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Gastkommentar

Fortschritt ist möglich

Es gibt keine bessere Revolution in der Schule als Unterricht, der wirklich die individuelle Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt. Echte Revolutionen kommen von unten, nicht von oben.

Tobias Peter (Foto: privat)

Ein Blick in deutsche Klassenzimmer konnte einem schon lange so vorkommen, als hätte man mit einer Zeitmaschine eine Reise in die Vergangenheit unternommen. Da befindet sich die Uralt-Tafel wie ein Altar am Kopf des Raumes – und gelegentlich riecht auch das Wasser im Tafeleimer, als stammte es aus der 1960ern. Es fehlt an stabilem Internet und digitalen Lernmitteln. Der Unterricht findet im wahrsten Sinn des Wortes hinter verschlossenen Türen statt: ohne dass Lehrerinnen und Lehrer sich gegenseitig besuchen und hinterher Tipps geben und kritisieren. Und noch etwas hat sich nie ausreichend geändert: Diejenigen, die aus bildungsfernen Familien kommen, erhalten unterm Strich die schlechteren Noten und Bildungschancen.

Die Corona-Krise hat die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Probleme, die allen Verantwortlichen seit Ewigkeiten bekannt sind, erhöht. Besteht nun die Chance, dass von der Krise mehr bleibt als die Erinnerung an mäßig geglücktes Homeschooling? Verändert sich dauerhaft etwas zum Besseren?

Wer auf die unmittelbare Krisenbewältigung blickt, findet beides: Anlass zu Hoffnung, aber auch Hinweise darauf, dass die Politik und das gesamte Bildungssystem den Wandel nur viel zu langsam gestemmt bekommen. Da wurden zwar, für die Verhältnisse im deutschen Bildungsföderalismus vergleichsweise schnell, Sonderprogramme für Leihlaptops für Schülerinnen und Schüler aus armen Familien geschnürt. Gleichzeitig ist es bislang nicht gelungen, die Milliarden aus dem Digitalpakt zügiger als geplant an die Schulen zu bringen. Das Geld ist da, aber es fließt zu langsam.

Im deutschen Bildungsföderalismus funktioniert Kooperation nur schwerfällig oder gar nicht.

Einmal mehr zeigt sich auch: Im deutschen Bildungsföderalismus funktioniert Kooperation nur schwerfällig oder gar nicht. Einen gemeinsamen Stufenplan mit klaren Regeln, bei welchem Inzidenzwert die Schulen in den Wechsel- und Distanzunterricht gehen sollen, gibt es auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie nicht. Jedes Land macht, was es will. Das erinnert an Schülerinnen und Schüler, die ein Gruppenreferat erstellen sollten und die am Ende jeweils einen Einzelvortrag vor der Klasse halten.

Das alles frustriert. Dennoch bleibt die Hoffnung, dass sich durch die – wenn auch langsam erfolgenden – Milliardeninvestitionen und die neue Aufmerksamkeit für das Thema Schule auch grundsätzlich etwas wandeln kann. Das Ziel muss eine bessere individuelle Förderung jeder Schülerin und jedes Schülers sein: mit den Mitteln eines modernen Unterrichts in vielfältigen Formaten, in dem die Lehrkräfte mehr Coach als Vorturner sind. Solcher Fortschritt ist möglich, aber auch nicht leicht in Zeiten, in denen der Lehrkräftemangel nicht von heute auf morgen verschwinden wird. Und in denen Schulen sicher noch eine Weile Gebäude mit vielen ähnlich großen Räumen sein werden – und nicht moderne Lernlandschaften mit einer Vielzahl von Gemeinschafts- und Rückzugsorten.

Meine Bitte an alle Lehrkräfte: Warten Sie nicht auf die Politik, sondern fangen Sie, wo immer es machbar ist, an!

Meine Bitte an Lehrergewerkschaften und -verbände ist: Seien Sie das Sprachrohr für die Lehrerinnen und Lehrer, die Schule neu gestalten wollen! Stemmen Sie sich nicht gegen Ideen wie verpflichtende Fortbildungen im digitalen Unterrichten in den Ferien, sondern pochen sie darauf, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer eine solche Fortbildung bekommt. Das brächte die Kultusministerinnen und -minister unter Zugzwang.

Meine Bitte an alle Lehrkräfte: Warten Sie nicht auf die Politik, sondern fangen Sie, wo immer es machbar ist, an! Es gibt keine bessere Revolution in der Schule als Unterricht, der wirklich die individuelle Entwicklung der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stellt. Echte Revolutionen kommen von unten, nicht von oben.