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Grundgesetzänderung

Föderaler Starrsinn

Beim Streit um die Lockerung des Kooperationsverbots pochen die Länder ungeachtet ihrer jahrelangen Versäumnisse in der Bildungspolitik auf „ihre“ föderalen Rechte: Für mehr und bessere Bildung soll der Bund zwar zahlen, aber nicht mitwirken.

Foto: Pixabay / CC0

Geschlossen haben die 16 Bundesländer Mitte Dezember im Bundesrat ihre Zustimmung zu der zuvor von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken im Bundestag gemeinsam verabschiedeten Verfassungsänderung verweigert. Damit sollte das 2006 zusammen mit der Föderalismusreform ins Grundgesetz gegossene Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik auch für die Schulen weiter gelockert werden. Nach dem Willen der Länder soll die Verfassungsänderung jetzt im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat „grundlegend überarbeitet“ werden.

Die Fraktionen von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken im Bundestag hatten Ende November mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung votiert: Der Bund sollte laut dem neu formulierten Artikel 104c „den Ländern zur Sicherstellung der Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen (…) gewähren“ können. Dies war mit dem Kooperationsverbot und der Föderalismusreform von 2006 unterbunden worden. Auslöser war damals das von den Unionsländern ungeliebte Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Regierungskoalition unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD). So populär das Programm bei Eltern war – einem Großteil der Unionspolitiker passte die Ganztagsschule nicht in ihr familienpolitisches Weltbild.

Bei den aktuellen Gesetzesberatungen im Bundestag wurde auf Druck der Finanzpolitiker Eckardt Rehberg (CDU) und Johannes Kahrs (SPD) nachträglich eine Ergänzung in Artikel 104b eingefügt, die sich als problematisch erwies: „Die Mittel des Bundes sind in jeweils mindestens gleicher Höhe durch Landesmittel für den entsprechenden Investitionsbereich zu ergänzen; sie sind befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.“ Rehberg wie Kahrs beriefen sich auf äußerst schlechte Erfahrungen und Haushaltstricksereien einiger Länder, die in den vergangenen Jahren Investitionen des Bundes etwa für Bildung und sozialen Wohnungsbau zweckentfremdet und vornehmlich zur Etatsanierung genutzt hätten.

 

Nach dem Veto

Die Länder haben völlig unterschiedliche Vorstellungen, wie es nach ihrem geschlossenen Veto im Bundesrat nun weitergehen soll. Das dürfte die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss erheblich erschweren und vermutlich über Monate hinziehen. Einig sind sich die Länder letztlich nur in einem Punkt: Sie wollen für die Bildung dauerhaft deutlich mehr Geld vom Bund. Allen voran Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der in dem Mitwirkungsansinnen des Bundes einen „Anschlag“ auf die föderalen Rechte der Länder sieht. Die Sonderprogramme des Bundes zur Verbesserung der Bildung sind für ihn „süßes Gift“, um auch inhaltlich Einfluss zu nehmen.

Kretschmann will stattdessen etwa die Mehrwertsteuereinnahmen zwischen Bund und Ländern zugunsten der Länder neu aufteilen – eine Forderung, die seit Jahrzehnten immer wieder von verschiedenen Ländern erfolglos erhoben wird. Allerdings hatten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern erst Ende 2016/Anfang 2017 über einen neuen Finanzausgleich verständigt – mit erheblichen Verbesserungen für die Länder. Die Vereinbarung trägt auch Kretschmanns Unterschrift.

Inhaltlich wird der baden-württembergische Ministerpräsident mit seinem massiven Vorgehen gegen die Abschaffung des Kooperationsverbots von den Unions-Regierungschefs aus Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen unterstützt. Was der Bund mit „Sicherstellung der Qualität“ meine, sei „nichts anderes als ein Einfallstor für Einflussmöglichkeiten des Bundes in die Substanz der Bildungspolitik“, schrieben sie gemeinsam mit Kretschmann in einem offenen Brief.

 

Digitalpakt und Grundgesetzänderung trennen

Dagegen haben die meisten SPD-Regierungschefs sowie Bodo Ramelow (Linke/Thüringen) gegenüber dem Bund inhaltlich weniger Berührungsängste. Die Abschaffung des Kooperationsverbots stand schließlich in den von ihren Parteien beschlossenen Programmen zur Bundestagswahl. Sturm laufen sie vor allem gegen die vorgesehene 50-prozentige Mindestbeteiligung der Länder. Die gehöre nicht ins Grundgesetz. Finanzschwache Länder könnten künftig kaum mehr Hilfen des Bundes in Anspruch nehmen, wenn sie mindestens die Hälfte beisteuern müssten.

Allerdings: Die so vehement beanstandete 50-Prozent-Regelung zieht sich bereits quer durch die wechselvolle Geschichte der Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Bildung. Beim – 2006 abgeschafften – gemeinsamen Hochschulbau gab es die hälftige Beteiligung des jeweiligen Landes ebenso wie beim aktuellen Hochschulpakt. Gleiches gilt auch für die Finanzierung der Hochschulforschung über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Grundlagenforschung der Max-Planck-Institute. Hier wollten die Länder aber die vom Bund gewünschte Steigerung der Forschungsausgaben nicht mittragen. Der Bund übernimmt bei der DFG inzwischen fast 60 Prozent der Kosten.

Unstrittig ist, dass der Digitalpakt auch ohne Grundgesetzänderung möglich wäre: als einmalige befristete Zuwendung – wie dies Ramelow und Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) im Bundesrat deutlich machten. Auch andere Länderchefs schlagen vor, Digitalpakt und Grundgesetzänderung zu trennen. Doch ohne das fünf Milliarden schwere Druckmittel des Digitalpakts ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat eine Lockerung oder gar die Abschaffung des Kooperationsverbots kaum denkbar. Die Fronten zwischen Bund und Ländern sind angesichts des Finanzpokers derzeit jedenfalls extrem verhärtet.

 

Ganz anders vor 50 Jahren

Dabei gab es auch schon mal ganz andere Zeiten: Vor 50 Jahren erlebte die alte Bundesrepublik ihre erste Bildungsexpansion. Es gab einen Run auf die Gymnasien, Länder und Kommunen kamen mit Schulneugründungen kaum nach, Studienplätze waren ein rares Gut. Die Kultusministerkonferenz stand mit dem Rücken zur Wand. Ihr damaliger Präsident, der Berliner Bildungssenator Carl-Heinz Evers (SPD), forderte den Bund auf, sich finanziell wie inhaltlich mehr des Bildungsthemas anzunehmen. In den Folgejahren gab es eine Grundgesetzänderung, die dem Bund vor allem bei den Hochschulen mehr Mitsprache einräumte, die Gründung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK), einen ersten Bildungsgesamtplan für die Bundesrepublik, zahlreiche vom Bund geförderte Schul-Modellversuche, das Hochschulrahmengesetz und die gemeinsame Hochschulbauförderung.

2006 dann der Rollback: mit der Festschreibung des Kooperationsverbots im Grundgesetz. Es ist inzwischen durch mehrfache Änderungen durchlöchert – vor allem zu Gunsten der Wissenschaft. Heute zahlt der Bund für Bildung so viel wie noch nie.

Man könnte das Gezerre der Länder eher nachvollziehen, wenn sie denn tatsächlich eine erfolgreiche Bildungspolitik vorzuweisen hätten. Doch auch zehn Jahre nach dem Bildungsgipfel ist die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss nicht halbiert, sind fast 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne Berufsabschluss, bleiben Hauptschülern fast zwei Drittel der noch freien Ausbildungsplätze wegen höherer Qualifikationserwartungen verschlossen. Und warum haben die Länder angesichts ihrer doch so hohen Sachkompetenz in Bildungsfragen die Schulen nicht längst digital ausgestattet?

Gut 15 Jahre nach dem ersten PISA-Schock kann immer noch fast jeder fünfte 15-jährige Schulabgänger weder richtig lesen noch fehlerfrei schreiben und Texte verstehen. Doch Föderalismus-Streiter Kretschmann ficht das alles nicht an. Er sorgt sich stattdessen um den Niedergang der Dialekte bei jungen Menschen, um das Schwäbische, das Alemannische und das Fränkische – wie er unlängst bekannte. Der Arbeitsmarkt 4.0 wird davon wahrlich nicht begeistert sein.