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Hochschul-Zeitverträge und Corona

GEW und Opposition treiben Große Koalition vor sich her

Das Ende der Pandemie ist nicht in Sicht, aber die Bundesregierung will die Coronaregelungen zur Verlängerung von Zeitverträgen an Hochschulen am 1.4. auslaufen lassen. Dagegen läuft die GEW Sturm, unterstützt von Grünen, Linken und FDP im Bundestag.

Zum Jubiläum des Templiner Manifests startete die Kampagne „D
Zum Jubiläum des Templiner Manifests startete die Kampagne „Dauerstellen für Daueraufgaben“, mit der die GEW für mehr Dauerstellen an den Hochschulen kämpft (Foto: Kay Herschelmann).

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden auch im kommenden Semester mit Beeinträchtigungen zu kämpfen haben: Archive und Bibliotheken sind geschlossen, Forschungsreisen werden abgesagt, Online-Lehre und Kinderbetreuung im Homeoffice sorgen für zusätzliche Belastungen.

Allerdings läuft die im Mai 2020 von Bundestag und Bundesrat beschlossene erste „Corona-Novelle“ des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) am 31. März 2021 aus. Vertragsverlängerungen über die nach WissZeitVG zulässige Befristungsdauer hinaus sind ab 1. April 2021 nur noch eingeschränkt möglich.

Regierung lehnt zweite Corona-Novelle ab

Gleichwohl sieht die Bundesregierung keinen Anlass zu einer von der GEW geforderten „zweiten Corona-Novelle“ des WissZeitVG. Das erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Michael Meister (CDU), in Antworten auf schriftliche Fragen der Bundestagsabgeordneten Thomas Sattelberger (FDP), Nicole Gohlke (Die Linke) und Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) (Bundestags-Drucksache 19/26997, S. 85-88).

Die „weite und flexible“ Regelung der ersten Corona-Novelle von 2020 sei „unbefristet“ und trage auch „über den März 2021“ hinaus, begründet Meister in seinen Antworten die Absage der Regierung.

Coronaregelung greift für manche Verträge nicht

„Der Parlamentarische Staatssekretär hat zwar recht mit der Aussage, dass die Regelung auch über den März 2021 angewandt werden kann“, kommentierte der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, „allerdings kann sie eben nicht angewandt werden, wenn vor dem 1. April 2021 gar kein Arbeitsverhältnis nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG, also eine Qualifizierungsbefristung bestanden hat.“

Das sei der Fall, wenn jemand ab April neu ins Wissenschaftssystem einsteige oder aber ein Vertrag verlängert werde, der auf einer anderen Rechtsgrundlage befristet worden sei; etwa nach § 2 Absatz 2 WissZeitVG, also bei eine Drittmittelbefristung, oder nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG).

„Das Coronavirus wird sich aber nicht an die im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Fristen halten.“ (Andreas Keller)

„Ein Wechsel von einem Drittmittel- oder TzBfG-Vertrag auf einen Qualifizierungsvertrag ist gar nicht so selten. Diese Verträge werden auf die Höchstbefristungsdauer des WissZeitVG von sechs plus sechs Jahren angerechnet, berechtigen aber nicht zu einer Coronaverlängerung – das ist ungerecht“, urteilte Keller. „Das Coronavirus wird sich aber nicht an die im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Fristen halten. Zeitverträge müssen daher auch nach dem 31. März verlängert werden können, damit Forschungsprojekte und wissenschaftliche Qualifizierungen trotz pandemiebedingter Verzögerungen abgeschlossen werden können. Wir brauchen daher eine zweite Corona-Novelle des WisszeitVG“, forderte der GEW-Hochschulexperte.

Mit dieser Forderung stößt die GEW zwar bei der Großen Koalition auf taube Ohren, eine der Oppositionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen, hat das Anliegen aber nun aufgegriffen und unter der Federführung ihres wissenschaftspolitischen Sprechers Kai Gehring einen Entwurf für ein „Gesetz zur weiteren Unterstützung der Wissenschaft aufgrund anhaltender COVID-19-Pandemie“ ins Parlament eingebracht (Bundestags-Drucksache 19/27188).

GEW begrüßt Grünen-Gesetzentwurf

Die GEW begrüßt die grüne Initiative: „Auch Arbeitsverträge, die nach dem 31. März 2021 abgeschlossen werden, müssen verlängert werden können. Die Verlängerungsoption muss auch bei einem Wechsel von einem Drittmittel- auf einen Qualifizierungsvertrag gelten. In vielen Fällen, etwa wenn Feldforschung oder Archivarbeiten notwendig sind, wird eine Verlängerung um mehr als ein Jahr erforderlich sein. Dafür muss der Weg durch eine Gesetzesänderung frei gemacht werden“, erklärte GEW-Vize Keller.

Alle im Bundestag vertretenen Fraktionen, auch SPD und CDU/CSU, werden also schon in Kürze Farbe bekennen müssen, wie sie es mit der GEW-Forderung nach einer „zweiten Corona-Novelle“ des WissZeitVG halten. Wird die Uhr der Zeitverträge ab 1. April unvermindert weiter ticken oder aber hält sie das Parlament an, um allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über eine Vertragsverlängerung einen Nachteilsausgleich für Verzögerungen und Beeinträchtigungen zumindest zu ermöglichen?

„Die GEW fordert, dass die Option auf eine Vertragsverlängerung endlich zu einem Rechtsanspruch der betroffenen Beschäftigten erweitert wird.“ (Andreas Keller)

In einem Punkt gehe der GEW der Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion allerdings nicht weit genug, kritisierte Keller. „Die GEW fordert, dass die Option auf eine Vertragsverlängerung endlich zu einem Rechtsanspruch der betroffenen Beschäftigten erweitert wird. Viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen machen von der Verlängerungsoption gar nicht oder nur willkürlich Gebrauch. Das bedeutet, dass Forschungsprojekte abgebrochen und Promovierende mit halbfertigen Doktorarbeiten auf die Straße gesetzt werden. Das darf der Bundestag nicht länger zulassen“, mahnte er.

Umfassende Reform des WissZeitVG überfällig

Im Übrigen setzt die GEW darauf, dass das Parlament spätestens nach der Bundestagswahl eine umfassende Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft in Angriff nimmt. „Dauerstellen für Daueraufgaben, konkrete Mindestvertragslaufzeiten, eine verbindliche Ausgestaltung der familien- und behindertenpolitischen Komponenten, die Aufhebung der Tarifsperre und ein Recht auf Tenure Track für Postdocs sollten die Leitplanken für eine solche Reform sein“, führte Keller aus.

GEW und Opposition treiben die Große Koalition regelrecht vor sich her: Zeitverträge und Karrierewege in Hochschule und Forschung werden weiter die Agenda des Parlaments bestimmen – und haben damit auch das Zeug zum Wahlkampfthema. Wenig überraschend, dass es die GEW auch in den Mittelpunkt ihrer Live-Konferenz zur Bundestagswahl „Wissenschaftspolitik auf dem Prüfstand“ am 21. Mai stellen wird.