Volontourism
„Es gibt viele dubiose Freiwilligenprojekte“
Wegen der Corona-Pandemie konnten viele Schulabgänger nicht als Freiwillige im Ausland arbeiten. Nun boomt der „Voluntourism“ wieder – und verletze Kinderrechte teils massiv, sagt Josephine Hamann von der Kinderschutz-Organisation ECPAT.
- E&W: Frau Hamann, nach der Schule freiwillig in einem anderen Land zu arbeiten – was ist daran schlimm?
Josephine Hamann: Viele Volunteers wollen im Ausland Erfahrungen für das Leben sammeln – und anderen helfen. Das ist erst mal eine gute Absicht. Leider helfen sie nicht immer! Es gibt viele dubiose Freiwilligenprojekte, die Kinder ausbeuten. Etwa in Waisenhäusern Asiens oder Lateinamerikas. Oft haben die vermeintlichen Waisen noch Eltern. Die wurden aber überredet, ihr Kind wegzugeben; gelockt werden sie mit dem Versprechen, die Kinder lernten so Englisch oder bekämen regelmäßig Essen. Das ist ein klassischer Fall von Kinderhandel! Die Waisenhäuser wiederum machen Profit mit den Freiwilligen aus dem Globalen Norden – diese bringen über einen Teil der Vermittlungsgebühr oder Spenden ja Geld ins Projekt. Außerdem nehmen Freiwillige den lokalen Mitarbeitenden und Lehrkräften oft die Arbeit weg.
- E&W: Welche Gefahren birgt Voluntourism noch?
Hamann: Die wenigsten Freiwilligen können Kompetenzen in der Kinder- und Jugendbetreuung oder didaktische Fähigkeiten vorweisen. Die aber braucht es, um Minderjährige gut betreuen und unterrichten zu können. Oft sprechen Volunteers die lokale Sprache nicht. Trotzdem werden sie mit den Kindern alleine gelassen. Das birgt zudem das Risiko, dass Kinder sexuell ausgebeutet werden – auch Straftäterinnen und -täter verschaffen sich über Projekte Zugang zu Kindern. Die wenigsten Vermittlungsagenturen verlangen die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses.
- E&W: Immer mehr Anbieter tummeln sich auf einem immer schwieriger zu durchschauenden, lukrativen Markt. Fehlen verbindliche Standards für die Vermittlung, etwa zur Vor- und Nachbereitung eines Freiwilligenaufenthaltes oder zum Kindesschutz?
Hamann: Leider ja. Das belegt eine Studie von uns und TourismWatch aus dem Jahr 2018: 76 Prozent der untersuchten kommerziellen Anbieter verlangen keinen Lebenslauf der Freiwilligen. Fast niemand fragt nach Referenzen oder führt ein persönliches Bewerbungsgespräch vor der Abreise, mit dem man auch die Sprachkenntnisse der Bewerbenden prüfen könnte. Nur 16 Prozent der Veranstalter erkundigen sich nach Arbeitserfahrungen – ebenso wenige verlangen ein Motivationsschreiben.
- E&W: Wann sollten beim Durchforsten der Voluntourism-Angebote die Alarmglocken läuten?
Hamann: Wenn der Anbieter stark auf armutszentriertes Marketing setzt, etwa: Weiße junge Frau hält abgemagertes, dunkelhäutiges Kind im Arm. Wenn eine extrem kurze Einsatzdauer von wenigen Tagen bis Wochen angeboten wird und keinerlei oder eine zu kurze Vorbereitungszeit vorgesehen ist. Und wenn Einsätze im Waisenhaus angeboten werden: Anbieter, die sich für Kinderschutz einsetzen, machen das nicht mehr.
- E&W: Worüber sollten sich die Freiwilligen im Vorfeld klar sein?
Hamann: Über ihre eigenen Wünsche und Fähigkeiten. Viele Volunteers kommen mit falschen Hoffnungen in Projekte und sind überfordert, auch von den kulturellen und sprachlichen Unterschieden. Arbeit mit Kindern – das klingt erst einmal nach viel Spaß. Oft aber sind diese Kinder traumatisiert. Nicht alle Freiwilligen sind dem gewachsen.