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Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern

„Hoffnungsvolle Zeichen!“

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat Ergebnisse zum geplanten Rechtsanspruch ab 2025 vorgelegt. Ein Interview mit Dieter Eckert, Experte der AWO, über die jüngsten politischen Entwicklungen.

GEW und AWO plädieren für einen verantwortungsvollen Ausbau von Ganztagsangeboten mit guten Lern- und Arbeitsbedingungen. (Foto: GEW)

Ab 2025 soll es für Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung geben. Die Zeit drängt, doch Bund und Länder ringen noch um wichtige Punkte: Wer übernimmt die Investitionskosten von geschätzt 7,5 Milliarden Euro? Wie sind die laufenden Betriebskosten zu schultern? Akteure wie die GEW und die AWO fordern, neben den finanziellen und rechtlichen Fragen die Kriterien für die Qualität eines guten Ganztags im Blick zu behalten. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe mahnte deshalb:

„Das Ziel muss jetzt sein, den Rechtsanspruch auf Betreuung mit hoher Bildungsqualität zu verbinden und so allen Kindern einen bestmöglichen Ganztag zu bieten – unabhängig vom Wohnort!” (Marlis Tepe)

  • Herr Eckert, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat nach wochenlangen Beratungen erste Eckpunkte zum geplanten Gesetzentwurf und zur Vereinbarung der Investitionskosten für die Ganztagsbetreuung vorgelegt. Worauf hat man sich geeinigt?

Dieter Eckert: Die Gruppe ist gut vorangekommen. Sie hat eine Verwaltungsvereinbarung formuliert, nach der die Fördersumme von 750 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket sofort für eine breite Verwendung der Länder zur Verfügung steht.

  • Die Summe stammt aus dem Investitionstopf von 1,5 Mrd. Euro, der für den beschleunigten Ausbau der Ganztagsplätze vorgesehen ist…

Eckert: Sie dient etwa zur Planung und Umsetzung von Baumaßnahmen, für Ausstattung, Spielgeräte und Hygienemaßnahmen. Diese Mittel sind nicht an die Zustimmung der Länder zum Rechtsanspruch gebunden. Sie können direkt verwendet werden, nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages die Mittel freigeben hat.

  • Und wenn zuvor alle Vertragspartner unterzeichnet haben. Baden-Württemberg verweigert das jedoch und blockiert die Auszahlung. Was steckt dahinter?

Eckert: BaWü befürchtet, dass es seine flexiblen Nachmittagsangebote nicht fortführen kann. Ich finde es aber richtig, dass der Bund dagegenhält und sagt: ‚Ein Rechtsanspruch muss mit Qualität verbunden sein, und diese flexiblen Ganztagsangebote liegen in der Zuständigkeit der einzelnen Kommunen.‘

  • Somit entscheidet jede Kommune selbst, was Qualität für sie bedeutet?

Eckert: Ja, der Bund will aber nachvollziehen können, dass vergleichbare Mindeststandards für die Ganztagsangebote für alle Angebotsformen in einem Bundesland gelten. Und dies kann nur das Sozialgesetzbuch (SGB) VIII bzw. die Schulaufsicht gewährleisten. Dieses baden-württembergische Problem wird sich bei der Regelung des Rechtsanspruchs wiederholen.

  • Damit kommen wir zum zweiten Ergebnis der Arbeitsgruppe, den Eckpunkten für Rechtsanspruch und Finanzierung ab 2025. Die Bundesregierung fördert den Ausbau der Ganztagsbetreuung mit insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Reicht das?

Eckert: Wir brauchen bis zu 1,1 Millionen neue Ganztagsplätze ab 2025. Davon müssten über 200.000 im Hort neu eingerichtet werden, in der gebundenen Ganztagsschule knapp 170.000 und in der offenen Ganztagsschule knapp 760.000. Dieser Ausbau verursacht wahnsinnige Investitionskosten – geschätzt 7,5 Milliarden Euro bis 2025. Der Bund ist im Moment bereit, zwei Milliarden aus dem Sondervermögen plus die zweiten 750 Millionen aus den zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro aus dem Corona-Konjunkturpaket beizusteuern. Aber nur, wenn die Länder dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung und –betreuung zustimmen!

  • Diese Investitionssumme darf erst ausgezahlt werden, wenn das Ganztagsförderungsgesetz verabschiedet ist. Warum?

Eckert: Der Bund besteht darauf mit einem sog. Junktim. Wir finden das - genau wie die GEW - gut, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Gelder nur abgerufen werden, ohne dass eine Kontrolle über deren zweckentsprechende Verwendung besteht, insbesondere dass auch Qualität gefördert wird.

  • Wieso ist die Qualität so wichtig?

Eckert: Einheitliche Qualitätskonzepte sind entscheidend, um Chancengleichheit in ganz Deutschland herzustellen und eine gelingende Integration vor allem auch für jene zu ermöglichen, die aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Elternhäuser nicht so gute Startbedingungen haben. Zu oft gibt es in Ganztagsangeboten nur eine unprofessionelle Verwahrung, pädagogische Konzepte sind nicht immer die Regel.

  • AWO und GEW hatten befürchtet, dass es bei dem Treffen primär um die technische Umsetzung und die Kosten gehen würde, jedoch nicht um Qualität.

Eckert: Aus diesem Grund gab es im Juli den gemeinsamen Aufruf für einen qualitätsvollen Ausbau der Ganztagsangebote für Grundschulkinder und die AWO hat die Kampagne GuterGanztag gestartet.

  • Wie bewerten Sie das aktuelle Ergebnis vor diesem Hintergrund?

Eckert: Als hoffnungsvoll! Ich bin sehr erfreut, dass sich der Bund für verpflichtende Qualitätsstandards stark macht. Die drei Punkte: Einlösung von Mindestqualitätsstandards (nach Paragraf 45 SGB VIII bzw. Schulgesetze/Schulaufsicht), Fachkräftegebot und geregelte Zusammenarbeit mit den Eltern gelten als klare Bedingungen für die Umsetzung des Rechtsanspruchs.

  • Die Arbeitsgruppe konnte sich jedoch nicht einigen, wie hoch die Beteiligung des Bundes an den laufenden Betriebskosten ist?

Eckert: Das ist einer der großen Knackpunkte. Die Eckpunkte beinhalten den Passus, „dauerhafte Beteiligung des Bundes an den laufenden Betriebskosten“ – wie Personal-, Fortbildungs- und Ausstattungskosten. Der Bund hatte anfangs zwölf Prozent pro Jahr für die anfallenden Kosten angeboten. Die Länder wollten 50 Prozent. Natürlich sagen Leute: ‚Bei Corona liegt das Geld locker in der Hand.‘ Aber man muss sehen, dass es sich um eine Dauerinvestition handelt. Geschätzt geht es insgesamt um 4,5 Milliarden Euro im Jahr.

  • Wir haben ja schon das Gute-Kita-Gesetz als Vorbild…

Eckert: …im Kita-Bereich werden die laufenden Betriebskosten vom Bund mit knapp einer Milliarde Euro im Jahr gefördert. Und es gibt eine logische fachliche Verbindung: In der Lebensbiografie der jungen Menschen von 0 Jahren bis zum Übergang in den Sek1-Bereich handelt es sich um eine wichtige Entwicklungsphase, um Benachteiligungen abzubauen oder zu verhindern. Da spielt die Ganztagsbetreuung eine enorm wichtige Rolle Aber auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt sie ein Hauptanliegen.

  • Die Länder koppeln ihre politische Zusage an die Bereitschaft des Bundes, mehr Geld sowohl in die Investitionen wie auch in die laufenden Betriebskosten zu packen?

Eckert: Die Länder sagen zum Bund: ‚Wenn Du Qualität vorschreibst, dann musst Du sie auch zahlen.‘ Da wird viel Geld reingesteckt werden müssen – wie im Kita-Bereich auch.

  • Geht es auch um politisches Geschacher?

Eckert: Die Parteien stehen relativ einheitlich hinter dem Rechtsanspruch. Es geht eher um die Frage, was ist der uns wert. Die Haushalte der Kommunen sind schon ausgeblutet – dann kam Corona hinzu. Wenn sie jetzt noch die Ganztagsbetreuung mitfinanzieren sollen, ist das in jedem Bundesland eine Herausforderung.

  • Wird Baden-Württemberg weiter blockieren?

Eckert: Ich denke, hier wird es zu einem Kompromiss kommen. Das ist doch alles ein Geben und Nehmen. Die letztendliche Entscheidung wird dann auf der nächsthöheren Ebene getroffen, wenn die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten voraussichtlich Ende Oktober zusammenkommt.

  • Sie denken, dass dieser Bund-Länder-Gipfel eine finanzielle Regelung findet?

Eckert: Ja, alles andere wäre eine bildungspolitische Katastrophe und eine Blamage für die Bundesregierung. Das kann sich keine der regierenden Parteien leisten. Aber die Länder pokern natürlich bis zum Schluss.

  • Wie geht es nach diesem Gipfel weiter?

Eckert: Dann wird der Referentenentwurf eines Ganztagsförderungsgesetzes vorgelegt. Es soll ein stark verkürztes Beratungs- und Beteiligungsverfahren geben, in dem die zivilgesellschaftlichen Akteursgruppen wie GEW und wir Stellung nehmen können. So wird ein Druck aufgebaut, den wir ablehnen. Hier liegt ein wichtiges bildungspolitisches Versprechen vor, das ein gewissenhaftes Vorbereiten und Beteiligen aller Akteursgruppen bedarf. So was kann man nicht im Hauruck-Verfahren durchsetzen. Wir haben uns aber schon gut vorbereitet. Zwar müssen wir uns mit unseren Gremien abstimmen, aber mit Videokonferenzen heutzutage lässt sich das schnell tun.

  • Danach geht der Gesetzentwurf in die parlamentarische Diskussion….

Eckert: Dann wird die Probe aufs Exempel kommen: Was steht im Gesetz drin, und was kommt im Bundestag und Bundesrat durch. Das kann noch ein beschwerlicher Weg sein.

  • Rechnen Sie damit, Ihre Forderungen durchzusetzen?

Eckert: Wir Verbände verstehen uns als Anwalt der Eltern und Kinder, und die GEW, als Gewerkschaft, ja auch ganz stark als Anwalt der Lehrkräfte. Was wir zusammen fordern, ist die oberste Messlatte. Wir rechnen mit vielen Zwischenschritten und vorläufigen Abstrichen, weil es etwa am Personal im Schul- und Betreuungsbereich fehlt. Aber wir müssen ein Ziel haben und für eine gute Vision kämpfen.

Herr Eckert, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Evelyn Bongiorno.

Dieter Eckert, Referent für Jugendsozialarbeit, Jugendhilfe und Schule im Bundesverband der AWO (Foto: D. Eckert)