sogar einen dramatisch wachsenden Lehrkräftemangel in den MINT-Fächern vorhergesagt: Ohne konsequentes Gegensteuern würden die weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2030/31 nur noch ein Drittel der benötigten, entsprechend ausgebildeten MINT-Fachlehrkräfte zur Verfügung haben, so der emeritierte Professor der Uni Duisburg-Essen. Zuletzt hätten immer weniger Studierende mit mindestens einem MINT-Fach eine Lehramtsprüfung absolviert – gleichzeitig seien die Absolventenzahlen über alle Lehramtsfächer hinweg gleichgeblieben.

Das Ergebnis der aktuellen Untersuchung war noch einmal deutlich negativer als das einer Vorgängerstudie von 2014, als Klemm eine Bedarfsdeckungsquote von rund zwei Dritteln prognostiziert hatte. Laut Fladerer machte Nordrhein-Westfalen (NRW) zwischen 2003 und 2007 gute Erfahrungen mit der Anerkennung naturwissenschaftlicher Diplome als Erste Staatsexamen und einer Zulassung zum regulären Referendariat mit zusätzlichen pädagogischen Elementen.

„Damals wurde eine große Welle Lehrkräfte in die Schulen gespült“, sagt Fladerer. „Viele Kolleginnen und Kollegen, die über diesen Weg in die Schulen gekommen sind, bilden heute das Rückgrat des MINT-Lehrkörpers.“ Daher solle man das Modell wieder einführen. „Die Politik nutzt die Chancen nicht, Spätberufene zu rekrutieren.“ Sich vielfältigen Bildungsbiografien und unterschiedlichen Ausbildungswegen zu verschließen, leisteten sich nur wenige andere Branchen. „Es wird Zeit“, betont Fladerer, „dass sich das ändert.“

Hohe Quote der Studienabbrecher

Für Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, sind die Zahlen aus NRW keine Ausnahme, sondern repräsentativ für die Lage in ganz Deutschland: „Die Situation ist in vielen Bundesländern ähnlich“, sagt sie. Eine wesentliche Ursache dafür sei die hohe Quote der Studienabbrecher gerade in diesen Fächern. Viele Studierende kämen mit anderen Voraussetzungen und Vorstellungen an die Universitäten und erlebten dann im Studienalltag unangenehme Überraschungen – etwa wie unterschiedlich Mathematik in Schule und Hochschule vermittelt werde. „Wir brauchen gerade in den MINT-Fächern eine bessere Unterstützung, Begleitung und Betreuung, mehr Tutorien und mehr Austausch, um die Abbrecherquote zu verringern“, sagt Bensinger-Stolze.

„Es kann nicht sein, dass jemand schon zehn Jahre in Deutschland als Lehrkraft oder Dozent arbeitet – aber in der Schule nicht angestellt wird, weil ein Zertifikat fehlt.“ (Anja Bensinger-Stolze)

Um den Mangel an den Schulen kurzfristig zu beheben, müssten auch die Bedingungen für Quer- sowie Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger attraktiver werden – etwa durch berufsbegleitende Qualifizierungen, Teilzeitangebote und eine gute Bezahlung. „Abstriche an der Qualität der Ausbildung“, so betont Bensinger-Stolze, „kommen für die GEW nicht infrage.“

Parallel sollte auch die Anerkennung von Abschlüssen, die Lehrkräfte im Ausland erworben haben, erleichtert werden. Eine Verbesserung der Deutschkenntnisse oder eine Weiterqualifizierung könne berufsbegleitend laufen und durch Stundenermäßigungen erleichtert werden. Dass jemand im Ausland nur ein Unterrichtsfach studiert habe, dürfe nicht länger ein Ausschlusskriterium sein. „Es kann nicht sein, dass jemand schon zehn Jahre in Deutschland als Lehrkraft oder Dozent arbeitet – aber in der Schule nicht angestellt wird, weil ein Zertifikat fehlt“, so Bensinger-Stolze. Die GEW hat ein 15-Punkte-Programm gegen den Lehrkräftemangel entwickelt, das auch für die MINT-Fächer gilt.

„Es braucht eine berufsbegleitende Nachqualifizierung.“ (Andreas Keller)

Für Andreas Keller, GEW-Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung, ist der Quer- und Seiteneinstieg in Zeiten des Fachkräftemangels notwendig. „Es braucht eine berufsbegleitende Nachqualifizierung“, betont Keller. Die GEW unterstütze die breit gefächerten Einsatzmöglichkeiten des Lehramts-Bachelors – es sei richtig, dass erst im Master eine Festlegung auf Schulstufen und -formen erfolgen soll. Einer Dequalifizierung der Lehrkräfte werde die GEW keinen Vorschub leisten. „Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken“, unterstreicht Keller, „sollten dennoch bereits im Bachelorstudium vermittelt und aufeinander bezogen werden.“