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LesePeter Juni 2024

Genderrollen und sexuelle Identitäten

Mit der Graphic Novel „Genderqueer – Eine nichtbinäre Autobiografie“ hat Maia Kobabe eine einfühlsame und gleichzeitig offene Autobiografie geschaffen – über die Suche nach sich selbst. Dafür vergab die AJuM im Juni den LesePeter.

Maia Kobabe erzählt in der Graphic Novel vom Ausprobieren verschiedener Genderrollen und sexueller Identitäten, um dann schließlich nicht-binär und asexuell durchs Leben zu gehen. Bei der Lektüre kann man erfahren, wie herausfordernd und lohnenswert es ist, sich selbst zu finden.

Daher geht der LesePeter des Monats Juni 2024 an „Genderqueer – Eine nichtbinäre Autobiografie“.

 

Die Graphic Novel zeichnet die Adoleszenz Maia Kobabes nach. Maia wächst in einem progressiven Elternhaus auf, hat eine queere große Schwester, verschlingt Bücher und Comics, geht auf eine Schule mit einer queeren AG und studiert später im bunten Kalifornien. Aus diesem Grund hat Maia ganz andere Voraussetzungen, über ihre Identität nachzudenken, als zum Beispiel der Protagonist in „Küsse für Jet“ oder Figuren in anderen literarischen Texten, die stärker Isolation und Mobbing thematisieren. Diese Voraussetzungen ermöglichen eine beeindruckende Reflexionstiefe, die die gesamte Graphic Novel durchzieht. Durch Einblicke in Träume, Gedanken und Wünsche erzählt Maia Kobabe eine krisenhafte und komplexe innere Handlung. Diese Handlung liefert Argumente gegen solche queerfeindlichen Positionen, die meinen, es würde sich bei Nichtbinarität bloß um einen Trend handeln, den man hinter sich lassen könne.

Der Ton ist dabei versöhnlich, zum Beispiel wenn thematisiert wird, wie Maias eigentlich fortschrittliche Mutter mit den neuen Pronomen hadert. Maias Tante ist eine Feministin, die männlichen trans Menschen unterstellt, ihr Gender wäre das Resultat eines internalisierten Frauenhasses. Maia tritt mit solchen Positionen in einen fruchtbaren und faktenbezogenen Dialog. Dadurch lohnt sich die Lektüre nicht nur für queere und mit ihnen sympathisierende Menschen. Die Graphic Novel ist faktenreich, ohne unliterarisch zu sein. Ihr liegt zwar eine klar erkennbare Position zugrunde, diese resultiert aber aus einem unsicheren Ausprobieren und Abwägen, weshalb „Genderqueer“ nicht überdidaktisierend ist.

Durch die Lektüre dieser Graphic Novel kann man also viel über verschiedene Genderausprägungen und sexuelle Orientierungen lernen. In den USA ist das nicht allen recht. Nachdem Kobabe erste Preise gewann, wurde die Graphic Novel in viele Schulbibliotheken aufgenommen. Verschiedene Institutionen bewirkten allerdings, dass die Bände aus Bibliotheken wieder verschwanden. Die „NY Times“ berichtete vom „most banned book in the country”. Als Grund für die Verbannung gaben Kritiker:innen der Graphic Novel anfangs die expliziten Darstellungen sexueller Handlungen an. Nach und nach wurden auch die Züge eines Kulturkampfes deutlich, dessen rechte Vertreter:innen einer angeblichen queeren Indoktrination der Kinder und Jugendlichen entgegentreten wollen. Da abzusehen ist, dass auch dieser Kulturkampf mehr und mehr über den Atlantik schwappt, eignet sich „Genderqueer“, um solche politischen Auseinandersetzungen zu thematisieren, sei es in der Lehrer:innenbildung oder mit älteren Schüler:innen.

Über die Autor*in

Maia Kobabe, geboren 1989 in den USA, studierte Comics am California College of the Arts. Nach dem Studium arbeitete Kobabe zehn Jahre lang in einer Bibliothek und publizierte Kurzcomics in „The Nib“, „The New Yorker“ und der „The Washington Post“, bevor mit der vielfach ausgezeichneten und kontrovers diskutierten Graphic Novel „Gender Queer – A Memoir“ der Durchbruch gelang.

Die AJuM vergibt den LesePeter monatlich abwechselnd in den Sparten Kinderbuch, Jugendbuch, Sachbuch und Bilderbuch.

Maia Kobabe, Genderqueer – Eine nichtbinäre Autobiografie, aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland, Berlin: Reprodukt 2024, 240 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-95640-415-3, ab 16 Jahren