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Corona-KiTa-Studie von DJI und RKI

„Es läuft gut“ – läuft es gut?

„Es läuft gut in den Kitas“, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch im Oktober. Seither hat sich die Lage allerdings deutlich verschlechtert: Es gibt weniger Personal, mehr Infektionen, mehr Verdachtsfälle.

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In der zweiten Welle der Corona-Pandemie müssen immer häufiger Kita-Gruppen und ganze Einrichtungen schließen. (Foto: imago images/Petra Schneider)

Während über das Ob und Wie von Schulbetrieb mit Verve debattiert wird, bleibt es um die Kinderbetreuung eher still. Muss eine Kita wegen einer Covid-19-Infektion schließen, steht das kaum in der Lokalpresse; eine Ausnahme ist München, wo die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Website Buch führt. Rund 70 Schließungen listete sie Mitte November für die bayerische Landeshauptstadt auf, deren Infektionszahlen nach einem kurzen Zwischentief wieder zu den höchsten der Republik zählen. In den meisten Fällen waren Kita-Gruppen geschlossen, manchmal ganze Einrichtungen.

Die Ruhe überrascht auch deswegen, weil die Lage der Kinderbetreuung anders als die an Schulen bundesweit begleitet und stets aktualisiert wird: Auf der Seite Corona-Kita-Studie.de finden sich detaillierte Monats- sowie ein erster Quartalsbericht, und seit November sogar ein Dashboard, wie es viele inzwischen von der Website des RKI kennen: Klick für Klick kann man nachschauen, wie viele Kitas von Covid-19-Infektionen und Verdachtsfällen betroffen sind, und wie es um die Personalsituation bestellt ist. Einziger Wermutstropfen: Das Corona-KiTa-Register, das auf den Antworten aus zurzeit rund 8.100 Kitas und 1.400 Tagespflegeeinrichtungen basiert, hinkt rund 14 Tage hinterher.

Immer weniger Personal

Der Blick, den man bei Drucklegung der E&W am 24. November auf die erste Novemberwoche werfen kann, macht deutlich, wie sehr sich die Lage seit einem pressewirksamen Auftritt von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) und Bundesgesundheitsminister Spahn nur wenige Wochen zuvor* verändert hatte: Der Anteil der Einrichtungen, die wegen eines Infektions- oder Verdachtsfalls geschlossen waren, stieg zwischen Anfang Oktober und Anfang November von 0,61 auf 1,64 Prozent. Weitaus häufiger als ganze Kitas oder Tagespflegeeinrichtungen bleiben einzelne Gruppen geschlossen, nämlich mit 3,72 Prozent (Anfang Oktober: 0,76 Prozent) inzwischen schon mehr als jede Dreißigste – pro Kalenderwoche.

Auch die Zahl der von den Einrichtungen mitgeteilten Covid-19-Fälle steigt zurzeit stetig und deutlich: „Nur jede Hundertste pro Woche meldet einen Infektionsfall“, hatte Ministerin Giffey Mitte Oktober noch verkündet. In der ersten Novemberwoche war es mit 9,2 Prozent nahezu jede Zehnte. Ob Kinder oder Erzieherinnen und Erzieher infiziert sind, wird nicht gemeldet. Einen Hinweis dürfte der Anteil des „coronabedingt ausgefallenen Personals, zum Beispiel wegen Krankschreibung“ geben: Der stieg binnen eines Monats von 2,7 auf 4,5 Prozent. Dazu passt, dass der Anteil der Fachkräfte, die für die pädagogische Arbeit mit Kindern zur Verfügung steht, von Woche zu Woche leicht sinkt, in der ersten Novemberwoche lag ihr Anteil bei 84,6 Prozent.

„So langsam stoßen die Kitas an ihre Grenzen.“ (Prof. Bernhard Kalicki)

Das wirft gesundheitliche Fragen auf, aber auch organisatorische. Jede Woche geben die Einrichtungen auf einer 1-6-Skala an, wie schwierig es für sie ist, bedarfsgerechte Betreuung zu gewährleisten. Anfang Oktober antworteten Kita-Leitungen und Tagespflege darauf noch im Durchschnitt mit der Note 2,3, einen Monat später nur noch mit 2,7. „So langsam stoßen die Kitas an ihre Grenzen“, erklärt Prof. Bernhard Kalicki, einer der Corona-KiTa-Studienleiter am DJI. „Welches Personal wo eingesetzt wird, muss ja auch präziser geplant werden als vor der Pandemie.“ Denn der Trend zu stabilen Gruppen macht natürlich auch vor der Kinderbetreuung nicht Halt: Die große Mehrheit der Kitas mit offenen Gruppen wechselte zu geschlossenen oder nur teilweise offenen Gruppen. Mehr als die Hälfte der teilweise offen arbeitenden Kitas wechselte zu geschlossenen Gruppen.

Überraschend kommt die sich stetig verschlechternde Lage indes nicht: Prof. Walter Haas, einer der Studienleiter beim RKI, sagte – neben Giffey und Spahn auf dem Podium sitzend – bereits im Oktober voraus, steigende Infektionszahlen würden in die Kindertagesbetreuung hineinwirken. Das zentrale Argument der Politik, Kitas seien keine „Infektionstreiber“, bestätigte der RKI-Experte hingegen: Nach allem, was man wisse, folge die „Verbreitung des Virus unter Kindern der Gesamtsituation, und treibt sie nicht voran.“ Dazu passt, dass der Anteil der Kinder, die jünger als fünf Jahre sind, an allen Infektionen in Deutschland nur 3 Prozent beträgt – obgleich sie 6 Prozent der Bevölkerung stellen.

Kinder erkranken seltener

Umfassend erforscht ist die Rolle von Kindern im Infektionsgeschehen aber bisher nicht. „Wir hoffen, dass COALA uns genauere Antworten gibt“, so Haas. COALA ist ein weiterer Baustein der Corona-KiTa-Studie und trägt den vollen Titel „Corona – Anlassbezogene Untersuchungen in Kitas“. Bundesweit sollen in 15 bis 20 Kitas, in denen Infektionen auftraten, Abstriche und Blutproben bei Mitarbeitenden sowie in den Familien darüber Aufschluss geben, inwieweit, und wenn ja, unter welchen Bedingungen die gemeinsame Betreuung zur Übertragung beitrug. Ein Modul namens CATS (Corona-KiTa-Surveillance) soll außerdem großflächig Daten der Gesundheitsämter analysieren. Ergebnisse der beiden vom RKI verantworteten Teilstudien werden allerdings erst für 2021 erwartet.

Bis dahin verweist die Corona-KiTa-Studie vor allem auf jene internationalen Studien, die auch in der Presse diskutiert wurden. Die Erkenntnisse reichen von Israel über China bis Australien und in die USA, von Tests in Haushalten bis zu Nachverfolgungen von Ausbrüchen in Ferienlagern und Bildungseinrichtungen. Kaum eine ist eins zu eins übertragbar, auch beziehen sich nicht alle auf kleine Kinder. Zusammengefasst führen sie für das Kita-Alter zu einem Trend, der sich in Kürze so beschreiben lässt: Sicher ist, dass Kinder seltener an Covid-19 erkranken als Erwachsene – und zwar je jünger, desto seltener (eine Ausnahme sind Säuglinge, die häufiger erkranken als Kleinkinder). Ein Zusammenhang damit, dass Kleinkinder sich seltener infizieren – und damit weniger zur Verbreitung beitragen können – wird stark vermutet.

Dafür spricht auch eine Studie der Frankfurter Virologin Prof. Sandra Ciesek, die an 50 hessischen Kitas mit 825 Kindern und 372 Mitarbeitenden binnen zwölf Wochen nur auf zwei positive Ergebnisse stieß, beide beim Personal. Auch wenn die Tests in einer Zeit von weniger Infektionen – bis September – stattfanden, entkräften sie die These, bei Kindern würden Infektionen womöglich oft übersehen, weil sie nicht krank werden. Warum Kita-Kinder das aktuelle Corona-Virus kaum verbreiten sollten – schließlich sind Kitas bei Influenza und Erkältungen durchaus Infektionstreiber –, ist noch völlig offen.

Die Corona-KiTa-Studie erforscht, was die Pandemie für Kitas und Tagespflege, Kinder und Eltern bedeutet – von Infektionsrisiken bis zu pädagogischen Herausforderungen. Auch soll ein engmaschiger regionaler Überblick entstehen. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) und das Robert Koch-Institut (RKI) führen die Studie durch, finanziert wird sie vom Bundesgesundheits- sowie dem Bundesfamilienministerium.

Die Studie besteht aus vier Modulen: aus dem Corona-KiTa-Register des DJI mit wöchentlichen Onlinebefragungen und den RKI-Untersuchungen CATS und COALA (s. Text). In einem vierten Modul (CoKiss) befragen DJI-Mitarbeitende 3.000 Kita-Leitungen und 14.000 Eltern, teils mit vertiefenden Vor-Ort-Gesprächen. So soll ein Eindruck entstehen, wie Kinderbetreuung in Zeiten der Pandemie gelingt. Aktuelle Erkenntnisse werden regelmäßig veröffentlicht.

Kitas wie Kindertagespflege-Einrichtungen sind weiterhin aufgerufen, sich zu beteiligen. „Je mehr mitmachen, desto präziser können regionale Lagen eingeschätzt und desto zielgerichteter kann auf diese reagiert werden“, erklärt Prof. Bernhard Kalicki vom DJI.

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