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Kurdischunterricht

Förderung der Mehrsprachigkeit

Mit dem Zuzug kurdischer Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien ist das Interesse an Kurdisch-Unterricht weiter gestiegen. In Bremen wird er seit 30 Jahren erfolgreich angeboten, andere Bundesländer folgen zögerlich.

Die von Janosch illustrierte Ausgabe der „Bremer Stadtmusikanten“ gibt es auch auf Kurdisch, übersetzt durch den Kurdisch-Lehrer Ronî Stêrk. (Foto: Ronî Stêrk)

Feuer, Erde, Kürbis und Ziege: Auf den Anlautkarten von Ronî Stêrk ist das Alphabet anhand vieler für den kurdischen Kulturkreis zentraler Begriffe dargestellt. „Die Kurden haben bis vor 100 Jahren in Dörfern gelebt, das spiegelt sich auch im Basiswortschatz wider“, erläutert der Kurdisch-Fachlehrer, der Bremer Grundschülerinnen und -schüler in Kurmancî unterrichtet, dem Hauptdialekt ihrer Herkunftssprache. „In der Sprache werden auch Tradition und Kultur transportiert“, so Stêrk. „Das ist, neben der Förderung der Mehrsprachigkeit, für viele Eltern die Hauptmotivation, ihre Kinder für den Unterricht anzumelden.“

„Aufgrund der Fluchtbewegungen in den vergangenen Jahren wächst der Bedarf.“ (Scharajeg Veliu)

Vor knapp 30 Jahren hat Bremen als erstes Bundesland Kurdisch im Rahmen des Herkunftssprachlichen Unterrichts (HSU) zugelassen. Heute unterrichten zwei angestellte Lehrkräfte 238 Schülerinnen und Schüler an acht Bremer Schulen. „Aufgrund der Fluchtbewegungen in den vergangenen Jahren wächst der Bedarf“, bestätigt Scharajeg Veliu, Referentin für interkulturelle Angelegenheiten und Migration in der Bildungsbehörde. Die Familien sind aus der Türkei und dem Iran, in den vergangenen Jahren vermehrt aus Syrien, dem Irak und einigen ehemaligen Sowjetrepubliken eingewandert.

Politischer Wille fehlt

Doch nur wenige Bundesländer sind dem Bremer Vorbild bis heute gefolgt: Nach Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen startete 2018 Rheinland-Pfalz, ein Jahr später folgten Berlin und Brandenburg. In Bayern und Baden-Württemberg, wo bislang ausschließlich auf Konsulatsunterricht gesetzt wurde, verhandelt die Kurdische Gemeinde Deutschland laut ihres Vize-Bundesvorsitzenden Mehmet Tanriverdi derzeit mit den Kultusministerien. Er hoffe, „in absehbarer Zeit für unsere Kinder eine Möglichkeit zu schaffen“.

In den anderen Bundesländern fehle der politische Wille, kritisiert der Linguist Zaradachet Hajo, der das Bremer Projekt seit dessen Anfängen begleitet. Immerhin stellen die Kurden eine der größten Einwanderergruppen in Deutschland. Doch anders als Türken oder Polen haben die Kurden keinen eigenen Staat, keine eigene Auslandsvertretung, die mit den Kulturministerien kooperieren und aus eigenen Mitteln Unterricht anbieten könnte.

Lehrstuhl Kurdologie gefordert

Entscheidend für die Zulassung des HSU ist das Engagement der Eltern, die über den Elternverein Yekmal in den Bundesländern organisiert sind. „Wir haben drei Anläufe gebraucht, bis der  Kurdisch-Unterricht über das Bildungsministerium starten konnte“, berichtet Nihal Bayram aus dem Mainzer Yekmal-Büro. „Zunächst mussten wir interessierte Eltern finden und dann eine geeignete Lehrkraft.“ Das ist nahezu unmöglich, da kaum ausgebildete Kurdisch-Lehrkräfte wie der Quereinsteiger Stêrk in Deutschland leben.

Auch im Ausland sieht es mau aus. „Außer in der föderalen Region Kurdistan im Irak gibt es keinen kurdischen Schulunterricht in den Herkunftsregionen“, bestätigt Hajo. Deshalb fordert er, einen Lehrstuhl für Kurdologie einzurichten. „Das würde die Anerkennung des Kurdischen als eine der am meisten gesprochenen Herkunftssprachen hierzulande untermauern und auch unter Berücksichtigung soziologischer Aspekte die Integration der kurdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger fördern.“ 

Im tîr-verlag ist kürzlich das erste Kurdisch-Wörterbuch für die Grundschule erschienen. Das dreisprachige Wörterbuch (Kurmancî-Deutsch-Englisch) mit kurdischer Verbliste enthält 750 Begriffe und ist an den Rahmenlehrplan für den Englisch-Unterricht angelehnt. Bisher mussten viele Kurdisch-Lehrkräfte, die in der Regel über den Verein kurdischer LehrerInnen in Europa vernetzt sind, auf ein in Schweden produziertes Bildwörterbuch zurückgreifen.

Der weltanschaulich und politisch unabhängige tîr-verlag aus Berlin realisiert Buchprojekte, die sich mit Kurdistan, seinen Menschen oder der kurdischen Kultur und Sprache auseinandersetzen.