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Frauen dominieren – Männer führen

Schule und Kita sind zwar Frauendomänen, doch in den Führungspositionen sind Frauen dort unterrepräsentiert. Die thüringische GEW-Vorsitzende Kathrin Vitzthum plädiert für mehr Teilzeit-Leitungsstellen.

13 Jahre lang war Sabine Henze so etwas wie die Geschäftsführerin eines mittelständischen Dienstleistungsunternehmens mit 33 Mitarbeiterinnen und täglich Hunderten „Kunden“. Sie leitete Auszubildende an, arbeitete neue Kolleginnen ein, erstellte Wirtschaftspläne. Die jüngsten ihrer „Kunden“ waren gerade einmal ein Jahr alt. Henze ist Erzieherin und führte von 2000 bis 2013 eine Kindertagesstätte mit 340 Kindern im brandenburgischen Teltow. Heute arbeitet sie als freigestellte Personalrätin in der Verwaltung der Stadt und setzt sich als stellvertretende Vorsitzende des GEW-Landesverbandes Brandenburg für die Belange der Erzieherinnen und Erzieher ein. Wenn die 55-Jährige auf ihre Tätigkeit als Kita-Leiterin zurückblickt, betont sie vor allem die schlechten Rahmenbedingungen im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern. „Zwischen mir und meiner Lieblingskollegin aus Baden-Württemberg lagen Welten“, erzählt Henze. „Diese hatte eine Stellvertreterin oder eine Wirtschaftsleitung, ich hatte keine Stellvertretung, und freigestellt war ich für die Leitungstätigkeit nur halbtags.“ Von einem Gehalt nur annähernd so hoch wie das einer Geschäftsführerin in der Privatwirtschaft konnte sie höchstens träumen.

Es sind vor allem Frauen, die von diesen Bedingungen betroffen sind. Nach einer 2015 von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin im Auftrag des Bundesfamilienministeriums erstellten Studie sind 97 Prozent der Leitungsfunktionen an Kitas von Frauen besetzt. Damit entspricht der Frauenanteil in Führungspositionen in etwa dem des pädagogischen Personals. Die Statistik zeigt aber, dass Frauen in Leitungstätigkeit im Kita-Bereich seltener als Männer Vollzeit arbeiten. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung sind knapp zwei Drittel der zu 100 Prozent für Leitungstätigkeiten freigestellten männlichen Erzieher vollzeitbeschäftigt. Bei ihren Kolleginnen trifft das nur auf 58,5 Prozent zu. „Häufig bedeutet dies: weniger Arbeitszeit bei vollem Programm“, schildert Henze die Lage. Viele Kolleginnen würden sich bis zur Selbstaufgabe ausbeuten.

Für Birte Radmacher, Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit beim GEW-Hauptvorstand, offenbart sich hier auch ein strukturelles Problem. „Es gibt immer noch Fachkräfte, die für ihre Leitungstätigkeit keine Freistellung haben, sprich sie erledigen diese Aufgabe neben dem regulären Gruppendienst. Andere wiederum sind mit vollem Stundenumfang freigestellt, wobei ihnen neben der Verwaltung zusätzlich die pädagogische Leitung, Teamleitung etc. zukommt.“ Kita-Leitungen bräuchten ein eigenständiges Tätigkeitsprofil. Zudem müssten sie besser bezahlt werden. Im Vergleich zu Unternehmen der Privatwirtschaft sei im Kita-Bereich beim Verdienst der Abstand zwischen einfachen Angestellten und Leitungskräften zu gering.

Je höher die Schulform und die Besoldung, desto geringer der Frauenanteil in den Leitungsstellen.

An den Schulen zeigt sich ein differenziertes Bild. Grundsätzlich gilt jedoch: Je höher die Schulform und die Besoldung, desto geringer der Frauenanteil in den Leitungsstellen. Selbst dort, wo deutlich mehr Frauen arbeiten als Männer, sind sie in den Leitungspositionen unterrepräsentiert. Beispiel Niedersachsen: Hier beträgt nach Angaben der Landes-GEW der Anteil der weiblichen Lehrkräfte an Gymnasien mittlerweile mehr als 50 Prozent, aber kaum ein Drittel der Leitungsstellen ist von Frauen besetzt. Ein ähnliches Bild zeigt sich an den Grundschulen: Hier arbeiteten Stand 2016 rund 89 Prozent Frauen, die Schulleitungen waren aber nur zu 78 Prozent weiblich besetzt. Und an den Förderschulen: 75 Prozent Frauen, aber lediglich 50 Prozent Leitungsanteil. Auch in Berlin zeigt sich dieses Missverhältnis. Hier sind in allen Schulformen zusammengerechnet 73 Prozent der Lehrkräfte weiblich, aber nur 57 Prozent der Führungskräfte; die Grundschulen werden zu 75 Prozent von Frauen geführt, die Gymnasien gerade mal zu 36 Prozent. Leitungsstellen seien für männliche Kollegen sehr interessant, sagt die Vorsitzende der Berliner GEW, Doreen Siebernik. Diese Stellen würden besser bezahlt, „und Männer übernehmen schneller und zielsicherer Leitungsverantwortung“.

Wencke Hlynsdóttir vom Referat Frauen- und Gleichstellungspolitik der niedersächsischen GEW weist auf eine systemische Ursache des Ungleichgewichts bei der Geschlechterverteilung hin. Grundschulleiterinnen und -leiter sind in Niedersachsen in der Gehaltsstufe A13 eingruppiert. „Das entspricht dem Einstiegsgehalt einer Gymnasiallehrkraft“, erläutert Hlynsdóttir. „Männer, die in der Schule Karriere machen wollen, werden entweder keine Grundschullehrer oder sie bewerben sich dort schnell auf Leitungspositionen.“ Hlynsdóttir benennt aber auch gesellschaftliche Gründe, die den Aufstieg von Frauen in schulische Leitungspositionen erschwerten. Immer noch trügen Frauen bei der Kindererziehung und im Haushalt die Hauptlast der Arbeit und der Verantwortung. „Die Tätigkeitsprofile in den Leitungsstellen nehmen darauf keine Rücksicht. Das schreckt viele Lehrerinnen ab, sich überhaupt auf Schulleitungsstellen zu bewerben.“

Eine Lösung könnte darin bestehen, mehr Teilzeit-Leitungsstellen zu schaffen. Dafür plädiert die thüringische GEW-Vorsitzende Kathrin Vitzthum. In ihrem Bundesland würden entsprechende Anträge derzeit aber aufgrund des Lehrermangels nur in Ausnahmefällen genehmigt. „Solange sich die traditionellen Geschlechterbilder nicht auflösen, wird eine Leitungstätigkeit für Frauen in der Schule eine Doppelbelastung bleiben. Und solange werden es Frauen schwerer als Männer haben, in Führungspositionen zu kommen.“