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Folgen des Ukraine-Krieges

Es gilt: der Beutelsbacher Konsens

Wenn es in der Schule um das Thema des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine geht, dürfen Lehrkräfte im Rahmen des Beutelsbacher Konsenses durchaus Position beziehen und müssen die Menschenrechte verteidigen.

Der Ukraine-Krieg sollte nach Ansicht von Fachleuten im Unterricht thematisiert werden. Dazu können und dürfen Lehrkräfte Stellung beziehen. (Foto: Dominik Buschardt)

Die Verunsicherung darüber, wie sich Lehrkräfte im Unterricht verhalten sollen, können und dürfen, ist vielerorts groß. Nicht umsonst sah sich das Kultusministerium Niedersachsen bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn gezwungen, eine Klarstellung zu veröffentlichen. Darin heißt es:

„Es gibt den sogenannten Beutelsbacher Konsens. Der besagt, dass kontroverse Themen auch kontrovers behandelt werden müssen. Und es gilt das sogenannte Überwältigungsverbot: Die Lehrkraft darf ihre eigene Sicht zwar ausdrücken, aber nicht als allgemeingültig hinstellen. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich selbst anhand von sicheren Quellen ein Urteil bilden. Die jeweilige Lehrkraft muss dafür verschiedene Perspektiven ermöglichen.“

„Sich deutlich gegen Krieg zu positionieren, ist ebenfalls kein Verstoß gegen das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsens.“

Zugleich beruhigt das Ministerium: „Es ist erlaubt und hilfreich, die eigene Betroffenheit zu äußern. Befürchtungen, dass eine Betroffenheitsäußerung als Landesbedienstete gegen das politische Neutralitätsgebot verstoßen könnte, sind unbegründet. Sich deutlich gegen Krieg zu positionieren, ist ebenfalls kein Verstoß gegen das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsens.“

Verpflichtung zum Schutz vor Diskriminierung

Schule ist zu Diskriminierungsschutz verpflichtet. Daran erinnern Sandra Reitz und Müge Zünbül vom Deutschen Institut für Menschenrechte. „Das bedeutet beispielsweise auch, dass Lehrkräfte eingreifen sollten, wenn Positionen in der Schule vertreten werden, die jemandem allein aufgrund seiner Herkunft eine Haltung zuschreiben“, sagt Zünbül. Russische Wurzeln zu besitzen, bedeute beispielsweise nicht automatisch, den Angriffskrieg zu befürworten.

„Es wäre paradox, wenn Lehrkräfte das Engagement, das sie bei Lernenden fördern – in diesem Fall eine begründete politische Positionierung – selbst nicht zeigen dürften.“ (Sandra Reitz)

Gleichzeitig sind Lehrkräfte laut ihres staatlichen Bildungsauftrags verpflichtet, Menschenrechte zu verteidigen und zu fördern. „Dieser Krieg sollte im Unterricht thematisiert werden. Er stellt eine Verletzung des Völkerrechts und damit auch der Menschenrechte dar. Dazu können und dürfen Lehrkräfte Stellung beziehen“, betont Reitz. Sie ergänzt: „Wenn sie ihre Meinung zurückhalten, machen sie sich unglaubwürdig und wirken nicht authentisch. Es wäre paradox, wenn Lehrkräfte das Engagement, das sie bei Lernenden fördern – in diesem Fall eine begründete politische Positionierung – selbst nicht zeigen dürften.“

Die beiden schlagen Lehrkräften folgende Art der Beteiligung vor, wenn im Klassenverband über den Krieg diskutiert wird: „Das, was die Lehrkraft äußert, muss transparent sein und darstellen, auf welchen Informationen die Aussage und Meinung basieren. Und es muss deutlich werden, dass es sich um eine persönliche Stellungnahme handelt.“ Dazu meint das niedersächsische Kultusministerium: „Eine klare Positionierung zum Krieg durch Schulleitung und durch die Lehrkräfte in den Lerngruppen ist wichtig und gibt Sicherheit und Orientierung in der gesamten Schulgemeinschaft.“

Sensibel, kreativ, aber nicht provozierend

Das Thema „Krieg und Menschenrechte“ beziehungsweise die Verletzung der Menschenrechte ist vielschichtig. Ausdrücklich begrüßen Reitz und Zünbül zum Beispiel, dass viele Schulen geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine unkompliziert aufgenommen haben. „Doch wie sieht es mit aus der Ukraine Geflüchteten aus, die keinen ukrainischen Pass besitzen? Wie sieht es mit dem Recht auf Bildung aus etwa für Roma, Studierende aus afrikanischen Ländern und Kriegsgeflüchtete, die in der Ukraine Schutz gefunden hatten?“, fragen die Wissenschaftlerinnen.

Für sie ist ausschlaggebend, wie Lehrkräfte an das Thema herangehen. Für wenig hilfreich halten sie, durch bewegte, auch Gräueltaten darstellende Bilder Empathie wecken zu wollen. „Wer auf diese Weise den Schrecken präsentiert, muss wissen, was er damit bei den Schülerinnen und Schülern auslösen kann“, warnt Reitz. Sensibilität und Kreativität statt Provokation seien gefragt – auch, um nicht gegen das Überwältigungsverbot zu verstoßen.

Zünbül ist überzeugt: „Solche Herangehensweisen sind auch nicht erforderlich. Einen anregenden Einstieg in die Diskussion und engagierte Wortmeldungen kann ich auch durch gezielte Fragestellungen erreichen.“ Etwa, wenn es um das Für und Wider der Lieferung schwerer Waffen geht. „Wie passen Menschenrechte und Rüstungsindustrie zusammen?“, könne angesichts des Rechts auf Leben und Freiheit gefragt werden. Ebenso könne erörtert werden, wie es (nicht nur) in diesen Zeiten um Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, bestellt sei.

Fakten, Fakten, Fakten

Ohnehin ist die Informationsbeschaffung nach Ansicht von Reitz und Zünbül ein zentrales Thema. „Die Lehrkraft sollte verdeutlichen, dass die aktuelle Nachrichtenlage aus Kriegsgebieten oft unüberschaubar ist, nicht selten interessengesteuert erfolgt und es mitunter schwierig sein kann, den Wahrheitsgehalt der Nachrichten zu überprüfen“, sagt Reitz. Diskussionen, die dazu beitrügen, dass sich die Schülerinnen und Schüler ein eigenes Bild machen könnten, sollten daher stets die Faktenlage in den Mittelpunkt stellen.

Gleichzeitig biete der Krieg wie schon zuvor die Corona-Pandemie die Chance, die kritische Sicht auf Dinge zu fördern – auch, was die verwendeten Informationsquellen betreffe. „Um welche Quelle handelt es sich? Was sagt das Impressum über diese? Wie ist der Sprachstil? Woher stammen die genutzten Fotos?“, sind laut Zünbül Ansatzpunkte für eine Auseinandersetzung mit Informationen. Der Unterricht biete einen „enorm wichtigen Raum für offene Fragen, die Thematisierung von Zukunftsängsten und gemeinsame Reflexion.“ Die Lehrkraft, ihre klare Haltung wie auch grundsätzlich die Menschenrechte seien dabei eine hilfreiche Orientierung in der Diskussion.