Im Klassenraum A9 der Peter-Lenné-Schule in Berlin-Zehlendorf sieht es aus wie bei einem Konferenzworkshop. In kleinen Tischrunden sitzen Schülerinnen und Schüler mit Experten zusammen, vertieft in hitzige Gespräche. Thema: Wie können wir an unserer Schule für Nachhaltigkeit begeistern? Die einen wollen von Harry Funk, Vertreter der Berliner Senatsverwaltung, wissen: Wieso ist Nachhaltigkeit nicht Unterrichtsfach? Die anderen fragen Heidi Consentius vom Zukunftsinstitut Futur: An wen müssen wir uns wenden, wenn wir Solardächer auf der Schule haben wollen? Ein Timer klingelt. Projektleiter Uwe Birkel klatscht in die Hände. „Leute, 30 Minuten Mittagspause.“
Die Klassentüren stehen offen, heute ist Projekttag. Lehrerin Svenja Scholz führt gemeinsam mit der Initiative „Baut Eure Zukunft“ durch den Vormittag. „Wir wollen Schüler inspirieren, sich kritisch und kreativ mit wichtigen gesellschaftlichen Zukunftsthemen zu beschäftigen“, sagt Birkel. Egal ob es um Umweltschutz, Rassismus oder Zukunftsangst geht.
„Baut Eure Zukunft“ ist eine Initiative der Non-Profit-Organisation Social Impact und wird von der Deutsche Bank Stiftung sowie der Deutschen Bank gefördert. Anfang 2017 gegründet, richtet sich das Bildungsprojekt an die Klassen 7 bis 10 und an Jugendeinrichtungen. Es besteht aus vier Modulen: einem Unterrichtskonzept, das online abrufbar ist, Workshops für Schüler und Lehrkräfte, Lehrerfortbildungen und einem jährlichen Wettbewerb, in dem Projektideen zur Umsetzung der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung prämiert werden. Knapp 40 Schulen waren 2018 dabei. Eine Besonderheit ist die Herangehensweise: das sogenannte Design Thinking, eine Methodik zur Entwicklung von Innovationen. Sie kombiniert maximale Offenheit bei der Ideensuche mit strenger Systematik und präzisen Abläufen.
8:10 Uhr. Teams werden gebildet, Regeln definiert: Ausreden lassen, alle müssen mitmachen. 8:30 Uhr. Das Thema wird erarbeitet, die „Challenge“, die es heute zu knacken gilt. Worum geht es? Was heißt Nachhaltigkeit überhaupt? 9:30 Uhr. Interviews vorbereiten, Fragen formulieren. 10 Uhr. Fünf Expertinnen und Experten aus Politik, Forschung und Umweltbildung sind zu Gast. Birkel: „Das Gespräch mit Profis von außen hilft den Schülern, Zusammenhänge besser zu verstehen und anschließend ein konkretes Problem zu benennen, das sie lösen wollen.“ Und: Sie merken, dass sie ernst genommen werden.
Dieses Vorgehen hat auch Lehrerin Scholz gereizt. Die Pädagogin suchte nach Möglichkeiten, das Thema Nachhaltigkeit spannender zu machen. Zwar wurde die Peter-Lenné-Schule vom Berliner Senat schon mehrfach als „Umweltschule“ ausgezeichnet. Aber was heißt Nachhaltigkeit über Leuchtturmprojekte hinaus im Schulalltag? Scholz sagt: „Auf Twitter bin ich dann auf den Ansatz ‚Baut Eure Zukunft‘ gestoßen.“
„Die Vorschläge der Schüler dürfen nicht verpuffen.“ (Lehrerin Scholz)
Experten befragt, Pause vorbei. Jetzt steht Brainstorming auf dem Programm. Wie das geht, erklärt ein Video. Zum Beispiel: die Ideen fließen lassen. Egal ob realistisch, egal von wem sie kommen, egal wie unsinnig sie sind. Entscheidend: dynamisch drauflos denken. Birkel sagt: „Ihr habt 15 Minuten Zeit.“
Erst sitzen viele Schülerinnen und Schüler ratlos herum. Knabbern an der Frage: Wo könnten wir mehr Nachhaltigkeit nun konkret angehen? Ein Schulfach Nachhaltigkeit fehle, meint Melissa. Aber was können wir als Schüler schon dafür tun? „Wie wäre es, über unsere Schulwebsite für Ökoberufe zu begeistern?“, schlägt Lisa vor. Die Jungs am Nachbartisch diskutieren über bessere Pfandsysteme für die Mensa und Baumpflanzaktionen auf dem Schulhof. „Mensch, da kann man doch was machen“, ruft Ole. Lehrerin Scholz schlendert von Tisch zu Tisch und grinst. „Es kommt etwas in Gang.“
Das Brainstorming ist vorbei. Zeit zur Entscheidung. Was wollen wir anpacken? Und wie? „Viele Schüler tun sich da schwer“, sagt Birkel, „aber darum geht es gerade: nicht unter der Komplexität zusammenbrechen, sondern aus vielen Puzzlestücken eines auswählen und einfach anfangen.“ Und wenn sich der Weg als wenig überzeugend herausstellt? Macht nichts. Richtung ändern, neue Lösung suchen. „Iterativ“ nennt sich diese Vorgehensweise und meint die schrittweise Annäherung an eine Lösung in sich wiederholenden Schleifen. Birkel sagt: „Oft verändern die Schüler ihre Projektidee noch mal beim Bau des Prototyps.“ Heißt: beim Basteln, Filmen oder Plakat gestalten. Dafür haben sie jetzt 60 Minuten Zeit.
In einem echten Show-Marathon präsentieren die zwölf Kleingruppen schließlich ihre Ideen. Die einen bringen sie in einem Videoclip auf den Punkt: ein Plädoyer für „solidarisches Kippen-Fegen“ auf dem Schulhof, damit die Gifte in den Zigarettenstummeln nicht mehr den Boden verseuchen. Andere machen mit Playmobilfiguren ihren Vorschlag für mehr Kooperation mit Umweltschutzverbänden anschaulich. Wieder andere haben eine kleine App programmiert. Sie soll den Papierverbrauch in der Schule dokumentieren: Wo kann man sparen?
Ein Projekttag kann natürlich nur der Anfang sein. „Die Vorschläge der Schüler dürfen nicht verpuffen“, sagt Lehrerin Scholz. Auf einer Projektwebsite will sie alle Ergebnisse sammeln, dann wird mit der Schulleitung diskutiert: Was lässt sich umsetzen? Für Scholz steht fest: Es hat sich gelohnt. „Und vielleicht lässt sich manches aus der Methodik in den Unterrichtsalltag übertragen.“
Markus Hanisch, Pressesprecher der GEW Berlin, findet den Ansatz vielversprechend: „Es ist toll, wenn Schulen mit neuen Methoden Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit komplexen Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit begeistern. Solche Projekte zeigen, dass die Kooperation mit externen Partnern frischen Wind in den Schulalltag bringen kann.“ Und die Schülerinnen und Schüler? „Erst wusste ich überhaupt nicht, was ich machen sollte“, berichtet Jamal. „Aber als unsere Projektidee gefunden war, hat es super Spaß gemacht.“ Und: „Es gibt unglaublich viel, das wir tun können“, sagt -Wiebke. „Wir müssen nur anfangen.“