GEW-Tagung in Schwerin
Mit Bildung die Demokratie verteidigen
Die GEW mahnt, die politische Bildung an Beruflichen Schulen und in der Weiterbildung zu stärken. Gerade die Corona-Krise zeigt, dass Demokratie stets aufs Neue erlernt werden muss.
Auftakt im „Goldenen Saal“ des Justizministeriums. Bettina Martin (SPD), Bildungsministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, kritisierte „zunehmende Angriffe auf die Demokratie“. Sie warnte vor „Hass im Netz“ und dem „gezielten Setzen von Falschmeldungen“. Eine Art, Demokratie zu verteidigen, sei Bildung, „und ich glaube, es ist die Grundlegendste“, betonte Bettina Martin. Applaus im Saal.
„Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr.“ (Ansgar Klinger)
Die erste Tagung des GEW-Hauptvorstandes nach dem Corona-Lockdown beschäftigte sich mit dem Thema: „Wichtiger denn je: Politische Bildung und Professionalisierung“. 50 Kolleginnen und Kollegen diskutierten in Schwerin über neue Herausforderungen in Beruflicher Bildung und Weiterbildung. Gerade in Corona-Zeiten häuften sich Fake News und Verschwörungsphantasien. „Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr“, sagte Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Bildung und Weiterbildung. Und weiter: „Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Teilhabe sowie Mitbestimmung, soziale Gerechtigkeit und Diversität werden zunehmend infrage gestellt. Politische Bildung muss diese Werte – auch bei Erwachsenen - mehr denn je vermitteln.“
Politische Bildung muss „emanzipatorischen Charakter“ haben
Auch Arbeitgeber plädierten neuerdings dafür, politische Bildung in der beruflichen Bildung zu fördern – aufgeschreckt durch „Rassismus“ und „die fürchterlichen Attacken auf Politikerinnen und Politiker“. Darauf verwies Bettina Zurstrassen, Professorin für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Uni Bielefeld. Als Beleg zitierte sie aus dem aktuellen Jahresgutachten des „Aktionsrats Bildung“, der von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) getragen wird. Allerdings verstünden die Arbeitgeber unter „Demokratisierung“ etwa, die Schwarm-Intelligenz der Beschäftigten zu nutzen. „Jeder darf mal Chef sein“. Dies aber sei „ein Instrument der Effizienz-Steigerung“. Demokratie werde „zur betriebswirtschaftlichen Ressource“, kritisierte Zurstrassen. Politische Bildung müsse „emanzipatorischen Charakter“ haben. „Wie lässt sich über kollektives Handeln Solidarität herstellen?“
Kritik an „Classroom Experiment“
Anschließend präsentierte Bettina Zurstrassen ein Lehr-Lern-Spiel für den Wirtschafts- und Politikunterricht, das von Unternehmensverbänden „massiv beworben“ werde. Es behandelt David Ricardos Theorie des „komparativen Kostenvorteils“. Grundaussage des Spiels: Auch wenn die „Südländer“ eine geringere Produktivität haben, lohne sich für sie der Handel mit den „Nordländern“. Zurstrassen bezeichnete dieses „Classroom Experiment“ als „hochproblematisch“: Der Freihandel habe „hohe ökologische Kosten“, es gebe „Verlierer“, die „Machtbilanz“ verschiebe sich zugunsten großer Konzerne. „Das wird den Schülerinnen und Schülern aber nicht mitgeteilt.“
„Prekäre Verhältnisse in der beruflichen Weiterbildung, das geht nicht an.“ (Dieter Nittel)
Tag 2. Schloss Schwerin, im Plenarsaal des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern. Die Teilnehmenden verabschiedeten zunächst die „Schweriner Erklärung: Demokratie stärken – mehr politische Bildung in Berufsbildung und Weiterbildung!“ zur Stärkung der politischen Bildung. Dann referierte Dieter Nittel, Professor für Erziehungswissenschaften an der Uni Frankfurt am Main, zu „Professionalisierung“. Gemeint sei die „machtvolle Durchsetzung von Interessen an strategisch wichtigen Orten“. Es gehe nicht nur um mehr Geld für die Beschäftigten, sondern auch um „Reputation“. Nittel sieht Lehrende an beruflichen Schulen und in der beruflichen Weiterbildung als gleichrangig. „Beide arbeiten mit den gleichen Personen, nur zeitversetzt“. Den jungen Menschen unterrichten sie in der Schule, den Erwachsenen in der Weiterbildung. Daraus entstehe Handlungsbedarf, denn „prekäre Verhältnisse in der beruflichen Weiterbildung, das geht nicht an.“ Nittel warnte zudem: Länderfinanzminister seien nach Corona der Ansicht, es laufe an beruflichen Schulen ja auch mit Online-Lehre: „Macht das öfter, dann sparen wir Räumlichkeiten und anderen Ressourcen.“ Um die Professionen zu stärken, brauche die GEW Bündnispartner, etwa die Berufsverbände. „Es reicht nicht, wenn man sich mit Bundestagsabgeordneten der SPD und der Linken trifft.“
„Wir wollen bei den Studierenden eine forschende, offene Haltung entwickeln.“ (Franz Kaiser)
Franz Kaiser, Professor für Berufspädagogik an der Uni Rostock, erläuterte, was die ideale Berufsschul-Lehrkraft kennzeichne. Fachwissen reiche nicht aus. „Wir wollen bei den Studierenden eine forschende, offene Haltung entwickeln“. Und: „Ich muss Bock haben, mich von den Schülern in Frage stellen zu lassen.“ Auch „biographische Reflexion“ - warum will ich Berufsschullehrer werden? – sei an der Uni Rostock Thema. Franz Kaiser betonte, dass es an Nachwuchs fehle. „Wir brauchen eine Öffentlichkeitskampagne für das Berufsschul-Lehramt.“