Rechtsanspruch auf Ganztag
Ganztag ist nicht gleich Ganztag
Bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule ab Mitte 2026 sind die Hürden nicht nur fehlende Angebote und Fachkräftemangel. Auch die Vielfalt der Systeme und Organisationsmodelle macht es kompliziert.
Geht es um das deutsche Bildungssystem, ist es schwierig, den Begriff Flickenteppich mal nicht zu nutzen – so auch beim Thema Ganztag. Allerdings variiert die Ganztagsförderung für Grundschulkinder nicht nur von Bundesland zu Bundesland. Unterschiede gibt es schon von Kommune zu Kommune, was an diversen Trägerformen liegt: Es gibt Angebote in Verantwortung der Schulen sowie der Kinder- und Jugendhilfe, außerdem Mischformen.
Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztag und dem notwendigen Ausbau rücken die unterschiedlichen Organisationsmodelle in den Fokus der Forschung. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen untersucht aktuell nicht nur, welche Modelle es gibt, sondern auch, was diese für Arbeitsalltag und Beschäftigungsbedingungen bedeuten. In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, Anforderungen und Optionen für eine Weiterentwicklung zu identifizieren.
Unterschiedliche Systeme und Organisationsmodelle
Für das von der Max-Traeger-Stiftung finanzierte und in Kooperation mit der GEW und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) durchgeführte Projekt wurden GEW-Mitglieder und Beschäftigte in vier Bundesländern befragt: Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen (NRW) und Sachsen. Außerdem gab es Interviews mit Mitarbeitenden in zwei Kommunen in NRW. Mitte November wurden bei einer Onlineveranstaltung erste Auswertungen vorgestellt.
Die Ausgangslage ist komplex: Zu unterscheiden sind laut IAQ zunächst Kita-Angebote für Schulkinder auf Grundlage des Sozialgesetzbuchs (SGB) VIII sowie schulische Ganztagsangebote in der schulrechtlichen Zuständigkeit der Länder. Dann gibt es unterschiedliche Systeme in den Ländern: Fokus Kita, Fokus Schule und Mischsysteme. Dabei werden aber auch diverse Organisationsmodelle kombiniert: Im Kita-Modell gibt es Horte nur für Schulkinder, aber auch altersgemischte Gruppen in Kitas. Im Schul-Modell ergänzen oft Kooperationen mit Jugendhilfeträgern die Offene oder (teil)gebundene Ganztagsschule.
Prekäre Beschäftigungsmodelle sind weit verbreitet
Nur auf den ersten Blick unkompliziert wirkt das außerschulische Träger-Modell. In diesem werde im Bundesdurchschnitt der höchste Anteil an Kindern betreut, sagte Prof. Sybille Stöbe-Blossey, Leiterin des Projektes „Ganztagsförderung für Grundschulkinder: Organisationsmodelle und Beschäftigungsbedingungen“. Das Modell weise jedoch sehr heterogene und wenig geregelte Strukturen auf und sei statistisch kaum erfasst.
Mit dem breiten Spektrum einher gehen einige Potenziale, insbesondere aber viele Herausforderungen. So gebe es im Kita-Modell durch das SGB VIII zwar klare Standards etwa zum Personalschlüssel, erklärte die Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAQ, Iris Nieding. Dieser sei aber nicht immer günstiger als bei Schul-/Träger-Modellen Zudem sei in altersgemischten Gruppen in Kitas eine altersgerechte Förderung und Bildung schwierig zu realisieren.
Im Schul-Modell werde sozialpädagogisches Personal oft nur als Ergänzung zu Lehrkräftestunden eingesetzt, stundenweise und/oder auf Honorarbasis, sagte Nieding weiter. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse durch Befristungen und unfreiwillige Teilzeitarbeit seien auch beim Träger-Modell verbreitet.
Schule und Jugendhilfe müssen kooperieren
Die Interviews mit Mitarbeitenden von Trägern und Offenen Ganztagsschulen (OGS) in den beiden Kommunen ergaben zudem: Beide Trägermodelle leiden unter Personal- und Fachkräftemangel (freie Jugendhilfe als Kooperationspartner und Städtische Tochtergesellschaft als Träger aller OGS); ebenso beklagen alle Befragten Überforderung, Zeitmangel, fehlende Räume und zu wenig Wertschätzung.
Ziel des bis Juni 2025 laufenden Projekts ist es, praxisrelevantes Wissen zu erhalten, um einen guten Ganztag für Kinder und Beschäftigte zu gestalten. Einig waren sich die Teilnehmenden nach der Präsentation der ersten Ergebnisse: Unabhängig von den diversen Strukturen in den Ländern ist eine Kooperation der Systeme Jugendhilfe und Schule dringend erforderlich. Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit, betonte zudem: Zwar seien die jüngsten Analysen nicht ganz neu, aber: „Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesen Ergebnissen am Ende die Politik gut treiben werden.“