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Gewerkschaftskongress in Georgien

Vom 24. – 26. Oktober 2014 fand in Tiflis der Kongress der georgischen Bildungsgewerkschaft ESFTUG statt. Zwei Jahre zuvor stand die ESFTUG wegen staatlicher Unterdrückung fast vor dem Aus. Inzwischen kann die Gewerkschaft wieder frei arbeiten.

Fotos: ESFTUG

Mit Zuversicht blickt die georgische Gewerkschaft der PädagogInnen und WissenschaftlerInnen ESFTUG in die Zukunft. Auf 35.000 Mitglieder ist die Bildungsgewerkschaft von Januar 2013 bis August 2014 wieder angewachsen, nachdem ihre Arbeit in den Jahren zuvor aufgrund staatlicher Repression fast zum Erliegen gekommen war.

Hinter dieser Zahl verbirgt sich auf der einen Seite der zähe, unerschrockene und entschlossene Kampf georgischer Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen gegen autoritäre Einflussnahme der Regierung, aber auch die solidarische Unterstützung der weltweiten und europäischen Gewerkschaftsdachorganisationen Education International (EI) und European Trade Union Committee for Education (ETUCE) sowie von Einzelgewerkschaften wie der 'American Federation of Teachers' (AFT) und der GEW.

Regierungswechsel 2012 verändert Bedingungen für Gewerkschaften

Die im Herbst 2012 abgewählte georgische Regierung hatte die Gewerkschaft mit Gerichtsprozessen überzogen und sich geweigert, ESFTUG-Präsidentin Maia Kobakhadize als demokratisch gewählte Interessenvertreterin der Lehrerinnen und Lehrer anzuerkennen. Gewerkschaftsmitgliedern wurde mit Verlust des Arbeitsplatzes gedroht, Mitgliedsbeiträge wurden vom Staat einbehalten. Unter internationalem Druck musste die Regierung die Wahl Maia Kobakhadizes zur ESFTUG-Präsidentin schließlich doch anerkennen und die von ihr eingesetzte Regierungskandidatin zurückziehen.

Der Regierungswechsel nach dem Wahlsieg des von dem Milliardär Bidsina Iwanischwili gegründeten Oppositionsbündnis ‚Georgischer Traum‘ hat die Bedingungen für gewerkschaftliche Arbeit in Georgien verändert. Seit Januar 2013 können in allen Regionen des Landes wieder Gewerkschaftsversammlungen stattfinden. Ehemalige ESFTUG- Mitglieder haben ihre Mitgliedschaft erneuert, neue sind hinzugekommen.

Durch Verhandlungen mit der Bank wurde erreicht, dass die Mitgliedsbeiträge jetzt direkt von der Gehaltsüberweisung abgezogen und an die Gewerkschaft überwiesen werden. So sind die Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder dem Zugriff durch den Staat entzogen und bilden eine Budgetsicherheit für die Gewerkschaft.

Absolute Transparenz

Auf dem ESFTUG-Kongress in Tiflis wurde Maia Kobakhidze am 25. Oktober einstimmig als Präsidentin wiedergewählt. Bemerkenswert ist der sehr hohe Frauenanteil in der Gewerkschaft. Von 148 Delegierten waren nur 25 Männer, was dem Anteil in der Mitgliedschaft entsprechen soll. Stolz erklärte Maia Kobakhidze, dass die Gewerkschaft sich jetzt auf ihre Kernaufgaben, die Belange der Beschäftigten im Bildungswesen konzentrieren werde.

Neben der rechtlichen Absicherung und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte, ihrer Weiterbildung und der Berücksichtigung der Sprachen ethnischer Minderheiten soll der Schwerpunkt ihrer nächsten Amtszeit die absolute Transparenz sein, insbesondere was die Offenlegung aller Gehälter betrifft, angefangen bei der Präsidentin, über die ESFTUG-Regionalvorsitzenden bis zu Verwaltungs- und Servicepersonal.

Maia Kobakhidze bedankte sich besonders bei Martin Rømer, dem Direktor des Dachverbands europäischer Bildungsgewerkschaften ETUCE, für die Unterstützung in den schwierigen Jahren. Aber auch ohne die Solidarität der anwesenden Bildungsgewerkschaften aus Polen, Estland, den Niederlanden und Deutschland sowie der kaukasischen Schwestergewerkschaften in Aserbeidjan und Armenien wäre es schwer möglich gewesen, den Demokratieprozess so umzusetzen.

Großes Interesse an internationalen Kontakten

Der Wunsch, engeren Kontakt zu westlichen Gewerkschaften zu pflegen, ist sehr groß. Immer wieder wurde die Unterstützung der American Federation of Teachers bei der Durchführung von Gewerkschaftsschulungen und dem Aufbau regionaler Strukturen betont.

Mehrfach wurde in Reden und persönlichen Gesprächen die Beteiligung der GEW bei früheren Prozessbeobachtermissionen in Georgien und die Vorbildrolle beim Aufbau von demokratischen Gewerkschaftsstrukturen in einem ehemals sozialistischen Land, der DDR, hervorgehoben.

Die Anwesenheit der demokratisch gewählten Erziehungsministerin und von Repräsentanten der Kommunal- und Distriktverwaltungen unterstrich die gegenseitige Anerkennung. Die RegierungsvertreterInnen betonten in ihren Grußadressen den Willen zur Zusammenarbeit und die überfällige Anhebung der Lehrergehälter.

Seit August 2014 ist die ESFTUG auch Mitglied der noch jungen georgischen Koalition der Global Campaign for Education (GCE), die sich weltweit für die Verwirklichung des Menschrechts auf Bildung einsetzt. Die GEW beteiligt sich aktiv in der deutschen Koalition der Globalen Bildungskampagne. ESFTUG sieht ihre Hauptaufgabe in der Kampagne darin, sich für die Voraussetzungen qualitativ guter Bildung einzusetzen.

Eine Bedrohung für die demokratische Entwicklung im Bildungswesen sehen viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in dem starken, sehr konservativen Einfluss der orthodoxen Kirche in Georgien.

 

Flüchtlinge im eigenen Land

Mit großer Anspannung verfolgen die georgischen Kolleginnen und Kollegen die Entwicklung in der Ukraine. Hier sehen sie Parallelen zu ihrer eigenen jüngsten Geschichte: der Abspaltung Abchasiens und Südossetziens mit militärischer Unterstützung Russlands. Beide Regionen sieht Georgien nach wie vor als Teil seines Staatsgebiets.

Fast eine Million georgisch stämmiger Bürgerinnen und Bürger wurden aus diesen Gebieten vertrieben und leben als IDP (internally displaced persons) in Flüchtlingssiedlungen, meist in ehemaligen Sowjetkasernen oder -wohnungen. Für die ESFTUG sind die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte in den Schulen, die einen hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern aus diesen Siedlungen unterrichten, ein besonderer Verhandlungspunkt mit der Regierung.

Der deutsche Volkshochschulverband dvv International leistet hier eine sehr intensive Arbeit sowohl in der Erwachsenen- wie in der non-formalen Bildung und traumatherapeutischen Betreuung. Die georgische Leiterin der IDP-Projekte war gerade aus Jordanien zurückgekommen, wo der dvv ihre Expertise für die Arbeit in dortigen Flüchtlingscamps nutzen möchte.

Es war sehr spannend eine Gewerkschaft zu erleben, die so viel Hoffnung in ihre demokratische Zukunft setzt und bereit ist, das gerade Erreichte mit allen Mitteln gegen Übergriffe zu verteidigen