Tarifrunde Bund und Kommunen 2023
Geld und Liebe
Drei Erzieherinnen über ihren Traumberuf und die Chancen, gemeinsam etwas zu verbessern
Daniela Meyer sitzt in einem Café in Hamburg und spricht über die Liebe. Ihre eigene Liebe zur Natur und zu den Kindern, die sie betreut, und die Liebe, die in der Gesellschaft heute so oft fehlt. „Der Stress wird immer größer“, sagt sie. Sie spürt es an den Eltern, die morgens hektisch ihre Kinder in der Kita abgeben, an den Kleinen, die lange brauchen, bis sie sich auf Beziehungen einlassen. Mit Sorge sieht sie die Spaltung in der Gesellschaft, die sich in der Corona-Zeit noch vertieft hat. Auch für sie waren die Jahre der Pandemie „der Horror, weil ich eigentlich alle Menschen umarme, und das durfte ich nicht“, sagt die schlanke Frau mit den halblangen Haaren und braunen Augen, die selbst dann lachen, wenn sie ernste Dinge berichtet.
„Schon in der Schule hat eine Lehrerin gesagt, ich müsse in einen sozialen Beruf.“ (Daniela Meyer)
Für andere etwas zu tun, sich einzusetzen, das sei ihre Natur, erzählt sie: „Schon in der Schule hat eine Lehrerin gesagt, ich müsse in einen sozialen Beruf.“ Ein Lehramtsstudium kam nicht in Frage, auch aus finanziellen Gründen. Meyer zog mit 18 Jahren von zu Hause aus und musste neben der Ausbildung zur Kinderpflegerin jobben, obwohl ihre Mutter und die Großeltern sie unterstützten. Für die weiterführende Ausbildung zur Erzieherin erhielt sie BAföG; das Darlehen zahlt sie, mit jetzt 42 Jahren, immer noch zurück. Geld ist, neben Liebe, das zweite Thema, um das Meyer sich Sorgen macht.
„Mir graut vor der Nebenkostenabrechnung.“
„Mir graut vor der Nebenkostenabrechnung“, sagt die alleinstehende Hamburgerin. Ihr großes Aquarium, ein langjähriges Hobby, wird sie abschaffen, die Fische verschenken: Der Strom für den Betrieb des Warmwasserbeckens wird ihr zu teuer. Bereits jetzt spart sie, wo es geht. „So bin ich erzogen, das macht mir nichts aus“, sagt sie. Dennoch hatte sie gehofft, nicht mehr am Ende jeden Monats „nachdenken zu müssen, ob ich mit Freundinnen ausgehen oder mir das gute Fleisch leisten kann“. Früher arbeitete Meyer bei einem Träger, der untertariflich bezahlte. Nach dem Wechsel in eine andere Kita mit Tariflohn ging es ihr finanziell endlich besser. Dann kam das Jahr 2022 mit Krieg, Inflation und rasant steigenden Energiekosten.
Sorgen wegen hoher Mieten und steigender Nebenkosten
Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Rostock, rund 200 Kilometer entfernt, steigen die Preise. „Es explodiert alles“, sagt Varsenik Vardanyan. „Unglaublich, was man hier inzwischen für eine Zwei-Raum-Wohnung zahlt.“ Dazu kommen die Nebenkosten – die Steigerungen für Strom und Heizung spürt die Erzieherin deutlich im Portemonnaie.
Genau wie bei Meyer war frühkindliche Bildung immer Vardanyans Traumberuf: „Schon als ich als Jugendliche auf meine kleinere Schwester und andere Kinder aufgepasst habe, spürte ich eine besondere Verbindung. Ich bin neugierig auf Kinder – und die mögen mich.“ Als Erstes würden viele Mädchen und Jungen nach ihrem Namen fragen, berichtet die 29-Jährige lächelnd. Ihr Vorname klinge für deutsche Ohren eher männlich, ist aber ein armenischer Frauenname: „Varsenik bedeutet lange Haare“, verrät Vardanyan, die tatsächlich eine dichte, lange Haarmähne hat.
„Ich habe von allen Seiten die Rückmeldung bekommen, dass dieser Beruf meine Berufung ist.“ (Varsenik Vardanyan)
Bereits als Schülerin absolvierte sie Praktika in einem Kinderhort, direkt nach der zehnten Klasse bewarb sie sich für eine Ausbildung zur Sozialassistentin. „Ich habe von allen Seiten die Rückmeldung bekommen, dass dieser Beruf meine Berufung ist.“ Seit 2015 arbeitet sie nun in einer Kindertagesstätte mit über 600 Mädchen und Jungen in Rostock. In der Stadt an der Ostsee lebt Vardanyan inzwischen auch. Aufgewachsen ist sie in einem Dorf in der Nähe, aber die tägliche Anfahrt war der Mutter einer Tochter zu weit.
Nach einem Jahr Elternzeit fing Vardanyan wieder an zu arbeiten. Ihr Kind, das in diesem Jahr den sechsten Geburtstag feiert, erhielt einen Platz in derselben Kita, in der die Mutter arbeitet. Anfangs war das schwierig, weil die Kleine nicht verstanden hat, „dass ich mich auch um alle anderen kümmern muss“, lacht die Erzieherin, die im Krippenbereich für die Kleinsten zuständig ist.
„Ich habe gespürt, dass ich an meine Grenzen kam.“
So viel Spaß die Arbeit auch bringt, der anstrengende Alltag macht ihr zu schaffen. Vor allem der hohe Lärmpegel und die großen Gruppen tragen dazu bei. 2015 lag die Gruppengröße bei ihrem Kita-Träger bei 18 Mädchen und Jungen. „Ich habe gespürt, dass ich an meine Grenzen kam“, sagt Vardanyan.
Damals trat sie in die GEW ein, vor allem dank ihrer Kollegin Claudia Köster. Diese wollte nach dem Abitur eigentlich auf Lehramt studieren, machte aber zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Kita – und blieb dann dabei. Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin fing die heute 33-Jährige 2012 bei demselben großen Träger in Rostock an wie später Vardanyan.
Gewerkschaftliches Engagement ist wichtiger denn je
Nach einiger Zeit fiel Köster, die die Elementarkinder betreut, etwas auf: „Kolleginnen, die bei anderen Trägern arbeiteten, verdienten mehr als ich.“ Fair fand sie das nicht. „Ich habe die GEW angerufen und gefragt: ,Wie schaffen wir es, dass unser Gehalt angeglichen wird?‘ Die Antwort lautete: ,Organisiert euch.‘“ Köster trug die Botschaft weiter, es gab eine wahre Eintrittswelle. „Wir haben 300 von 400 Leute gekriegt“, erinnert sie sich zufrieden. „Dann waren wir stark genug für Verhandlungen.“ Der Träger ließ sich darauf ein, die Gruppen zu verkleinern – das war gut für die Beschäftigten, aber auch ein Vorteil für deren Schützlinge: „Wenn weniger Kinder in der Gruppe sind, spielen sie intensiver, und es ist ruhiger. So können wir uns mehr um die kümmern, die besondere Förderung brauchen“, sagt Vardanyan.
„Niemand setzt sich für uns ein. Das müssen wir schon selbst tun.“ (Claudia Köster)
Köster hat eine Lehre aus den damaligen Erfahrungen gezogen: „Niemand setzt sich für uns ein. Das müssen wir schon selbst tun.“ Die zweifache Mutter – ihr älterer Sohn ist fünf Jahre alt, der jüngere kam 2020 zur Welt, mitten in der Corona-Pandemie – engagiert sich weiterhin in der Bildungsgewerkschaft und gehört heute dem Landesvorstand der GEW Mecklenburg-Vorpommern an.
Ihr Engagement sei wichtiger denn je, schließlich werde die Arbeit, die die Erzieherinnen und Erzieher zu leisten haben, immer anspruchsvoller, sagt Köster: „Wir sollen fördern und bilden, Bindung aufbauen, die Grundlagen für das Lernen in der Schule legen. Die Anforderungen wachsen, gleichzeitig wird die frühkindliche Betreuung immer noch stiefmütterlich behandelt.“
„Ich will ja auch noch etwas von meinem Leben haben.“
In Hamburg rührt Meyer in ihrem Milchkaffee. Draußen rauscht der Straßenverkehr vorbei, der Himmel ist grau. Meyer ist eine Hamburger Deern, das typisch norddeutsche Schmuddelwetter kennt sie von kleinauf, aber in ihrer Freizeit zieht es sie in die Wärme und ans Meer: „Ohne Wasser kann ich gar nicht.“ Vermutlich reicht das Geld im nächsten Urlaub aber wieder nur für die Ostsee. „Ich hatte auf das Weihnachtsgeld gehofft, um etwas zu sparen, aber meine Neffen brauchten Klamotten“, sagt sie, hebt die Achseln und lacht: „Vielleicht dumm, aber ich kann halt nicht aus meiner Haut.“
Für Meyer ist die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Ehrensache. Es sei wichtig, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, sich nicht nur darauf zu verlassen, dass andere etwas tun, sich für Ehrenämter etwa in Personal- oder Betriebsräten aufstellen lassen. Auch wenn sie scharf rechnen muss, die Beiträge für die GEW zahlt sie aus Überzeugung: „Ich find’s gut, dass es sie gibt. Und ich setze mich ein, wo ich kann.“
Mit 42 Jahren merkt Meyer allmählich, dass die Arbeit sie mehr belastet als früher. Sie hat daher ihre volle Stelle reduziert: „Ich will ja auch noch etwas von meinem Leben haben.“ Gerade weil sie ihren Job so liebe, „möchte ich ihn mir nicht versauen lassen“. Ihrer deutlich jüngeren Kollegin Vardanyan geht es ähnlich: „Der Beruf ist immer noch mein Traum, aber oft komme ich nach Hause und bin fix und fertig“, berichtet sie. „Alles, was ich an Geduld habe, bringe ich bei der Arbeit auf, und wenn ich zu Hause bin, ist nichts mehr für den Alltag übrig.“ Dennoch sei klar: „Man versucht, jeden Tag sein Bestes zu geben.“
„Die Bedingungen lassen sich nicht so leicht verbessern, aber ein gutes Gehalt trägt dazu bei, die Arbeit attraktiver zu machen.“
Köster sieht mit Sorge, dass immer mehr Kita-Beschäftigte resignieren, krank werden, den Beruf wechseln. „Die Bedingungen lassen sich nicht so leicht verbessern, aber ein gutes Gehalt trägt dazu bei, die Arbeit attraktiver zu machen“, sagt sie.
Meyer in Hamburg hat einen Plan B: „Ich spiele regelmäßig Lotto“, verrät sie. Sollte eines Tages der große Gewinn dabei sein, weiß sie genau, was sie mit dem Geld anfangen würde. Sie träumt von einem Haus, irgendwo in Schleswig-Holstein und dicht am Meer für sie und ihre Mutter, mit viel Platz für Tiere und für eine kleine Kita, in der sie die Kinder so betreuen kann, wie sie es sich wünscht: mit Zeit, Ruhe – und ganz viel Liebe.