Die Bildungsrepublik Deutschland muss sich in Sachen Ganztagsschule langsam mal entscheiden, was sie will, welches Ziel sie damit verfolgt. Geht es um mehr Unterricht und verbesserte Leistungen, also um mehr Schule am Nachmittag? Oder um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Eltern und damit um mehr Betreuung für die Schulkinder? Geht es um eine gezielte Erweiterung des Fachunterrichts durch außerunterrichtliche Angebote, also um zusätzliche Bildungsanreize und die Ausweitung auf multiprofessionelle Teams? Oder verzichtet die Bildungspolitik bei der Frage des Ganztags auf jegliches Ziel?
Offenkundig herrschen völlig unterschiedliche Vorstellungen, warum Ganztagsschulen notwendig sind und was diese zu ebensolchen guten Schulen macht – was wiederum die Unzufriedenheit mit dem Erreichten schürt und Vorbehalte der Skeptikerinnen und Skeptiker gegenüber mehr staatlichem Zugriff auf die Kindheit fördert. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Beginn des flächendeckenden Ausbaus der Ganztagsschule ist die Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll, mit den Händen zu greifen.
Dies mag damit zusammenhängen, dass die Bildungsforschung bis heute wenig überzeugende Erfolgsmeldungen vorgelegt hat. Erhebungen wie die StEG-Studie müssen einräumen, dass sich die bestehende Ganztagsschullandschaft bislang nicht als leistungsfördernde Wundermaschine erwiesen hat. Während es immerhin Anzeichen dafür gibt, dass Ganztagsangebote das Schulklima und das soziale Lernen verbessern, deuten sich bessere schulische Leistungen allenfalls in geringen Dosierungen an. All das sind nur erste, schwache Befunde in einer ansonsten wenig systematisch beforschten Schulform.
Zudem fällt auf, dass die Vorstellungen der Betroffenen selbst, also der Kinder und – vor allem – der Jugendlichen in konzeptionelle Überlegungen überhaupt nicht einbezogen werden. Dabei wäre das von grundlegender Bedeutung: Ein ganz überwiegend freiwilliges Ganztagsangebot ist eben etwas anderes als obligatorischer Unterricht. Es darf nicht unterschätzt werden, dass Schulkinder zu Hause ein gehöriges Wort bei der Entscheidung für oder gegen Ganztagsschule mitreden – und so auch mit den Füßen abstimmen.
„Politisch gehaltvolle und nachhaltige Entscheidungen stehen an – kein schlichtes Weiter-So.“
Was aber bietet die Ganztagsschule den Kindern und Jugendlichen? Nur eine zeitliche Ausdehnung des herkömmlichen Schulsystems? Nur eine kleine Spielwiese am Nachmittag, die von befristeten und schlecht bezahlten Helferinnen und Helfern notdürftig organisiert wird? Oder doch ein für Schülerinnen und Schüler attraktives pädagogisches Ziel jenseits von leistungssteigernden Hoffnungen, zusätzlichen Kinderbetreuungsstunden oder beschäftigungsfördernden Arbeitsmarkteffekten? Diese Fragen harren einer Antwort.
Unbestritten ist, dass die Eltern ein Bedürfnis nach mehr Ganztag haben, das wir inzwischen gut abschätzen können: Befragungen zeigen einen elterlichen Gesamtbedarf von 60 bis 70 Prozent an, wobei etwa 40 Prozent der Grundschulkinder – je nach Bundesland – bereits eine Ganztagsschule, einen Hort oder die Betreuung über Mittag besuchen. Im Umkehrschluss heißt das: Immerhin 30 bis 40 Prozent der Eltern von Grundschülerinnen und -schülern haben keinen Bedarf, für mindestens 20 Prozent fehlt ein entsprechendes Angebot.
Daher wäre ein Rechtsanspruch, wie ihn die Politik derzeit diskutiert, in dieser diffusen Gemengelage ein hilfreicher Zwischenschritt, nach dem Motto: Niemand muss, jeder und jede kann. Aber schon dessen Umsetzung wäre ein ambitioniertes, kostenträchtiges Projekt, das Geld, Personal und – endlich – auch Qualitätsstandards benötigt. Das aber heißt einmal mehr: Politisch gehaltvolle und nachhaltige Entscheidungen stehen an – kein schlichtes Weiter-So. Das alles vielleicht auch verbunden mit einer Zieldebatte, wo es am Ende hingehen soll.