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E&W 12/2016: Lobbyismus

Unternehmen, firmennahe Stiftungen und Interessensverbände drängen in Schulen - und das nicht uneigennützig. Experten fordern staatliche Regelungen gegen privatwirtschaftliche Einflussnahme - das Topthema der "E&W"-Dezemberausgabe.

Nicht Gewerkschafter und Betriebsräte gehen in Klassenzimmern ein und aus, sondern Großkonzerne. Kaum ein Unternehmen, das nicht mit Lernmaterialien zu Themen wie Finanzen, Wirtschaft oder Arbeitsmarkt in die Schulen drängt. Der Experte für schulische politische Bildung, Tim Engartner, fordert angesichts zunehmender inhaltlicher Einflussnahme durch Lobbyisten ein "staatliches Regelwerk, das eine klare Trennung zwischen Schule und Privatwirtschaft garantiert".

Die Bezirksregierung Köln hat Werbung von Microsoft – einen Videofilm und ein Banner – an einem Kölner Berufskolleg untersagt. Die GEW in NRW fordert, die Schulaufsicht müsse Schulen mit Blick auf das Werbeverbot "stärker sensibilisieren". Das Berliner Unternehmen Speed4 System Germany GmbH organisiert derweil Laufwettbewerbe an Schulen – und lädt Kinder und deren Eltern anschließend zum "Finale" ins Autohaus oder in den Baumarkt.

In Baden-Württemberg ist das Fach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS) eingeführt worden. Das Land habe sich dabbei von arbeitgebernahen Lobbyisten beraten lassen, kritisieren die Didaktikexperten Dirk Lange und Steve Kenner der Universität Hannover. Während die Forderungen nach mehr Wirtschaftsunterricht an den Schulen immer lauter werden, steht die dafür notwendige Qualifizierung der LehrerInnen selten im Fokus. Das ökonomische Wissen, das Lehrkräfte von den Hochschulen mit an die Schulen bringen, variiert von Bundesland zu Bundesland sowie von Uni zu Uni.

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, plädiert für politische Bildung schon ab der Grundschule. "Die politische Bildung im Grundschulbereich wäre aus meiner Sicht ein Thema, bei dem Bund und Länder gemeinsame Modelle entwickeln könnten, um schon ganz junge Menschen an die großen gesellschaftlichen Herausforderungen heranzuführen."Aus didaktischer Perspektive ist das Thema Globalisierung gut geeignet, ökonomische und politische Lernfelder zusammenzuführen. GEW-Schulexpertin Martina Schmerr empfiehlt zwei Publikationen.

Unterdessen nimmt der Druck an Schulen zu. Viele Lehrkräfte fürchten um ihre Gesundheit. Überlastungsanzeigen machen auf zu große Belastungen durch die Arbeitsbedingungen aufmerksam. Auf den Schultern von Schulleitungen und Kollegien lasten so zahlreiche wie unterschiedliche neue Querschnittsaufgaben - ein Thema, mit dem sich die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "DDS – Die Deutsche Schule" beschäftigt.

Auf Durchschnittswerte abzielende Leistungstests lehnt die GEW ab. Ein Bildungsmonitoring müsste jede Schule in die Lage versetzen, individuelle wie kollektive Lernfortschritte regelmäßig zu evaluieren, sagt Schulexpertin Ilka Hoffmann. In Sachsen ist man zwar Spitzenplätze in Bildungstests gewohnt. Doch die Realität in den Lehrerzimmern bilden die Ergebnisse von PISA, IGLU, TIMSS und Co. nicht ab. Arbeiterkind.de hilft derweil SchülerInnen, die nicht aus Akademikerhaushalten kommen, als Erste in ihren Familien zu studieren. Bundesweit sind rund 7.000 Ehrenamtliche im Einsatz.

In Vorbereitungsklassen lernen geflüchtete Kinder und Jugendliche die deutsche Sprache – auch im Fachunterricht. Darauf sind Schulen und Lehrkräfte bisher nicht gut oder gar nicht vorbereitet. Auch Unterrichtsmaterialien fehlen.

Schlechte Nachrichten kommen unterdessen aus der Türkei: "Die AKP-Regierung betreibt eine Hexenjagd gegen alle ihre Kritiker", sagt die Gewerkschafterin von Eğitim-Sen, die Kurdin Sakine Yılmaz, im "E&W"-Interview. Die GEW engagiert sich über den Heinrich-Rodenstein-Fonds für Menschen- und Gewerkschaftsrechte und leistet humanitäre Hilfe für Menschen in Not. Dafür bittet sie um Spenden.

Und während die Tarifverhandlungen für den kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst den Beschäftigten zwar viele Fortschritte gebracht haben, liegt die Bezahlung bei freien Trägern mitunter weit unter den tariflichen Standards. Anlass für die GEW, in acht Bundesländern die Initiative "Tariflohn für alle" zu starten.