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Tarifvertrag für Hilfskräfte

Erste Erfolge für TVStud-Bewegung

Im April 2021 startete die von GEW und ver.di unterstützte Kampagne „Keine Ausnahme!“ für bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte. Nun gibt es erste Erfolge.

„Get Organized to Strike!“ – Unter diesem Motto fand am 3. Juli der Aktionstag der studentischen Hilfskräfte in Hannover statt. (Foto: Kay Herschelmann)

1981 trat der erste Tarifvertrag für studentische Beschäftigte in Berlin in Kraft. 1991 legten die Gewerkschaften einen Entwurf für einen bundesweiten Tarifvertrag für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte vor, der jedoch abgelehnt wurde. Seitdem blockiert die Arbeitgeberseite, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), die sich aus den Finanzminister*innen der Länder zusammensetzt, jegliche Bestrebungen, die Arbeitsbedingungen der mehr als 300.000 Hilfskräfte und Tutor*innen an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen tariflich abzusichern. Heute, 30 Jahre später, bekommt die Blockade erste Risse. Auf die von GEW und ver.di in die Tarifrunde der Länder eingebrachte Forderung folgte nach dem „Streiksemester“ der bundesweit vernetzten TVStud-Bewegung eine Gesprächszusage mit dem Ziel einer „Bestandsaufnahme über die Beschäftigungsbedingungen der studentischen Hilfskräfte“: ein wichtiger Meilenstein und Teilerfolg angesichts der schwierigen Ausgangslage.

Sozial selektive Beschäftigung

Zwei Drittel aller Studierenden sind auf Nebenjobs angewiesen, um sich ihr Studium finanzieren zu können, das hat die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) ergeben. Es ist also weniger die Frage, ob Studierende arbeiten, sondern vielmehr welche Studierenden wo arbeiten. Hier zeigt sich die soziale Selektivität der aktuellen Beschäftigungsverhältnisse: So kam der alternative BAföG-Bericht der DGB-Jugend 2016 zu dem Ergebnis, dass sozio-ökonomisch schlechter gestellte Studierende häufiger in fachfremden Nebenjobs wie der Gastronomie arbeiten. An den Hochschulen hingegen arbeiten überdurchschnittlich viele Studierende aus Akademiker*innen-Haushalten. Dies geht aus der von der GEW-nahen Max-Traeger-Stiftung geförderten Studie „Studentische MitarbeiterInnen“ von Alexander Lenger, Christian Schneickert und Stefan Priebe aus dem Jahr 2012 hervor: Fast 60 Prozent der studentischen Beschäftigten stammen aus bildungsnahen Familien, 25 Prozent sogar aus der höchsten Gruppe „sehr bildungsnah“; zudem kommen sie „tendenziell aus ökonomisch privilegierten Schichten“. Die strukturellen Hürden manifestieren diese Differenz: Wer auf den Job als studentische*r Beschäftigte*r ökonomisch nicht angewiesen ist, um das Studium finanzieren zu können, kann einen mit nur wenigen Stunden ausgestatteten und auf überwiegend zwei bis sechs Monate befristeten Vertrag zu einem Gehalt knapp über dem Mindestlohn annehmen, um die Erfahrungen für die eigene (akademische) Karriere mitzunehmen – andere hingegen können sich einen prekären Job nicht leisten.

Was sind „Hilfstätigkeiten“?

Derlei Arbeitsbedingungen leben von Narrativen wie dem des „Türöffners“ und der Qualifizierung, davon, dass die studentischen Beschäftigten hineinsozialisiert werden in eine (universitäre) Arbeitswelt, in der man die eigenen Tätigkeiten eher als ständige Bereicherung für den eigenen Lebenslauf oder Ausdruck der eigenen Forschungsinteressen ansieht, weniger jedoch als Lohnarbeit, die entsprechend zu vergüten wäre. Hinzu kommt, dass es sich bei der Arbeit um „Hilfstätigkeiten“, also keine „richtige“ Arbeit handele. Vor dem Hintergrund der Alltagsrealität an deutschen Hochschulen ist das blanker Hohn, denn Tutorien und studentische Lehrveranstaltungen decken teils ganze  Module ab, studentische Beschäftigte stemmen die IT-, Beratungs- und Bibliotheksservices, beaufsichtigen und korrigieren Prüfungen und in der Forschung gehört nicht nur die Erhebung und Auswertung von Daten, sondern teilweise sogar das Verfassen eigener Artikel zu ihrem Aufgabenfeld.

Strukturelle Missstände

Die fehlende Anerkennung für die konstitutive Rolle, die studentische Beschäftigte an deutschen Hochschulen spielen, lässt sich zudem an zwei Punkten deutlich herausstellen: Zum einen werden studentische Beschäftigte in den Haushalten der Hochschulen in der Regel wie „Sachmittel“ geführt und es gibt keine festen Stellenkontingente. Das heißt: Ob ein neuer Drucker angeschafft oder eine weitere „Hilfskraft“ angestellt werden soll, können die Professor*innen entscheiden. Zum anderen sind die studentischen Beschäftigten neben den Lehrbeauftragten die einzige und vor allem mit mehr als 300.000 Beschäftigten eine enorm große Gruppe, die vom Tarifvertrag der Länder ausgeschlossen ist.

Gegen diese strukturellen Missstände – immerhin die größte Tariflücke im Öffentlichen Dienst – regt sich seit längerer Zeit Widerstand, und er wird größer. Ausgehend von den Streiks in Berlin 2018 haben sich in Bremen, Hamburg und Göttingen weitere TVStud-Initiativen gegründet, die im Dezember 2020 aus der Not des Digitalsemesters eine Tugend machten und online zur Vernetzung von TVStud-Aktiven und -Interessierten einluden. Daraus entstanden ist die bundesweite Kampagne „Keine Ausnahme!“, die bessere Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte fordert. Es ist ein arbeitsfähiges Bündnis mit Aktiven aus über 25 Initiativen und 50 Städten entstanden. Diese trotz Pandemie schnell gewachsene Bewegung hat eine Dynamik entfaltet, die dazu führte, dass das Thema TVStud in den Gewerkschaften GEW und ver.di prominent auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Die Tarifierung studentischer Beschäftigung wurde zudem in den Forderungs- und Erwartungskatalog für die diesjährige Tarifrunde der Länder aufgenommen! Die Arbeitgeberseite, die Tarifgemeinschaft der Länder, repräsentiert durch die Finanzminister*innen, zeigt sich bislang unbeeindruckt von jeglichen Tarifforderungen für studentische Beschäftigte und beharrt auf ihrer jahrzehntelang tradierten Blockadehaltung. Neben der Aufnahme eines Kodex für gute Arbeit in den hessischen Ländertarifvertrag konnte als einzige strukturelle Forderung in der bundesweiten Ländertarifrunde immerhin eine Gesprächszusage erreicht werden – TVStud bleibt also Thema. Damit aus den Worten, die SPD wie Grüne mit ihren Fürsprachen für mehr Mitbestimmung und Tarifverträge oft genug verlautbaren, handfeste Tatsachen geschaffen werden können, gilt es nun, diese Gespräche und die Bestandsaufnahme selbst in die Hand zu nehmen und kraftvoll zu begleiten. Der Kampf geht weiter!