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Leitung in Bildungseinrichtungen

„Gezittert wie ein Anfänger“

Schulleitungen sind für vieles verantwortlich; sie müssen das Budget verwalten, den Ganztag organisieren, die Schulentwicklung vorantreiben oder auch die Inklusion stemmen. Wie meistert man diese Verantwortung, und wie bereitet man sich darauf vor?

Ronald Rahmig hält strukturelle Veränderungen für wichtig, damit Schulleiterinnen und Schulleiter ihre Aufgabe besser bewältigen können: „Lehre und Leitung beißen sich, Unterricht verlangt Regelmäßigkeit, Schulleitung Flexibilität – nur so können wir die Vielfalt der Aufgaben und Termine wahrnehmen.“ (Foto: Kay Herschelmann)

Als Ronald Rahmig Schulleiter wurde, fühlte er sich eigentlich gut vorbereitet. Er hatte zuvor bereits als Abteilungsleiter einer beruflichen Schule erste Leitungserfahrung gesammelt, der dortige Schulleiter zeigte ihm immer wieder, worauf es bei der Führung eines Schulbetriebs ankommt: Wie binde ich die Kolleginnen und Kollegen ein, wie organisiere ich die Personalentwicklung, wie funktioniert das Zusammenspiel mit Handwerks- und Handelskammer, mit Bezirk und Verwaltung, wo liegen die Fallstricke in der Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht? „Es war gut und wichtig, langsam in die Leitungsrolle hineinzuwachsen“, sagt Rahmig rückblickend.

„Schulleitungen brauchen mehr Fortbildungen und begleitendes Coaching, um für solche Aufgaben gewappnet zu sein.“ (Ronald Rahmig)

2010 übernahm er die Leitung des Oberstufenzentrums Kraftfahrzeugtechnik in Berlin, eine Schule mit 2.000 Schülerinnen und Schülern, die mit 400 Betrieben zusammenarbeitet, und merkte doch im Alltag schnell: „Es gibt vieles, was ich vorher nicht wusste.“ Mit dem Ausmaß der Bürokratie bei Einstellungen oder der Finanzverwaltung einer Schule etwa, einigem, das fortan seinen Alltag erschwerte, hätte er nie gerechnet. Rahmig: „Schulleitungen brauchen mehr Fortbildungen und begleitendes Coaching, um für solche Aufgaben gewappnet zu sein.“

Viele Leitungsposten unbesetzt

Heute ist Rahmig ein alter Hase an der Spitze der Berufsschule und setzt sich im Vorstand der Vereinigung der Berliner Schulleiterinnen und Schulleiter (VBS) für eine gute Vorbereitung und bessere Arbeitsbedingungen für Schulleitungen ein. Denn die Belastungen haben in den vergangenen Jahren noch einmal zu-genommen. Schulleitungen sind neuerdings auch zuständig für Budgets und Haushaltsführung, müssen Inklusion stemmen, Ganztagsschule organisieren, Schulentwicklung vorantreiben. Sie sind stets eingeklemmt zwischen den Erwartungen der Schulaufsicht und des Bezirks sowie denen des Kollegiums und der Eltern und „im Zweifelsfall am Schluss an allem schuld“, sagt Rahmig. „Wer will sich schon so einen Stress antun?“ Die Folge: In vielen Bundesländern bleiben Leitungsposten unbesetzt. Allein Berlin muss in den kommenden drei Jahren für jede zweite Schule eine neue Leitung finden, das macht 400 im gesamten Land.

Schon 2013 hat die Hauptstadt eine Fortbildung entwickelt. Im Gegensatz zu Angeboten in den meisten anderen Bundesländern ist diese nicht freiwillig, sondern Pflicht für Kandidatinnen und Kandidaten. Das Qualifizierungsprogramm „Vor dem Amt“ umfasst 120 Stunden und wird vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) und einer Reihe anderer, anerkannter Weiterbildungsinstitute angeboten. Im 60-stündigen Basismodul geht es um Grundlagen der Kommunikation und Feedback, Leadership-Stile und Rollenbewusstsein, Umgang mit Belastungen, Konfliktmoderation und Qualitätsentwicklung. In weiteren 60 Stunden werden die Kenntnisse vertieft – vom gelungenen Delegieren über Teamkultur bis zur Reflexion des eigenen Leitungsverständnisses.

Praxisnahe Aufgaben

„Uns ist die Aktivierung der Teilnehmenden dabei wichtiger als die Theorie“, erläutert Bernd Jankofsky, Abteilungsleiter Schul- und Personalentwicklung beim LISUM. Nach kurzen Inputs werden praxisnahe Aufgaben in Kleingruppen oder Rollenspielen bearbeitet und reflektiert. Ein Dozententandem aus externen Leadership-Profis und leitungserfahrenen Päagogen begleitet die Gruppe. Am Ende soll jede und jeder ein eigenes, differenziertes Führungskonzept entwickeln: Was soll meinen Stil prägen, welche Struktur will ich dem Miteinander an der Schule geben, welches Verständnis habe ich von pädagogischer Arbeit?

Jankofsky: „Gerade hier besteht großer Bedarf, weil die klassischen Führungskompetenzen immer seltener tragen.“ Denn hinter ihnen stand die Vorstellung eines stabilen Systems, das es zu dirigieren gelte, der Tanker Schule, den man sorgfältig geplant durch den Alltag steuert. „Heute aber sind Veränderungsfähigkeit und viel Selbstreflexion gefragt.“ Um eine Schule wie ein Schnellboot flink und flexibel durch die sich rasant wandelnden Zeitläufe manövrieren zu können.

Lange Wartezeiten

„Die Fortbildungen sind ein absolut sinnvolles Angebot“, findet Thomas Rosenbaum, Gesamtpersonalrat der allgemeinbildenden Schulen in Berlin. Allerdings: „Die Wartezeiten sind viel zu lang.“ Laut Verwaltungsvorschrift müssten Schulleitungsanwärterinnen und -anwärter zwar vor der Bewerbung um einen Leitungsposten die Qualifizierung abgeschlossen haben. Doch da es wenig Plätze gibt, sei das kaum realistisch. „Wir kennen Interessierte, die bis zu zwei Jahre warten mussten.“

Aus pragmatischen Gründen nimmt die Senatsverwaltung mittlerweile auch Bewerbungen an, in denen die Lehrkräfte erst einen Teil der Qualifizierung vorweisen können. Den verbleibenden Teil müssen die künftigen Schulleitungen dann vor Amtsantritt machen – sofern sie einen Platz bekommen. Eine Anfrage des Personalrats beim Senat ergab: „Wer in Stellenbesetzungsverfahren gute Aussichten hat, kann in der Warteliste vorgezogen werden“, so Rosenbaum.

„Eine Schule zu leiten, ist trotz komplexer Aufgaben offenbar durchaus noch ziemlich attraktiv. Wir haben sehr aufgeschlossene, motivierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Schulformen.“ (Thomas Rosenbaum)

Das LISUM hat Konsequenzen gezogen. Ab Frühjahr 2022 soll das Kursangebot zwei, drei Jahre lang auf je 300 Plätze verdoppelt werden, um den Rückstau abzubauen und ausreichend Bewerberinnen und Bewerber zu qualifizieren. „Dann hätten wir pro zu besetzender Stelle mindestens drei potenzielle Kandidatinnen oder Kandidaten, eine solide Grundlage.“ Plätze in erheblich größerem Umfang bereitzustellen, ist aus Jankofskys Sicht nicht sinnvoll. „Die Qualifizierung wurde nicht als allgemeine Fortbildung entwickelt, sondern als konkrete Vorbereitung auf eine Leitungsaufgabe.“ Das große Interesse an dem Angebot sieht er als positive Botschaft: „Eine Schule zu leiten, ist trotz komplexer Aufgaben offenbar durchaus noch ziemlich attraktiv. Wir haben sehr aufgeschlossene, motivierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Schulformen.“

Neben der Fortbildung setzt der Berliner Senat seit einigen Jahren auf zweitägige Assessments, eine Art freiwillige Potenzialanalyse für angehende Schulleitungen. Doch der Status des Angebots sei unklar, so Personalrat Rosenbaum. „Ein offizielles Rekrutierungsinstrument ist es nicht, für die Entscheidung der Bewerberauswahl soll es laut Senat keine Rolle spielen. Erst wurde es nur einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten angeboten, jetzt gibt es Aushänge an den Schulen.“ Ein „Kasperletheater“ findet das Rosenbaum, dabei wäre es aus seiner Sicht durchaus sinnvoll, strukturierte Fortbildung und Potenzialanalyse zu verbinden, im Idealfall ergänzt um Coaching und Supervision. Nach Auskunft der Senatsverwaltung entwickelt die Fachgruppe Fortbildung derzeit neue Formate dazu.

Mirko Truscelli hatte an seiner Motivation zum Schulleiter nie gezweifelt. Er wollte Schule gerechter machen, endlich mehr selbst gestalten können. (Foto: Babette Brandenburg)

„Verwalter oder Gestalter“

Mehrgleisig zu fahren, viele unterschiedliche Wege der Vorbereitung zu nutzen – Mirko Truscelli weiß, was das bringt. Er ist Schulleiter in Stuhr-Brinkum südlich von Bremen in Niedersachsen, und auch dort gibt es eine Fortbildungspflicht – allerdings greift diese erst dann, wenn man die Zusage in der Tasche hat. Trotzdem wurde Truscelli schon vorher aktiv, auf eigene Faust. Sicher, an seiner Motivation zur Schulleitung hatte er keinen Zweifel. Er wollte Schule gerechter machen, endlich mehr selbst gestalten können. Aber wäre er für den Job an der Spitze wirklich geeignet?

Truscelli buchte die Fortbildung „Verwalter oder Gestalter“ beim Bildungsinstitut der niedersächsischen Wirtschaft (BNW), dreimal zwei Tage, ein gebündelter Rundumblick in die Leitungswelt und ihre spezifischen Aufgaben. „Vor allem die Auseinandersetzung mit dem Rollenwechsel hat mir sehr geholfen.“ Wie ist es, in einer Machtposition zu sein, in Gesprächen mit dem Personalrat als Schulleiter plötzlich auf der Arbeitgeberseite zu stehen? Kann er es aushalten, gegenüber Kolleginnen und Kollegen auch unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, manchmal vielleicht harte persönliche Dienstgespräche mit rechtlich verbindlichen Weisungen zu führen?

„Der Ernstfall Schule lässt sich eben nur bis zu einem gewissen Grad üben.“ (Mirko Truscelli)

Damit zurechtkommen zu müssen, dass seine Macht zugleich mehr Grenzen hätte als in jedem anderen Managementjob: Er kann weder versetzen noch andere Aufgaben zuweisen, schon gar nicht entlassen. Lehrkraft bleibt Lehrkraft. „Danach wusste ich: Ich will das, ich kann das, und was ich noch nicht kann, werde ich lernen.“

Dafür bietet die niedersächsische Pflichtfortbildung ein reiches Toolkit: gut 230 Stunden neben dem Job, vom Instrumentenkoffer der Führungskommunikation über Schulrecht bis zu Personalauswahl und Qualitätsentwicklung. Truscelli: „Die Kombination beider Angebote ist optimal.“ Auch wenn er vor dem ersten Dienstgespräch, in dem er einen erwachsenen Menschen zurechtweisen musste, „gezittert hat wie ein Anfänger“, sagt Truscelli. „Der Ernstfall Schule lässt sich eben nur bis zu einem gewissen Grad üben.“

Die Richtschnur für die Maßnahmen in der Schule sollen nach Ansicht der GEW die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sein. Dafür schlägt die GEW ein Fünf-Punkte-Programm vor:

5-Punkte-Programm zum Gesundheitsschutz an Schulen
Ab der 5. Klasse muss das gesellschaftliche Abstandsgebot von 1,5 Metern gelten. Dafür müssen Klassen geteilt und zusätzliche Räume beispielsweise in Jugendherbergen gemietet werden.
Um die Schulräume regelmäßig zu lüften, gilt das Lüftungskonzept des Umweltbundesamtes. Können die Vorgaben nicht umgesetzt werden, müssen sofort entsprechende Filteranlagen eingebaut werden.
Die Anschaffung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler muss endlich beschleunigt werden. Flächendeckend müssen eine datenschutzkonforme digitale Infrastruktur geschaffen und IT-Systemadministratoren eingestellt werden. Zudem müssen die Länder Sofortmaßnahmen zur digitalen Fortbildung der Lehrkräfte anbieten.
Für die Arbeitsplätze in den Schulen müssen Gefährdungsanalysen erstellt werden, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler besser zu schützen.
Transparenz schaffen: Kultusministerien und Kultusministerkonferenz müssen zügig ihre Planungen umsetzen, wöchentlich Statistiken auf Bundes-, Landes- und Schulebene über die Zahl der infizierten sowie der in Quarantäne geschickten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine realistische Datenbasis, um vor Ort über konkrete Maßnahme zu entscheiden“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. 

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten ändern muss.