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Corona-KiTa-Studie

„Es bleibt eine gewisse Black Box“

Das Deutsche Jugendinstitut und das Robert Koch-Institut erforschen die Rolle von Kindern im Infektionsgeschehen. Die Medizinsoziologin und Ärztin Prof. Julika Loss leitet beim RKI das Modul „Corona – Anlassbezogene Untersuchungen in KiTas“ (COALA).

(Foto: find-das-bild.de / Michael Schnell)
  • E&W: In der Frage, wie häufig sich Covid-19 in Kita-Gruppen – oder auch Schulklassen – verbreitet, schaut die Öffentlichkeit immer noch in eine Art Black Box. Ist die Wissenschaft auf einem aktuelleren Stand?

Julika Loss: Nein, dazu gibt es tatsächlich bisher kaum Erkenntnisse, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen sind derartige Untersuchungen von Infektionsketten bei Covid-19-Ausbrüchen aufwendig. Zum anderen waren Kitas und Schulen ja über Monate geschlossen, und zwar genau in der Zeit, in der sich Daten über Übertragungen gut hätten sammeln lassen, sodass sie heute ausgewertet wären.

  • E&W: Das gilt auch international?

Loss: Ja, die wenigen Studien arbeiten oft mit sehr kleinen Fallzahlen. Eine interessante liegt zum Beispiel aus Australien vor: Dort wurden in 15 Schulen und zehn Kitas die Kontakte von Kindern und Pädagoginnen und Pädagogen nachverfolgt, die infiziert in die Einrichtung kamen. Dabei zeigte sich: Trug ein Erwachsener das Virus in sich, steckten sich 1,5 Prozent der Kinder an; brachte ein Kind es mit, nur 1 Prozent der Erwachsenen. Allerdings ist die Basis mit zwölf infizierten Kindern und 15 infizierten Mitarbeitenden überschaubar.

  • E&W: Das Ergebnis entspricht aber doch dem derzeitigen Erkenntnisstand, laut dem Kinder zum Infektionsgeschehen weniger beitragen als Erwachsene?

Loss: Ja, das ist, auf Basis internationaler wie deutscher Studien, die qualifizierte Annahme: Insbesondere Kinder im Kita-Alter erkranken nicht nur weit seltener als Erwachsene. Sie infizieren sich offenbar auch weniger oft. Darauf weist etwa hin, dass nur sehr wenige Kinder Antikörper haben, die auch mit einer unbemerkten Infektion hätten einhergehen müssen.

  • E&W: Andererseits zeigt die Corona-KiTa-Studie: Kitas sind keineswegs frei von Infektionen, die Zahlen steigen seit September stetig an.

Loss: Ja, und es gibt auch Studien, die zu anderen Ergebnissen kommen. Ein Team um den Berliner Virologen Prof. Christian Drosten wies nach, dass infizierte Kinder vergleichbar häufig eine hohe – potenziell infektiöse – Virusmenge im Rachen tragen wie Erwachsene. Danach könnten sie es theoretisch ebenso gut übertragen – oder vielleicht weniger, weil sie nicht so oft Schnupfen oder Husten haben. Es bleibt also dabei: Wir haben es mit einer gewissen Black Box zu tun.

  • E&W: In die wollen Sie im Rahmen der Corona-KiTa-Studie mit dem Modul COALA Licht bringen. Wie gehen Sie vor?

Loss: Seit Oktober besuchen wir Angehörige von Kitas, in denen es mindestens einen Corona-Fall gab. Kinder wie Eltern und Personal werden zuhause in der Quarantäne besucht. Dort wird ein PCR-Abstrich aus Mund und Nase genommen, und es wird ihnen gezeigt, wie sie diesen mit einer relativ einfachen Methode wiederholen können. Die kommenden zwei Wochen streichen sie sich selber ab, und halten zudem ihre Symptome fest. So bekommen wir heraus, ob es in der Kita zu Folge-Infektionen kam – nämlich dann, wenn nach und nach mehr Familien betroffen sind – und auch, inwieweit sich das Virus in den Haushalten weiterverbreitet. Bisher gehen wir davon aus, dass die Infektionen den Kitas als Folge der allgemein steigenden Zahlen zunehmen, und nicht als deren Auslöser.

  • E&W: Wie kommen Sie in Kontakt mit den Kitas?

Loss: Wir arbeiten mit den Gesundheitsämtern zusammen, die, wenn ihnen ein Fall bekannt wird, die Eltern und die Kitas anfragen. Es kam auch schon vor, dass sich Kita-Leitungen direkt an uns gewandt haben, und wir haben geschaut, ob das passt.

  • E&W: Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?

Loss: Im Frühsommer.

  • E&W: Sie haben nicht die Hoffnung, dass dann bereits alle geimpft sind?

Loss: Ich bin da nicht so optimistisch. Doch wir nehmen den Impfstatus in unsere Befragung auf, und hoffen, dann auch zu sehen, welche Auswirkungen dieser auf das Infektionsgeschehen hat.

  • E&W: Bekommen Sie auch heraus, unter welchen Bedingungen es zu mehr und weniger Infektionen kommt, etwa was Abstands- und Hygieneregeln angeht?

Loss: Das hoffen wir, wir befragen die Kita-Leitungen auch zu Hygienekonzepten und den räumlichen Gegebenheiten. Ob wir da große Unterschiede finden werden, ist allerdings fraglich: Das Kita-Register, das ebenfalls Teil der Corona-KiTa-Studie ist, zeigt, dass praktische alle Einrichtungen umfassende Hygienemaßnahmen umsetzen. Auch können 20 Kitas kein repräsentatives Bild ergeben. Wir wollen eher Muster und typische Verläufe beschreiben.

  • E&W: Wie groß ist denn die Bereitschaft, bei der Studie mitzumachen?

Loss: Sehr groß – obwohl die Erzieherinnen und Erzieher wie auch Eltern und Kinder ja in Quarantäne und möglicherweise sehr belastet sind. Unsere Mitarbeitenden sind sehr intensiv dazu geschult worden, feinfühlig vorzugehen, und wir bereiten unsere Besuche gründlich und kindgerecht vor. Dennoch kommt unser Team natürlich in voller Montur, mit Schutzanzügen und Maske. Angesichts dessen hat uns sehr beruhigt, zu sehen, dass die Betroffenen gern mitmachen. Inwieweit die Quarantäne und die damit verbundene Ausnahmesituation die Beteiligten unter Stress setzt, ist übrigens eine weitere Frage von COALA.

  • E&W: Wie klappt denn das Selberabstreichen? Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen das Pädagoginnen und Pädagogen ja künftig häufig im Kollegenkreis selbst übernehmen.

Loss: Unsere Erfahrungen lassen sich kaum übertragen, weil wir mit PCR- und nicht mit Antigen-Schnelltests arbeiten. Grundsätzlich können routinemäßige Selbsttests in eine falsche Sicherheit führen. Denn fest steht, dass es immer auch zu falschen Testergebnissen kommt, insbesondere bei Menschen, die keine Symptome zeigen. Natürlich können sich die Tests in den kommenden Wochen und Monaten verbessern. Wie das Infektionsgeschehen entwickeln sich auch Testmöglichkeiten und Behandlungsformen dynamisch weiter. Da können sich auch Empfehlungen ändern.

Für die Kitas verlangt die GEW, die individuellen Gefährdungsbeurteilungen nach Arbeitsschutzgesetz umzusetzen. Jede Kita braucht passgenaue und wirksame Hygienepläne. „Die Regelungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für Kitas zum Infektionsschutz sind zu beachten und umzusetzen. Weiter müssten alle Kitaträger Betriebsmediziner einsetzen, diese sollten die Risikogruppen bei den Beschäftigten beraten und im Einzelfall von der Arbeit in der Kita freistellen“, sagte GEW-Chefin Marlis Tepe. Sie regte zudem an, freiwillige, kostenfreie Coronatests sowie eine Grippeschutzimpfung für die Beschäftigten anzubieten.

  • Freiwillige, kostenfreie Coronatests sowie eine Grippeschutzimpfung für die Beschäftigten
  • Passgenaue und wirksame Hygienepläne für jede Kita
  • Umsetzung der Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) an Kitas
  • Risikogruppen von Betriebsmedizinern beraten lassen und im Einzelfall von der Arbeit an der Kita freistellen

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten an ändern muss.

Prof. Julika Loss vom Robert Koch-Institut (Foto: Universität Regensburg)