Gleichstellung in der Bildung
Frauen haben schlechtere Karten
Werden Lehrerinnen aufgrund von Behinderung oder Krankheit aus der Bahn geworfen, droht oft Geldnot. Nur wer lange in Vollzeit gearbeitet hat, kann es sich leisten, kürzerzutreten.
Was eine Behinderung im Schulalltag bedeutet, weiß Andrea Wagner aus eigener Erfahrung. Die Lehrerin aus Freiburg im Breisgau ist vor einigen Jahren an Multipler Sklerose erkrankt; die Autoimmunerkrankung verursachte eine halbseitige Lähmung. „Weil ich kein Auto mehr fahren konnte, ließ ich mich an eine Hauptschule in der Nähe meines Wohnortes versetzen“, berichtet Wagner, „und fahre jetzt mit dem Fahrrad zur Arbeit.“ Jeden Mittag muss sich die Lehrerin eine halbe Stunde lang hinlegen. Sonst wäre sie nicht nur fix und fertig, sondern die Gefahr groß, dass sich die Krankheit verschlechtert. „Leider fehlen in den allermeisten Schulen dafür Räume.“
In Absprache mit der Schulleitung hat sie daher kurzerhand ihre eigene Klappmatratze mitgebracht und ruht sich in der Pause im Klassenzimmer aus. „Oft sind es Kleinigkeiten, die Menschen mit Behinderung oder Erkrankung im Alltag helfen.“ Aber immer geht es auch um finanzielle Fragen. Und da haben Frauen deutlich schlechtere Karten als Männer.
„Nach einer schweren Diagnose sind die Leute meist total verzweifelt, weil es um ganz existenzielle Fragen geht.“ (Andrea Wagner)
Als Bezirksvertrauensperson beim Regierungspräsidium Freiburg für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Lehrkräfte unterstützt Wagner ihre Kolleginnen und Kollegen dabei, schwierige Lebenssituationen bestmöglich zu meistern. Sie klärt über Rechte auf, gibt Tipps und hilft bei Anträgen. Außerdem hat sie bei allen Einstellungen, Versetzungen und Beförderungen der betroffenen Lehrkräfte ein Mitspracherecht. „Nach einer schweren Diagnose sind die Leute meist total verzweifelt“, berichtet die Gewerkschafterin, die bei der GEW aktiv ist, „weil es um ganz existenzielle Fragen geht.“
Doch ziemlich schnell müssen auch die finanziellen Angelegenheiten geregelt werden. Dabei erlebt Wagner immer wieder, dass Männer selbst bei schlechten Diagnosen zumindest mit Blick auf ihre Finanzen relativ entspannt bleiben, weil ihnen in der Regel Geldsorgen erspart bleiben. „Im Gegensatz zu Frauen.“
Risiko steigt mit dem Alter
Der Grund: Viele Lehrerinnen arbeiten jahrelang in Teilzeit, kümmern sich in erster Linie um die Kinder und pflegen Angehörige. Die Gefahr sei groß, dass Frauen durch eine Erkrankung oder Behinderung in eine sehr prekäre Situation rutschten, warnt Wagner. Viele müssten im Ruhestand mit Minijobs etwas dazuverdienen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Ob Lehrkräfte aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig aus dem Beruf ausscheiden oder in Altersteilzeit etwas kürzertreten, stets gilt: „Das lohnt sich nur, wenn sie vorher wenigstens ein paar Jahre in Vollzeit gearbeitet haben“, so die Gewerkschafterin.
Laut Statistischem Bundesamt arbeitete im Schuljahr 2020/21 fast jede zweite Lehrerin (47 Prozent) in Teilzeit, bei Männern waren es lediglich 19 Prozent. Wagner betont, dass eine Behinderung jeden treffen könne. Im Schnitt gelten 9,5 Prozent der Bevölkerung als behindert. „Also auch jede zehnte Lehrkraft“, sagt sie. Nur ein kleiner Teil der Behinderungen ist angeboren, fast 90 Prozent gehen auf eine Erkrankung zurück. Das Risiko steigt mit dem Alter. Häufige Ursachen sind Krebs, Schlaganfall, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Rheuma, Depressionen oder Tinnitus.
„Leider gelten die Regelungen nicht automatisch für alle.“
Im Grundgesetz ist verankert, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Deshalb stehen Menschen mit Behinderungen sogenannte Nachteilsausgleiche zu. Ab einem Grad der Behinderung von 50 Prozent gilt jemand offiziell als schwerbehindert. Das Beamtengesetz schreibt einen Anspruch auf besonderen Kündigungsschutz, Sonderurlaub und Ermäßigungsstunden fest. Außerdem können die betroffenen Lehrkräfte früher in Altersteilzeit gehen. „Leider gelten die Regelungen nicht automatisch für alle“, kritisiert die Gewerkschafterin. An Privatschulen müssten sie immer wieder über Sonderurlaub und Ermäßigungsstunden verhandeln. „Da geht es richtig um Geld.“
Leider müssten auch an staatlichen Schulen viele Lehrkräfte nach schwerer Krankheit schneller wieder arbeiten, als ihnen guttut. Während Beamtinnen und Beamte weiterhin die vollen Bezüge erhalten, gibt es für Angestellte nach sechs Wochen nur noch ein Krankengeld in Höhe von 70 Prozent ihres Einkommens. Und auch nur für maximal anderthalb Jahre. „Das ist ungerecht“, sagt Wagner. Sie selbst will in ein paar Jahren in Altersteilzeit gehen. „So habe ich eine echte Entlastung.“