GEW-Herbstakademie 2021
„Viele haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren“
„Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) – wie weiter?“: Mit dieser Frage befasste sich die GEW-Herbstakademie 2021 in Kooperation mit der FernUniversität Hagen. Die GEW fordert ein Weiterbildungsgesetz.
Ziel der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ (NWS) ist, die Beschäftigten – einschließlich der Menschen, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können – auf den digitalen Wandel vorzubereiten. Beteiligt sind Bundesministerien, Bundesagentur für Arbeit, Kultusministerkonferenz, Arbeitgeber und Gewerkschaften. Im Juni 2021 wurde der Abschlussbericht präsentiert.
Elke Hannack vom DGB-Bundesvorstand verwies auf gewerkschaftliche Erfolge. „Die Verknüpfung von Kurzarbeitergeld und Weiterbildung ist Realität geworden“, lobte sie. Erreicht habe man zudem „die Ausbildung von Betriebsräten zu Weiterbildungs-Mentorinnen und -Mentoren“. Nicht durchsetzbar war unter anderem „ein generelles Mitbestimmungsrecht der betrieblichen Interessenvertretung bei Weiterbildung“.
„Das Leidenspotential der Beschäftigten hat eine Grenze erreicht.“ (Dieter Nittel)
Dieter Nittel, Gastprofessor an der FernUniversität Hagen, verwies auf unsichere Arbeitsverhältnisse und niedrige Honorare in Teilen der Weiterbildungsbranche. „Das Leidenspotential der Beschäftigten hat eine Grenze erreicht“, sagte der Erziehungswissenschaftler. Problem sei: „Die Betroffenen erheben nicht ihre Stimme.“ Tagungsmoderator Bent Paulsen stimmte zu: „Der Organisationsgrad ist erschreckend niedrig.“ Eine Teilnehmerin, die in Integrationskursen für Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten unterrichtet, bestätigte: „Viele haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren.“ Das gelte vor allem für freiberufliche Dozentinnen und Dozenten mit Migrationshintergrund.
OECD: Weiterbildungsbeteiligung gering
Anja Meierkord, Ökonomin beim Industrieländer-Club OECD, referierte zur aktuellen OECD-Studie „Die deutsche Weiterbildungslandschaft im internationalen Vergleich“. Laut Studie hinkt Deutschland bei der Weiterbildungs-Beteiligung hinterher. „Da ist Luft nach oben“, erklärte Meierkord, die aus Paris zugeschaltet war, und verwies auf Zahlen von 2016.
Hierzulande beteiligten sich lediglich 52 Prozent der Erwachsenen pro Jahr an einer Weiterbildung. In der Schweiz seien es knapp 70 Prozent, in den Niederlanden „mehr als 60 Prozent“. Besonders niedrig sei die Quote in Deutschland bei den gering Qualifizierten: Unter 20 Prozent. Sie bezeichnete die deutsche Weiterbildungs-Landschaft als „sehr fragmentiert“. Rund 18.000 private und öffentliche Träger, viele unterschiedliche Interessen, erfasst von zahlreichen Gesetzen auf Bundes- und Länderebene.
Meierkord plädierte für „Mindeststandards für Weiterbildungsanbieter“ und empfahl „das Schließen von Finanzierungslücken“. Ein bundesweites Weiterbildungsgesetz könne helfen, „die Weiterbildung als vierte Säule des Bildungswesens zu etablieren“.
GEW fordert Weiterbildungsgesetz
Zum Abschluss der Tagung forderte Birke Bull-Bischoff von den Linken: Die Grundbildung zugunsten von Menschen mit geringen Schreib- und Lesekenntnissen müsse „weg vom Katzentisch, ins Zentrum der Aufmerksamkeit.“
Astrid Mannes von der CDU/CSU betonte, dass Grundbildung bislang die Zielgruppe zu wenig erreiche. Sie widersprach der Forderung nach mehr Festanstellung in Integrationskursen: „Eine gewisse Flexibilität brauchen wir.“ Ulrike Bahr, SPD, erklärte: Politische Bildung sei „das A und O für Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe“. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, plädierte für mehr Mitbestimmungsrechte in den Betrieben bei der Weiterbildung. Jens Brandenburg, FDP, sah mit Blick auf die übrigen Parteien „große Schnittmengen, um die Weiterbildungsberatung auszubauen“.
„Es fehlen nach wie vor institutionelle, finanzielle, zeitliche und organisatorische Voraussetzungen für gutes Lehren und Lernen in der Weiterbildung.“ (Ralf Becker)
Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Bildung und Weiterbildung, mahnte ein bundesweites Weiterbildungsgesetz an. Er forderte, die NWS weiterzuentwickeln. „Es fehlen nach wie vor institutionelle, finanzielle, zeitliche und organisatorische Voraussetzungen für gutes Lehren und Lernen in der Weiterbildung.“